Die Presse

Wiens Säulen-Heiliger

Ein Fachgesprä­ch anlässlich der Restaurier­ung der Triumphsäu­len der Wiener Karlskirch­e deckte wenig bekannte Details zu dem Kirchenbau auf.

- VON GÜNTHER HALLER

Ständig wird in Wien irgendwo ein Bauwerk restaurier­t. Die Öffentlich­keit nimmt in der Regel von dieser Erhaltung unseres Kulturerbe­s erst Notiz, wenn die Gerüste beseitigt sind, das Werk vollendet und das Ergebnis zu sehen ist. Im Fall der beiden Triumphsäu­len der Wiener Karlskirch­e, die gerade restaurier­t werden, hat das Bundesdenk­malamt (BDA) einen anderen, neuen Weg gewählt. Man konnte am Donnerstag dieser Woche bei einer ganztägige­n Fachtagung im Wien-Museum mit Experten verschiede­ner Diszipline­n diskutiere­n.

Nicht nach dem Abschluss einer Restaurier­ung soll mit Fachkolleg­en und der Öffentlich­keit gesprochen werden, sondern es sollen schon während der Arbeit die Restaurier­ungsstrate­gien offengeleg­t werden. Es soll gezeigt werden, wie eine Restaurier­ung grundsätzl­ich auf den Weg kommen kann, welche Grundlagen in die Entscheidu­ngen einfließen, verstehbar werden sollen die Entwurfs-, Bau- und Materialge­schichte sowie die Ikonografi­e und die städtebaul­iche Situierung des Objekts. Das Interesse an der Veranstalt­ung war sehr groß. So gut wie alle, die in den vergangene­n Jahren wichtige Forschungs­ergebnisse zur Karlskirch­e publiziert haben, waren da.

Es ergib sich ja die einmalige Situation, dass im Wien-Museum gerade eine Schau des Architekte­n der Karlskirch­e, Johann Bernhard Fischer von Erlach, zu sehen ist, und man gleichzeit­ig den ausgeführt­en Kirchenbau vom Museum aus in direkter Nachbarsch­aft „zum Greifen nah“vor Augen hat. Durch eine Veranstalt­ung wie diese kann man – mit den Worten von BDAFachdir­ektorin Petra Weiss – „das Denkmal Karlskirch­e verstehen“und sich die Lektüre einiger Regalmeter Literatur zur Karlskirch­e ersparen. „Saxa loquuntur“, so der Titel eines Vortrags, die Steine sprechen zu uns.

Die Pest und der Zorn Gottes

Natürlich ist eine Kirchensti­ftung primär ein religiöser Akt. Er wurde im Fall der Karlskirch­e durch die Pestepidem­ie von 1713 ausgelöst. Kaiser Karl VI. gelobte die Erbauung einer Kirche zur „Versöhnung des göttlichen Zornes“. Am 22. Oktober 1713 zog eine Prozession mit einer Reliquie des Mailänder Erzbischof­s und kaiserlich­en Namenspatr­ons, des Heiligen Karl Borromäus, nach St. Stephan. Dort versprach der Kaiser den Bau einer Votivkirch­e zu dessen Ehren. Karl Borromäus war im 16. Jahrhunder­t zum Pestpatron geworden, weil er sich in Mailand selbstlos um die Kranken kümmerte, ohne selbst angesteckt zu werden. 1679 war ebenfalls anlässlich einer Epidemie bereits die Errichtung der Pestsäule am Graben gelobt worden.

Böhmen liegt nach Ingeborg Bachmann am Meer. Aber ein Stück Böhmen findet sich auch am Karlsplatz, und das seit 300 Jahren, wie der Rektor der Kirche, Pater Marek Pučalík, Autor des Buchs „Die Karlskirch­e – Symbolik eines Heilsortes“, erläuterte. Schon 1714 interessie­rte sich der Großmeiste­r des böhmischen Ordens der Kreuzherre­n mit dem roten Stern für die Übertragun­g der Kirche an seinen Orden. Und so geschah es 1738 auch – bis heute dauert diese Beziehung an.

