Willkommen in der Urlaubsshow
Gleich zwei Filme mit österreichischer Beteiligung, „Animal“und „Vista Mare“, beschäftigen sich mit dem Bodenpersonal der Bettenburgen. Auf unterschiedliche Art.
Tourismus ist ein gutes, wichtiges Geschäft. Das weiß man, nicht zuletzt in Österreich. Gleichzeitig hat es Schattenseiten, Stichwort „Overtourism“. Auch das ist bekannt – aber es schadet nicht, daran erinnert zu werden. Zumal die nächste Urlaubssaison in Sicht ist. Das heimische Kino hatte stets beide Seiten im Blick: die Fassade, mit der Kundschaft angelockt werden soll, und die Betriebsseite, wo oft Ausbeutung herrscht. Auf der einen singt Peter Alexander im „Weißen Rössl“, auf der anderen liegen bei der Kellnerin aus Sabine Derflingers „Vollgas“die Nerven blank. Dazwischen werden Abhängigkeiten des kolonialistisch unterfütterten Fremdenverkehrs ausgelotet, etwa in Ulrich Seidls „Paradies: Liebe“.
Zwei Filme mit österreichischer Beteiligung, derzeit im Kino und bei der Diagonale in Graz, führen diese ambivalente Tradition spannend fort. Was sie eint, ist – bei allen ästhetischen Unterschieden – ein Fokus auf das Bodenpersonal der Bettenburgen.
„Vista Mare“, ein Dokumentarfilm von Julia Gutweniger und Florian Kofler, blickt dabei aus der Vogelperspektive auf ein Geschäftsmodell, bei dem das harte Wort „Massenabfertigung“angemessen scheint : Es sind fraglos Menschenmassen, die sich hier über Adriastrände ergießen – und von der italienischen Tourismusbranche abgefertigt werden. Das junge Regieduo zeigt eingangs prosaische Vorbereitungen für die große Urlaubsshow: Sand wird aufgebaggert und mit Planierraupen verteilt, Liegestühle bespannt, Broschüren fertiggestellt. Es gibt Einschulungen für Hotelrezeption, Animateure und Rettungsschwimmer. Dann gehen die Sonnenschirme auf. Und die Strände füllen sich.
Wir aber bleiben aufseiten der Belegschaft. „Vista Mare“verwehrt meist den titelgebenden Meerblick, späht stattdessen in nüchternen Panoramaaufnahmen auf Müllabfuhr, Security, Küchendienst – ein kommentarloser Querschnitt, der an die „systemischen“Filme Nikolaus Geyrhalters erinnert. Wobei die Kritik Koflers und Gutwenigers bisweilen pointierter ausfällt. Mal feilschen Touristen herablassend mit einem Strandverkäufer, mal suggeriert eine Bootsfahrt durch Venedig: Wenn die Kulisse das Wichtigste ist, läuft etwas falsch.
Voodoo Jürgens als Linzer Lustwandler
Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Sofia Exarchous Autorenfilm „Animal“, obwohl er künstlerisch konträr angelegt ist: Hier ist alles Nähe, Gefühl, Körperlichkeit. Doch Exarchou will zeigen, dass auch diese Dinge im Touri-Business nicht vor Kommerzialisierung gefeit sind. Ihre Hauptfigur Kalia – Dimitra Vlagopoulou wurde beim Filmfest Locarno zu Recht ausgezeichnet – arbeitet als Animateurin auf einer griechischen Insel. Sie schüttelt ihr Haar und singt „Yes Sir, I Can Boogie“für betuchte Besucher aus Ländern wie Russland und Österreich (Voodoo Jürgens hat im Film einen sympathischen Kurzauftritt als Lustwandler aus Linz).
Es ist ein Leben zwischen gespielter Euphorie und echtem Exzess, mit einer teilweise queeren Kollegenschaft, die einem Outsider-Zirkustrupp ähnelt. Die taffe Kalia versucht, es sich schönzureden: Sie wollte schon immer auf der Bühne stehen! Hilft das nicht, muss der x-te Wodka-Shot her. Doch letztlich ist das berufliche Gaudium ebenso fake wie das private: Das eine ist fremdbestimmt, das andere kann Kalias Existenznot nur notdürftig überspielen. Gefangen im Prekariat, muss sie auf vielen Dancefloors zugleich tanzen. Irgendwann reibt der unablässige Spaßterror sie auf. Am Ende träumt sie sich beim verzweifelten Karaoke kurzzeitig auf die andere Seite. Doch die Touristen kriegen im Vollrausch kaum mit, wie ihre Freudenspenderin vor ihren Augen zerbricht.