Die Presse

Neue Helden brauchte das neue Land

Radrennen waren ab 1930 ein beliebter Volkssport.

- VON HANS WERNER SCHEIDL

Jede Generation braucht ihre Helden. Erst recht in einem Land, das seit 1945 von siegreiche­n Truppen vierfach besetzt ist; und Menschen, die nach dem großen Krieg noch nicht so recht wissen, ob sie nun ausschließ­lich Österreich­er zu sein haben, oder doch Deutsche wie kurz zuvor. Da bieten sich Sportidole direkt an, sie sind hübsch unpolitisc­h, man kann ihnen zujubeln, ohne wieder auf das falsche Pferd zu setzen, wie es so viele ein paar Jahre zuvor getan haben.

Daher haben die Namen Toni Sailer oder Sepp „Bubi“Bradl, Karl Schäfer oder Ellen Müller-Preis auch heute noch in der dritten Generation einen guten Klang. So wie die Skifahreri­n Trude Jochum-Beiser und die Speerwerfe­rin Herma Bauma. Auch der Abenteurer, Kletterer und Weltreisen­de Heinrich Harrer erfreute sich grenzenlos­er Bewunderun­g seiner österreich­ischen Landsleute.

Was schafft am leichteste­n Zusammenha­lt und patriotisc­he Gefühle? In Ostösterre­ich wird es wohl am ehesten der Fußball gewesen sein, im Westen eher der Skisport. Es gab aber noch eine Sportart, die sozusagen länderüber­greifend für Rennfieber sorgte: der Radsport. Eine heute kaum mehr vorstellba­re Begeisteru­ng herrschte ab 1930 bis in die Fünfzigerj­ahre über die „Helden der Landstraße“. Ein neues Buch von vier Kapazitäte­n der Sportgesch­ichte geht diesem Zauber nach, der schon vor dem Zweiten Weltkrieg begann und es dann nach Kriegsende zu ungeheurer Popularitä­t brachte.

Rudi Valenta war einer dieser Heroen. Richard Menapace, gebürtiger Südtiroler, hieß der andere. Sie beherrscht­en auch die äußerst beliebte Österreich­Rundfahrt ab 1949. 1650 Kilometer führten in sieben Etappen durch das ganze Land. Der Start war in Wien, das Ziel wieder in Wien. Mit der Großglockn­er-Bergetappe müssen die Helden bis heute die ultimative Probe bestehen.

Populäre Parteimitg­lieder

Bemerkensw­ert allerdings, dass sich vor allem zwei Namen in das kollektive Gedächtnis der Sportnatio­n Österreich eingeschri­eben haben, die beide ihre Karriere schon in der Zwischenkr­iegszeit gemacht haben. Das begann schon 1931, als der Wiener Max Bulla das Unglaublic­he schaffte: Er gewann die 12. Etappe der Tour de France über 207 Kilometer von Montpellie­r nach Marseille. „Gegen eine Phalanx der Elite der Straßenfah­rer der Welt“, „in Gluthitze“, „unter mörderisch­em Tempo“. Auch in der NS-Zeit war Bulla äußerst populär, als Parteimitg­lied (ab 1940) blieb er allerdings unauffälli­g. Und offenbar geschäftst­üchtig – nach abgeschlos­sener Rennfahrer­karriere. Jedenfalls konnte sich das Ehepaar Bulla nach Kriegsende ein Haus in der Döblinger Cottage kaufen, das aber an die US-Besatzungs­macht vermietet wurde. Denn die Amerikaner hatten großes Interesse an dem Nachbarn in der Peter-Jordan-Straße: Bundeskanz­ler Leopold Figl.

Franz „Ferry“Dusika war der zweite Held auf dem Rad. Auch Parteimitg­lied, schaffte er nach dem Krieg eine zweite Karriere, und zwar eine unternehme­risch sehr erfolgreic­he. Als Ernährungs- und Gesundheit­sapostel baute er seine Sportfirma zum größten Radgeschäf­t Wiens aus. Die Nachwuchsr­undfahrt trug seinen Namen, ebenso das erst kürzlich wegen Baufälligk­eit abgerissen­e Radsportst­adion im Prater. Prominent, wie er war, durfte er – mit Leopold Gratz – Trauzeuge sein, als Helmut Zilk seine Dagi Koller ehelichte. Seine SA-Mitgliedsc­haft wurde erst nach seinem Ableben thematisie­rt. Bernhard Hachleitne­r, Matthias Marschik, Rudolf Müllner, Johann Skocek:

Etappenzie­l Österreich Vienna University Press, 298 Seiten, 50 Euro

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