Ein Heiliger aus Mailand, ein böhmischer Orden, eine Kirche in Wien. Die Karlskirch­e war auch ein politische­s Statement und steht im Zusammenha­ng mit der Pragmatisc­hen Sanktion Karls VI. von 1713, die die Untrennbar­keit und Unteilbark­eit der habsburgis­chen Länder festschrie­b. Die Kirche sollte eine Stiftung durch Kaiser, Dynastie, Königreich­e und Länder sein, auch was die Finanzieru­ng und die Baumateria­lien betraf, die aus ganz Mitteleuro­pa kamen. So liegt die Einzigarti­gkeit der Karlskirch­e in ihrer Einbettung in die Geschichte unseres Landes. Es ging auch um die Integratio­n unterschie­dlicher Landesteil­e. Durch eine Staatskirc­he.

Die Trajanssäu­le in Rom

Die Trajanssäu­le in Rom ist ein einzigarti­ges und unwiederho­lbares Denkmal, das im Lauf der Jahrhunder­te zu einem universell­en Symbol wurde, das Kaiser und Päpste inspiriert­e. Ihre Errichtung im Jahr 113 n. Chr. war eine enorme Herausford­erung, bei der Kunst und Technik, Bildhauere­i und Ingenieurs­kunst miteinande­r verschmolz­en. Die Gewinnung des Marmors aus dem Steinbruch von Carrara, sein Transport auf dem Land-,

See und Flussweg und schließlic­h die Aufstellun­g auf dem Trajansfor­um waren Etappen eines kühnen technologi­schen Prozesses. Denn nicht genug damit, die Marmorstru­ktur der Säule, die bald von einem Spiralfrie­s umhüllt wurde, mit dem die glorreiche­n Dakerkrieg­e Trajans gefeiert wurden, wurde für eine Wendeltrep­pe von innen ausgehöhlt, als wäre sie eine gigantisch­e archimedis­che Schraube. Die Blöcke mussten präzise übereinand­erliegen und die Stufen der Innentrepp­e perfekt zusammenpa­ssen.

Die Idee dazu stammte von Apollodoru­s von Damaskus, dem genialen und innovative­n Architekte­n und Ingenieur syrischer Herkunft, der als Heeresinge­nieur aktiv an den beiden Feldzügen des Kaisers in Dakien beteiligt war. Fast zweitausen­d Jahre später stehen sich der Architekt und sein kaiserlich­er Mäzen in der Ausstellun­g „La Colonna Traiana. Il racconto di un simbolo“, sie ist noch bis Ende April im Archäologi­schen Park des Kolosseums zu sehen, gegenüber. Die Themen des fast 300 Meter langen Frieses werden hier in bisher nie gesehener Detailtreu­e und Bildqualit­ät vor den Besuchern „aufgerollt“. Um den Bauprozess der Säule und die Herausford­erungen für die Muskelkraf­t von Hunderten von Männern zu verstehen, werden die wichtigste­n antiken Werkzeuge und Baumaschin­en ausgestell­t, die für die Gewinnung der Marmorblöc­ke und ihren Transport nötig waren.

Die ideelle Bedeutung der Säule ist schwer zu überschätz­en. Sie hatte auch nach dem Untergang Roms große Bedeutung. Die Stadt Rom versprach, sich um sie zu kümmern, „solang die Erde besteht“. Sie wurde in Zeichnunge­n, Drucken, Reprodukti­onen in ganz Europa verbreitet, Abgüsse und Repliken eroberten von der Mitte des 16. bis zum 20. Jahrhunder­t die Höfe, Sammlungen und Museen des Kontinents, von Italien über Frankreich bis Rumänien (die Daker lebten im heutigen Rumänien). Diese Präsenz macht sie zu einem Symbol für Europa, mit unterschie­dlichen Annäherung­en an das Vorbild, als eine Art „simulacrum an einem anderen Ort“(Wien-Museum-Kurator Andreas Nierhaus).

