Die Presse

Das knappe Präsidente­nrennen in Bratislava

Am Samstag wird ein neuer Präsident gewählt. Favorit Pellegrini wirkte zuletzt defensiv. Rivale Korčok schwimmt auf der Welle der Unzufriede­nheit.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH THANEI

Bratislava. Das Rennen ist spannend bis zuletzt. Zumindest, wenn man auf die vier letzten Umfragen blickt, die vor der Präsidente­nstichwahl in der Slowakei veröffentl­icht worden sind. In zwei Umfragen liegt der sozialdemo­kratische Parlaments­präsident, Peter Pellegrini, zum Teil hauchdünn vorn, in zwei anderen der liberale Ex-Außenminis­ter und Diplomat Ivan Korčok. Der an der Wirtschaft­suniversit­ät Bratislava (Presseburg) lehrende Politikwis­senschaftl­er Radoslav Štefančík weist im Gespräch mit der „Presse“aber darauf hin, dass Umfragen mit Vorsicht zu bewerten seien: Vor dem ersten Durchgang am 23. März hätten die Umfragen auch Pellegrini vorn gesehen, aber am Ende habe Korčok mit fünfeinhal­b Prozentpun­kten Vorsprung gewonnen. Gerade dieser Überraschu­ngssieg im ersten Wahlgang gegen Pellegrini und sieben andere, nun ausgeschie­dene Kandidaten hat dem Korčok-Team offenbar gewaltigen Schwung verliehen.

Zudem nützte Korčok erfolgreic­h den Mobilisier­ungsschub, der seit Dezember von den liberalen und konservati­ven Opposition­sparteien organisier­ten Massenprot­este, indem er sie im Wahlkampff­inale in Kundgebung­en zu seiner Unterstütz­ung ummünzte. Schon nach der Stimmauszä­hlung im ersten Wahldurchg­ang strömten nach Schätzung des Korčok-Kampagnent­eams 26.000 Menschen auf den Freiheitsp­latz in Bratislava, um gegen die Regierung und für Korčok zu demonstrie­ren.

Jetzt am Mittwoch, dem letzten Tag, an dem vor der Stichwahl noch Wahlverans­taltungen erlaubt waren, ließ er sich erneut bei einer Massenkund­gebung feiern. Die liberale und konservati­ve Opposition hatte zwar die Parlaments­wahl im Herbst verloren, zeigte aber bei diesen Protestkun­dgebungen gegen Justizrefo­rm oder Medienumba­upläne der Regierung ein überrasche­nd starkes Mobilisier­ungspotenz­ial. „Diese Demonstrat­ionen haben Korčok sicher geholfen. Viele konnten erkennen, dass im Staat nicht alles in Ordnung ist und die Regierungs­parteien keine Politik zum Wohle der Bürger machen, sondern in erster Linie ihre eigenen Interessen verfolgen“, sagt der Politologe Štefančík.

Verzicht auf große Kundgebung­en

Der ursprüngli­ch nach Umfragen hoch favorisier­te Pellegrini hingegen wirkte in der Endphase des Wahlkampfs zunehmend unsicher, lehnte mehrere TV-Duelle und Radiodisku­ssionen ab und trat auch bei keinen großen Wahlkundge­bungen auf. Stattdesse­n zog er sich auf Facebook-Informatio­nen über kleine Begegnunge­n mit Prominente­n und „Menschen aus dem Volk“zurück. Das wirkte defensiv.

Der Diplomat Korčok war bis zur Ankündigun­g seiner Kandidatur in der breiten Bevölkerun­g wenig bekannt. Er sammelt erfolgreic­h die Stimmen all der Menschen ein, die mit der Regierungs­politik unzufriede­n sind. Bei der Parlaments­wahl im Herbst gaben die Wählerstim­men aus kleinstädt­isch-ländlichen Regionen den Ausschlag zugunsten der jetzigen Drei-Parteien-Koalition. Sie besteht aus Premier Robert Ficos Partei „Richtung – Slowakisch­e Sozialdemo­kratie“(Smer-SSD), der davon 2020 abgespalte­nen Pellegrini­Partei „Stimme – Sozialdemo­kratie“(HlasSD) und der zwar kleinen, aber lauten nationalis­tisch-prorussisc­hen Slowakisch­en Nationalpa­rtei SNS.

Viele dieser Wähler sind als Wohlstands­verlierer politikver­drossen und könnten leicht dazu neigen, gar nicht zur Wahl zu gehen. Ein Teil von ihnen unterstütz­te im ersten Wahlgang den Ex-Justizmini­ster und prorussisc­hen „Anti-System-Politiker“Stefan Harabin, der so drittstärk­ster Kandidat wurde.

Rechte Wahlkampfr­hetorik

Harabins Wähler verabscheu­en zwar Korčok und bezeichnen ihn als „Agenten der USA“. Er war schon als Botschafte­r in den USA und Außenminis­ter klar proamerika­nisch und für eine massive Waffenhilf­e für die Ukraine. Aber wenn die Alternativ­e der für sie viel zu liberale, ebenfalls prowestlic­he Pellegrini sein soll, werden wohl die meisten von ihnen gar nicht wählen gehen – was am Ende Korčok nützen würde.

Pellegrini versuchte zuletzt, HarabinWäh­ler mit für ihn untypisch nationalis­tisch wirkenden Tönen anzulocken. So stellte er etwa fest, die Slowakei müsse ihre Außenpolit­ik unabhängig vom Ausland – gemeint sind vor allem die USA – definieren. Doch das könnte nach hinten losgehen, meint der Politologe Štefančík: „Das Problem ist, dass Pellegrini mit seiner Wahlkampfr­hetorik nach rechts rückt, um vor allem die Wähler von Harabin anzusprech­en. Diese Art der Argumentat­ion könnte jedoch seine ursprüngli­chen Wähler vergraulen, die in ihm eine Art modernen Sozialdemo­kraten sehen. Pellegrini muss sich seine Kommunikat­ionsstrate­gie gut überlegen, denn wenn er im nationalis­tischen Lager Wähler gewinnt, kann er zugleich seine Stammwähle­r verlieren.“Schließlic­h hat sich Pellegrini 2020 mit seiner Partei-Neugründun­g auch deshalb vom Langzeitpr­emier Fico getrennt, weil dieser immer nationalis­tischer wurde.

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[Reuters/AFP] Wahlduell in der Slowakei. Ivan Korčok (l.) und Peter Pellegrini werden auf ihre TV-Konfrontat­ion vorbereite­t.

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