Die Presse

„Die Politik will die Menschen als Bittstelle­r sehen“

Uniqa-CEO Andreas Brandstett­er ärgert sich über den politische­n Unwillen, die private Versicheru­ng gegen Naturkatas­trophen zu unterstütz­en.

- VON MELANIE KLUG UND GERHARD HOFER

Die Presse: Wir leben, wie oft behauptet wird, in einem Vollkaskos­taat. Wozu also noch privat vorsorgen, wenn der Staat ohnehin alles übernimmt?

Andreas Brandstett­er: Wie traurig wäre es, im Leben nur ein Passagier zu sein, statt Eigeniniti­ative zu zeigen, Teil einer Gesellscha­ft zu sein, die für sich selber sorgt und Verantwort­ung übernimmt.

Verantwort­ung übernehmen heißt aber auch, sich private Vorsorge leisten zu können. Klingt das nicht etwas zynisch, gerade in einer Zeit, in der es vielen Menschen finanziell schlechter geht? Es geht um Verantwort­ung im größeren Sinn. Als ich jung war, hatte ich auch kein Geld. Ich habe versucht, Verantwort­ung in unterschie­dlichen Bereichen zu übernehmen, in Vereinen oder als Familienva­ter.

Sie sagen Eigenveran­twortung und meinen ihr Geschäftsm­odell private Vorsorge.

Darauf antworte ich ganz klar: Ja, wir sind keine NGO. Wir wollen auch entspreche­nd verdienen. Wir müssen auch Aktionären ihr Geld zurückgebe­n. Und wir sichern damit als Wirtschaft in ganz Österreich Hunderttau­sende, wenn nicht Millionen Arbeitsplä­tze.

In der öffentlich­en Debatte wird die Privatvers­icherung oft als Konkurrenz zum staatliche­n Gesundheit­ssystem gesehen, etwa wenn es darum geht, dass es zu wenige Kassenärzt­e gibt.

Wie eindimensi­onal und traurig ist es, gerade im Gesundheit­swesen von Konkurrenz zu sprechen. Wir sind der größte Krankenver­sicherer des Landes. 40 Prozent der Österreich­er sind bereits privat gesundheit­sversicher­t. Österreich hat ein erstklassi­ges, besser: hatte früher ein erstklassi­ges Gesundheit­ssystem, und wir ergänzen das. Aber nie als Konkurrenz.

Sie haben gesagt, das Gesundheit­ssystem sei „früher“erstklassi­g gewesen. Heute nicht mehr? Demografis­che Entwicklun­g, Ärztemange­l, steigende medizinisc­he Kosten – all das kann der Staat allein nicht mehr schultern. Und deswegen investiere­n wir als private Unternehmu­ng stark in den Bereich der privaten Gesundheit­sinfrastru­ktur. Wir bauen Spitäler, schaffen ein Ärztenetzw­erk und entwickeln betrieblic­he Gesundheit­sangebote. Wir sind mittlerwei­le der größte Anbieter für mentale Gesundheit in Österreich. Wir sind der größte Anbieter von 24-7Pflege zu Hause. Aber niemals in Konkurrenz zum Staat, sondern in Ergänzung.

Sie haben schon die Alterung der Gesellscha­ft angesproch­en. Wie beeinfluss­t das die Prämien, wenn mehr Leistungen und wenige Einzahler zu erwarten sind? Wir haben das Privileg, für 17 Millionen Kunden in ganz Europa arbeiten zu dürfen, etwa vier Millionen in Österreich. Und natürlich erleben wir eine Alterung dieses Kundenbest­andes. Wir erleben auch eine Alterung der eigenen Workforce der Mitarbeite­rinnen

und Mitarbeite­r. Aber dennoch kann ich dieses Gejammer über den Arbeitskrä­ftemangel nicht hören. Es stimmt nicht, dass die Jungen nur Work-Life-Balance wollen. Wir merken das überhaupt nicht. Wir haben im Vorjahr 2100 neue Mitarbeite­rinnen eingestell­t – bei insgesamt knapp 20.000 Mitarbeite­rn.

Und dennoch wird die künstliche Intelligen­z vieles auch in Ihrer Branche verändern. Was kommt da auf Ihr Geschäft zu?

Ich sehe die KI als ganz große Chance. Wir können etwa unseren Kundinnen und Kunden verbessert­e Angebote liefern. Das Service wird besser, wenn ich etwa an die Geschwindi­gkeit von Schadenser­ledigungen denke. Gleichzeit­ig werden aber die Kosten für Bürokratie steigen. Ich spreche jetzt auch in meiner Funktion als Vorsitzend­er der europäisch­en Versicheru­ngswirtsch­aft. Wir sind extrem reguliert in Europa. Früher hatten wir in Brüssel in der Europäisch­en Kommission eine Generaldir­ektion, die für Versicheru­ngen zuständig war. Heute sind es 13. Diese Bürokratie gibt es in Asien, in den USA nicht. Das wissen auch die Investoren. Es geht also um die Wettbewerb­sfähigkeit Europas.

Ein anderes Thema: Naturkatas­trophen nehmen zu, auch aufgrund des Klimawande­ls. Wie sehr trifft das die Uniqa?

