Warum es Spione in Österreich leichter haben
Sicherheit. Niederländische Nachrichtendienste gelten international als Vorreiter. Während sie regelmäßig große Spionageoperationen aufdecken, wird Österreichs Verfassungsschutz von Skandalen heimgesucht. Warum?
Wien. Schon früh hatten sie Hinweise darauf, dass Russlands Agenten die Server der US-Demokraten hackten, um die US-Wahlen 2016 zu beeinflussen. In Den Haag vereitelten sie eine russische Spionageaktion gegen die Organisation für das Verbot chemischer Waffen. Auch an der Sabotage des iranischen Atomprogramms waren sie wohl beteiligt. Niederländische Nachrichtendienste machen regelmäßig mit Erfolgen von sich reden.
Österreich hingegen wird von Spionageaffären heimgesucht. Nach der Reform des Verfassungsschutzes im Dezember 2021 kehrte zwar etwas Ruhe ein. Versäumnisse vergangener Tage holen das Land aber nun mit dem Fall des Ex-Verfassungsschützers Egisto Ott ein. Was hat die Niederlande besser gemacht als Österreich?
Während ein Vergleich der angloamerikanischen Dienste und jener Österreichs nicht sinnvoll sei, könne man die Niederlande und Österreich vergleichen, sagt der Nachrichtendienstexperte und Historiker Thomas Riegler. Zwar sind die Niederlande im Gegensatz zu Österreich Nato-Mitglied, doch sind beide EU-Mitglieder, kleinere und wohlhabende Länder – und diplomatische Drehscheiben. In beiden Staaten sind internationale Organisationen ansässig, daher sind sie auch für Spione interessant.
Andere Traditionen
In Österreich gibt es drei Dienste, zwei sind im Bundesheer angesiedelt: das Heeresnachrichtenamt als Auslandsnachrichtendienst und das Abwehramt, das das Militär vor Extremisten und Spionen schützt. Dazu kommt der Inlandsnachrichtendienst des Innenministeriums: die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst. In den Niederlanden schützt der Militärische Nachrichtendienst die Armee und übernimmt die militärische Gefahrenerforschung. Der zivile Allgemeine Nachrichten- und Sicherheitsdienst ist der Inlands- und Auslandsnachrichtendienst.
Dass die geringere Zahl an Diensten das Erfolgsgeheimnis ist, weisen Experten zurück. Es gebe, so wie in anderen Ländern auch, in den Niederlanden Kompetenzkonflikte zwischen den Behörden, sagt Riegler. Im Unterschied zu Österreich haben die Dienste in den Niederlanden eine gewachsene Tradition. „Wir haben da einen ganz anderen politischen und kulturellen Zugang“, sagt Paul Schliefsteiner, Direktor des Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies, das zu Nachrichten- und Geheimdiensten forscht.
In Österreich und Deutschland seien „die Traditionen der Nachrichtendienste negativ in der Bevölkerung besetzt“, sagt der Historiker Siegfried Beer. Das liegt vor allem an der Nazi-Diktatur mit ihrem Gestapo-Geheimdienst. In den angloamerikanischen und aus dem Zweiten Weltkrieg siegreich hervorgegangenen Staaten hingegen wurden die Nachrichten- und Geheimdienste für ihre Arbeit bejubelt.
In Österreich gab es daher Vorbehalte gegen einen zu starken Staatsschutz. Hinzu kam, dass Österreich als neutraler Staat „ein guter Gastgeber sein wollte“, sagt Riegler. Konflikte mit fremden Mächten wollte man vermeiden.
„Das hat im Kalten Krieg noch viel besser funktioniert, als Österreich nicht in der EU und nicht Mitglied der Nato-Partnerschaft für den Frieden war“, sagt Riegler.
Nach dem Kalten Krieg habe sich Österreich vor allem vor Bedrohungen aus Russland sicher gewähnt, sagt Riegler. Den Staatsschutz ausreichend personell aufzustellen war nie eine politische Priorität, stattdessen waren parteipolitische Postenbesetzungen an der Tagesordnung. Das BVT etwa galt als tiefschwarze Behörde.
„Das schwächste Glied“
„Dabei ist ja entscheidend, dass man über Österreich an Informationen über Dritte gelangen kann. Das schwächste Glied in der Kette greift man zuerst an“, gibt Riegler zu bedenken. Das könnte bei Ott der Fall gewesen sein, der den Russen in Österreich einen Laptop mit Staatsgeheimnissen eines anderen Landes verschafft haben soll.
In den Niederlanden wurden neue Bedrohungen früher erkannt. Vor allem im Cyber-Bereich stellten sich die Dienste auf und gelten als Vorreiter. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Dienste schon vor Jahrzehnten Wissenschaftler in ihre Analysearbeit eingebunden haben, wie Beer beschreibt. In Österreich hingegen habe es nie Initiativen seitens der Dienste dafür gegeben. Erst seit Kurzem gibt es einen Spionage-Lehrgang an der Donau-Uni Krems: „Eine positive Entwicklung“, sagt Beer.
Österreichs Dienste vernachlässigten auch ihre Sicherheitsstandards. Bei den Niederländern müssen sich Mitarbeiter einem IrisScan unterziehen, Handys sind verboten, Kontrollen können jederzeit stattfinden, schildert Riegler. In Österreich hingegen wurden Sicherheitsstandards lang vernachlässigt, wie auch eine Analyse ausländischer Partnerdienste zeigte. Das dürfte dem mutmaßlichen Spion Egisto Ott geholfen haben. Er hatte offenbar, obwohl die Vorwürfe gegen ihn bekannt waren, Zugang zu polizeilichen und anderen wichtigen Datenbanken. Allerdings: Im Zuge der BVT-Reform wurde nachgeschärft, die Sicherheitsstandards sind nun auch in Österreich höher.
Vor allem aber haben die niederländischen Dienste mehr Befugnisse als jene Österreichs. „Dort ist es auch möglich, Diplomatenautos mit Peilsender zu versehen und zu verwanzen“, so Riegler. 2018 sei etwa eine russische Spionageoperation durch engmaschige Überwachung vereitelt worden. In Österreich sind die Instrumente begrenzt, so können die Dienste keine verschlüsselten Messengerdienste auf den Handys überwachen.
Unentschlossene Politik
Schliefsteiner gibt zu bedenken, dass bei einer Ausweitung der Befugnisse Österreich aufgrund seiner Neutralität ausgewogen vorgehen müsse. Es könne nach einer Reform wohl nicht nur selektiv gegen Staaten wie Russland ermittelt und „Partnerdienste“wie zum Beispiel die US-Amerikaner außer Acht gelassen werden. Generell habe sich Österreich „bisher nie entscheiden können, ob es einen starken Staatsschutz für den Schutz des demokratischen Rechtsstaates will, dem man auch vertraut, oder ob man das Ganze nur vage aufzieht“.