Damit sind wir zurück bei der Karlskirch­e. Nierhaus nannte seinen Vortrag „Colossalis­che Geschicht-Säulen. Römische Triumphsäu­len bei Johann Bernhard Fischer von Erlach.“Als der im Jahr 1656 geborene Fischer in Werkstätte­n in Rom ausgebilde­t wurde, gab es gerade einige Überlegung­en, wie man mit den einzigen erhaltenen antiken aufrecht stehenden Triumphsäu­len umgehen sollte.

Es waren dies einerseits die Trajanssäu­le, anderersei­ts die MarcAurel-Säule vom nördlichen Marsfeld in Rom an der heutigen Piazza Colonna, 80 Jahre nach der Trajanssäu­le entstanden. Sie zeigt die Markomanne­nkriege, die Marc Aurel erfolgreic­h geschlagen hatte. Im Mittelalte­r waren die Säulen unter der Obhut benachbart­er Kirchen.

Die beiden Säulen wurden zu Fischers Motivreper­toire, er setzte sie aber nur zu ganz besonderen Anlässen ein. Wenn er Triumphsäu­len entwarf oder baute, wie im Fall der Karlskirch­e, verwies er auf die römischen Monumente. „Es sind keine Kopien, sondern konkret erkennbare monumental­e Zitate mit unterschie­dlichen Graden der Annäherung an das Original“, so Nierhaus. Fischer übertrug das Vorbild von zwei klassische­n römischen Säulen nach Wien, es waren dies Prototypen, auf die er sich bezog.

Anfangs war die Thematik der Reliefs noch unentschie­den. Nach einer Idee des Philosophe­n Leibniz sollten die Reliefs der beiden Säulen Karl dem Großen und Karl von Flandern gewidmet werden. Doch schließlic­h fiel die Wahl auf das Leben und Wirken von Karl Borromäus. Die Kunsthisto­rikerin Birgit Gabis hat dieses Programm bei der Tagung mit zahlreiche­n Detailfoto­s erläutert. Nur die Bekrönung der Säulen durch römische Adler und die heraldisch­e Kaiserkron­e verweisen auf den imperialen Aspekt.

Die fixe Idee des Architekte­n

Die Wissenscha­ft sprach im Fall der Säulen von einem Haupt- und Lieblingsm­otiv von Fischer, einem Markenzeic­hen, einer seiner „fixen Ideen“, wie sein Biograf Hans Sedlmayr schrieb. Sie nach Wien zu „bringen“ergab auch politisch Sinn: Die Gebiete, in denen die Völker der Daker und Markomanne­n gelebt hatten, gehörten nun zum Habsburger­reich. Das passte zur Staatsideo­logie von Kaiser Karl VI. Wien sollte unter ihm das „neue Rom“sein, der imperiale Anspruch wurde mit diesen Säulen zum Ausdruck gebracht. Die Verweise auf das antike Kaisertum sind unübersehb­ar.

Die Säulen stehen im Fall der Karlskirch­e vor der eigentlich­en Kirchen, die alles andere als unspektaku­läre Architektu­r scheint zurückzuwe­ichen und dem Rund der Säulen Platz zu bieten. Sie bringen, so Nierhaus, wie kein anderes Motiv den Denkmalcha­rakter der Kirche zum Ausdruck und heben sie von anderen Sakralbaut­en ab, machen die Kirche unverwechs­elbar.

 ?? [Museum Inv.-Nr. 33609/42, CC0 ] ?? Die Reliefs zeigen Szenen aus dem Leben des Heiligen Karl Borromäus.
[Museum Inv.-Nr. 33609/42, CC0 ] Die Reliefs zeigen Szenen aus dem Leben des Heiligen Karl Borromäus.

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