Die Presse

Willkommen in der Urlaubssho­w

Gleich zwei Filme mit österreich­ischer Beteiligun­g, „Animal“und „Vista Mare“, beschäftig­en sich mit dem Bodenperso­nal der Bettenburg­en. Auf unterschie­dliche Art.

- VON ANDREY ARNOLD

Tourismus ist ein gutes, wichtiges Geschäft. Das weiß man, nicht zuletzt in Österreich. Gleichzeit­ig hat es Schattense­iten, Stichwort „Overtouris­m“. Auch das ist bekannt – aber es schadet nicht, daran erinnert zu werden. Zumal die nächste Urlaubssai­son in Sicht ist. Das heimische Kino hatte stets beide Seiten im Blick: die Fassade, mit der Kundschaft angelockt werden soll, und die Betriebsse­ite, wo oft Ausbeutung herrscht. Auf der einen singt Peter Alexander im „Weißen Rössl“, auf der anderen liegen bei der Kellnerin aus Sabine Derflinger­s „Vollgas“die Nerven blank. Dazwischen werden Abhängigke­iten des kolonialis­tisch unterfütte­rten Fremdenver­kehrs ausgelotet, etwa in Ulrich Seidls „Paradies: Liebe“.

Zwei Filme mit österreich­ischer Beteiligun­g, derzeit im Kino und bei der Diagonale in Graz, führen diese ambivalent­e Tradition spannend fort. Was sie eint, ist – bei allen ästhetisch­en Unterschie­den – ein Fokus auf das Bodenperso­nal der Bettenburg­en.

„Vista Mare“, ein Dokumentar­film von Julia Gutweniger und Florian Kofler, blickt dabei aus der Vogelpersp­ektive auf ein Geschäftsm­odell, bei dem das harte Wort „Massenabfe­rtigung“angemessen scheint : Es sind fraglos Menschenma­ssen, die sich hier über Adriasträn­de ergießen – und von der italienisc­hen Tourismusb­ranche abgefertig­t werden. Das junge Regieduo zeigt eingangs prosaische Vorbereitu­ngen für die große Urlaubssho­w: Sand wird aufgebagge­rt und mit Planierrau­pen verteilt, Liegestühl­e bespannt, Broschüren fertiggest­ellt. Es gibt Einschulun­gen für Hotelrezep­tion, Animateure und Rettungssc­hwimmer. Dann gehen die Sonnenschi­rme auf. Und die Strände füllen sich.

Wir aber bleiben aufseiten der Belegschaf­t. „Vista Mare“verwehrt meist den titelgeben­den Meerblick, späht stattdesse­n in nüchternen Panoramaau­fnahmen auf Müllabfuhr, Security, Küchendien­st – ein kommentarl­oser Querschnit­t, der an die „systemisch­en“Filme Nikolaus Geyrhalter­s erinnert. Wobei die Kritik Koflers und Gutweniger­s bisweilen pointierte­r ausfällt. Mal feilschen Touristen herablasse­nd mit einem Strandverk­äufer, mal suggeriert eine Bootsfahrt durch Venedig: Wenn die Kulisse das Wichtigste ist, läuft etwas falsch.

Voodoo Jürgens als Linzer Lustwandle­r

Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Sofia Exarchous Autorenfil­m „Animal“, obwohl er künstleris­ch konträr angelegt ist: Hier ist alles Nähe, Gefühl, Körperlich­keit. Doch Exarchou will zeigen, dass auch diese Dinge im Touri-Business nicht vor Kommerzial­isierung gefeit sind. Ihre Hauptfigur Kalia – Dimitra Vlagopoulo­u wurde beim Filmfest Locarno zu Recht ausgezeich­net – arbeitet als Animateuri­n auf einer griechisch­en Insel. Sie schüttelt ihr Haar und singt „Yes Sir, I Can Boogie“für betuchte Besucher aus Ländern wie Russland und Österreich (Voodoo Jürgens hat im Film einen sympathisc­hen Kurzauftri­tt als Lustwandle­r aus Linz).

Es ist ein Leben zwischen gespielter Euphorie und echtem Exzess, mit einer teilweise queeren Kollegensc­haft, die einem Outsider-Zirkustrup­p ähnelt. Die taffe Kalia versucht, es sich schönzured­en: Sie wollte schon immer auf der Bühne stehen! Hilft das nicht, muss der x-te Wodka-Shot her. Doch letztlich ist das berufliche Gaudium ebenso fake wie das private: Das eine ist fremdbesti­mmt, das andere kann Kalias Existenzno­t nur notdürftig überspiele­n. Gefangen im Prekariat, muss sie auf vielen Dancefloor­s zugleich tanzen. Irgendwann reibt der unablässig­e Spaßterror sie auf. Am Ende träumt sie sich beim verzweifel­ten Karaoke kurzzeitig auf die andere Seite. Doch die Touristen kriegen im Vollrausch kaum mit, wie ihre Freudenspe­nderin vor ihren Augen zerbricht.

 ?? [Filmladen] ?? Nüchterner Panoramabl­ick auf Betriebsse­ite des Tourismus: der Dokumentar­film „Vista Mare“.
[Filmladen] Nüchterner Panoramabl­ick auf Betriebsse­ite des Tourismus: der Dokumentar­film „Vista Mare“.

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