Der neue gefährliche Rausch
Mehr Drogentote, mehr Rettungseinsätze, mehr Drogenkonsumenten in Psychiatrien: Wie wahlloser Medikamentenmissbrauch und Mischkonsum zu einem wachsenden Problem werden.
Drei tote Mädchen in kurzer Zeit: Vor wenigen Wochen wurde eine 14-Jährige in Simmering in der Wohnung eines älteren Mannes aufgefunden, in ihrem Blut wurden Substanzen, offenbar Medikamente, gefunden.
Nähere Details liegen noch nicht vor. Aber der Fall erinnert an zwei weitere, die kurz zuvor in Wien passiert sind: Eine 16-Jährige, die Ende Jänner tot in der Wohnung eines Mannes gefunden wurde, den sie, abgängig aus einer Jugendeinrichtung, im Umfeld der Suchtgiftszene bei der Gumpendorfer Straße kennengelernt hatte. Im Dezember hatte ein 54-Jähriger einen Notruf abgesetzt, eine 16-Jährige, die er tags zuvor kennengelernt hatte, lag tot in seiner Wohnung. Details zu den Umständen, den involvierten Substanzen, sind nicht bekannt. Aber, diese Todesfälle sind die Spitze eines offenbar wachsenden Problems.
Benzodiazepine
Besonders der Konsum von Benzodiazepinen unter Jugendlichen hat offenbar stark zugenommen. Diese Medikamente können bei Überdosierung oder Kombination mit anderen Substanzen, etwa Alkohol, zu Atemstillstand führen. Und gerade bei sehr jungen Konsumentinnen gibt es einen regelrechten BenzoTrend, auch befeuert von sozialen Medien. In Wien wurde erst jüngst eine Arbeitsgruppe eingerichtet, nachdem Wiens Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen, Ewald Lochner, Alarm geschlagen hatte: Man müsse über die Praxis der Abgabe sprechen, denn viel zu viele Jugendliche würden wahllos Medikamente konsumieren, zum Teil in lebensgefährlichen Kombinationen. Für den Rausch, aber auch zur Selbstmedikation gegen Ängste, Depressionen, Schlafstörungen.
Mit ein Grund dafür sieht Lochner in den multiplen Krisen der vergangenen Jahre: Corona, Teuerung, Kriege. Besonders der Konsum bei Risikogruppen ist ein Problem: Bei Jugendlichen, die schon aus vielen anderen Gründen Probleme haben, sei es familiär, sei es ökonomisch, die fremduntergebracht sind. Benzodiazepine sind außerdem günstig und einfach zugänglich (siehe S. 2, 3).
Auch aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie gab es zuletzt Berichte über den zunehmend gefährlichen Drogenkonsum, vor allem Mischkonsum. Die Wiener Berufsrettung meldete zuletzt einen starken Anstieg im Zusammenhang mit Drogenund Medikamentenmissbrauch. Bei Erwachsenen habe sich die Zahl der Einsätze wegen einer Drogenvergiftung binnen fünf Jahren verdoppelt, bei unter 18-Jährigen verdreifacht.
In vielen Fällen kommt die Hilfe zu spät. Die Zahl der Drogentoten hat mit 248 Drogentoten im Jahr 2022 einen Höchststand erreicht. Zugenommen hat vor allem der Anteil der Verstorbenen, die noch keine 25 Jahre alt waren.
Kombi-Konsum
Wie ist das zu erklären? Allgemein ist die Situation, was den Suchtmittelkonsum betrifft, relativ stabil. Dass die Zahl der Drogentoten gestiegen ist, könnte laut Experten noch eine Folge der Pandemie sein. Dass etwa ältere, substituierte Suchtkranke weniger gut medizinisch versorgt waren. Oder es könnte an der gestiegenen Reinheit, dem höheren Wirkstoffgehalt von Substanzen liegen. Und es kann außerdem an der Kombination illegaler Substanzen mit Medikamenten und Alkohol liegen. Substanzen werden, in großen Mengen, kombiniert, um Stimmungen zu modulieren: Aufputschendes wird da genauso genommen wie Medikamente, die beruhigen sowie Ängste lösen sollen.
Vor allem dieser Mischkonsum gilt als gefährlich. Und er ist vom Probier- und Gelegenheitskonsum – eine Substanz zu einem Zweck bzw. Anlass –, der meistens eher unproblematisch bleibt, abzugrenzen. Am gefährlichsten ist der multiple Drogenkonsum mit Beteiligung von Opioiden: Aktuell konsumieren 35.000 bis 40.000 Menschen in Österreich risikoreiche Opioide (meist in Kombination mit anderen illegalen Drogen, Alkohol oder Psychopharmaka).
Cannabis
Eine der Substanzen, die man, für sich allein, nicht unbedingt mit großen Gefahren verbindet, ist Cannabis – die am häufigsten in Österreich konsumierte illegale Substanz. Allerdings, auch hier werden die Probleme mehr: Zum einen, weil sich der THC-Gehalt binnen weniger Jahre drastisch gesteigert hat. Damit wirkt Cannabis viel stärker. Aber Daten aus dem Drug-Checking weisen darauf hin, dass Cannabis zum Teil mit synthetischen Cannabinoiden versetzt wird. Dass etwa „Gras“damit besprüht wird, um es als höherwertiges, weil stärker wirkend, verkaufen zu können. Das hat etwa in Oberösterreich jüngst bei einem Fall zu einem Spitalsaufenthalt geführt. Und die höhere Wirkstoffkonzentration führt zu einer erhöhten Gefahr, dass cannabisinduzierte Psychosen auftreten – die vor allem junge Konsumentinnen betreffen: bis zu 24 Jahren. Hier könnte sich auch die Legalisierung in Deutschland auswirken. Der Salzburger Suchtmediziner Hannes Bacher etwa, ärztlicher Leiter der Suchthilfe Salzburg, erwartet einen Trend, dass Salzburger nun zum Konsumieren nach Deutschland fahren. „Bis die ersten aufklatschen. Ich erwarte, dass wir mehr Patienten mit Psychosen haben werden“, sagte Bacher der „Presse“.
Stimulanzien
Ebenso steigt der Konsum von Kokain: Mittlerweile weisen mehrere Indikatoren (abwasserepidemiologische Studien, Zahl der Anzeigen, Bevölkerungsbefragungen, Daten aus dem Drug-Checking, aus der Vergiftungsinformationszentrale) darauf hin, dass der Stimulanzienkonsum und insbesondere der Kokainkonsum in Österreich steigt. Auch das spiegelt sich im Behandlungsbedarf wider: 2022 hat Kokain bei mehr als 20% der Erstbehandlungen die Leitdroge dargestellt.