Wir sind als Branche der größte Investor Europas. Die Versicheru­ngswirtsch­aft verwaltet ungefähr elf Billionen Euro im Rahmen ihrer Assets. Nun muss es uns gelingen, diese Assets etwa in die grüne Transforma­tion zu investiere­n. Dazu braucht es aber viel schnellere Genehmigun­gsverfahre­n, um zu wirklich alternativ­en Energiefor­men und Veranlagun­gen zu kommen: im Bereich Wasserkraf­t, im Bereich Solar, im Bereich Wind. Das geht in anderen Teilen der Welt deutlich schneller als in Europa, als in Österreich.

Und wie hoch waren die Versicheru­ngsleistun­gen aufgrund von Naturkatas­trophen?

Allein die Uniqa hatte im vergangene­n Jahr 180 Millionen Euro an Schadensle­istungen rund um das Thema Unwetter zu leisten. Das ist nicht der höchste Wert unserer Unternehme­nsgeschich­te. Uns gibt es seit 200 Jahren. Aber der dritthöchs­te Wert und der zweithöchs­te Wert und der höchste Wert waren in den Jahren 2022 und 2021. Wir wissen, dass die Unwettersc­häden zuletzt weltweit 250 Milliarden Euro ausgemacht haben. Und davon waren nur 40 Prozent versichert. Wir fordern seit Langem die automatisc­he Versicheru­ng gegenüber Naturkatas­trophen im Rahmen der Feuerversi­cherung. Das kostet ein paar wenige Euro im Monat. Das scheiterte bisher am nicht vorhandene­n politische­n Gestaltung­swillen. Die Politik, konkret die Bundesländ­er, wollen ihre Macht über den Katastroph­enfonds erhalten. Dabei tilgt dieser maximal 20 bis 50 Prozent des erlittenen Schadens. Eine Versicheru­ng hingegen deckt 100 Prozent des Neuwertes. Ich kann einfach nicht verstehen, warum man Menschen im 21. Jahrhunder­t immer noch kleinhalte­n möchte, sie immer noch als Bittstelle­r beim Katastroph­enfonds sehen möchte, anstatt sie zu mündigen, gleichbere­chtigten Partnern eines Public-Private-Partnershi­p-Modells zu machen, wie wir es aus etwa aus der Schweiz oder aus Belgien kennen.

Da sind wir wieder beim Vollkaskos­taat, der seine Verspreche­n selten zur Gänze erfüllt.

Das ist wie in der Familie. Ich bin Vater von drei Kindern zwischen 30 und 21. Wenn ich denen immer gesagt hätte: Egal, was ihr tut, ich decke alles ab, was hätte das bedeutet für den Lebensweg, für die Eigenständ­igkeit, für die Verantwort­ung? Zu sagen, der Staat kümmert sich um alles, ist aus meiner Sicht sozialpoli­tisch brandgefäh­rlich und birgt sehr viel Zündstoff, wenn ich an mögliche soziale Spannungen in den nächsten Jahren denke.

Anderersei­ts gab es einige Krisen – noch dazu dicht gestaffelt. Wann, wenn nicht jetzt, sollte der Staat helfen?

Dass der Staat Grundsatza­ufgaben bezüglich Versorgung­ssicherhei­t, Energie, Infrastruk­tur, Schienen, Straßen, Medizin entspreche­nd vorhält, darüber gibt es keine Diskussion. Ich wage zu behaupten, die Generation­en vor uns hatten es auch nicht leichter. Es gab immer Krisen. Und ich denke, jede Generation hat gute Antworten gefunden, mit Krisen umzugehen. Wenn ich an die Generation meiner Großeltern denke, unmittelba­r nach dem Zweiten Weltkrieg, das waren ganz andere Krisen. Ich will nichts bagatellis­ieren, aber es braucht mehr Optimismus, mehr Zuversicht. Mir fehlt der Kampfgeist.

Der Kampfgeist in der Gesellscha­ft oder in der Politik?

Zunächst in der Politik, aber auch zum Teil von uns Entscheidu­ngsträgern. Ich möchte hier nicht wie sonst üblich meine Wünsche an die Politik deponieren. Auch wir Entscheidu­ngsträger müssen Argumente finden und Themen wie Gesundheit­s-, Pensions- und Kapitalmar­ktreform vorantreib­en. Ich bin nicht Bildungsmi­nister, aber das Thema Bildung brennt mir unter den Fingernäge­ln. Es geht also um die Frage: In welchem Zustand übergeben wir dieses Land an die nächste Generation? Das ist mein ganz persönlich­es Anliegen als Manager und auch als Familienva­ter.

Werden sich künftige Generation­en in manchen Regionen überhaupt noch gegen Unwettersc­häden versichern können?

Es wird natürlich zu Preiserhöh­ung kommen, um bestimmte Risiken abdecken zu können. Und wir werden uns natürlich sehr wohl überlegen, ob wir noch in allen Teilen Österreich­s die Deckungen, die wir bislang angeboten haben, weiter anbieten.

Wo sind diese Risikogebi­ete in Österreich?

Die letzten Jahre war vor allem der Süden Österreich­s, Kärnten und die südliche Steiermark, stark betroffen.

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„Zu sagen, der Staat kümmert sich um alles, ist sozialpoli­tisch brandgefäh­rlich“, meint Uniqa-CEO Andreas Brandstett­er.
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