Die Nette-Leit-Show oder: Die Infantilisierung der Politik
Warum das Kindliche in Gesellschaft und Politik einen neuen Höhepunkt erreicht hat, und was FPÖ-Taktik und ÖVP-Kampagne damit zu tun haben. Ein Fallbeispiel.
Vor rund 30 Jahren war Hermes Phettbergs „Nette-Leit-Show“für ein Jahr im ORF so etwas wie Kult. Kann es sein, dass sich jemand im ÖVPWerbeteam daran erinnert und sich gedacht hat, was damals in bestimmten Gesellschaftsschichten so populär war, könnte jetzt auch funktionieren? Und schon waren die Werbesprüche „Das ist für die Leit-Kultur“geboren. Phettbergs Coup plus dem einen oder anderen FPÖ/ AfD-affinen Spruch, was kann da schon schiefgehen?
Alles, wie man jetzt weiß. Die ÖVPWerber haben sich da mit offenbar ignoranter Zustimmung der Parteiführung in etwas verrannt, was mit dem Kulturverständnis, wie es Österreich gern in der Welt verbreitet, rein gar nichts zu tun hat. Es ist vielmehr Ausdruck einer erschreckenden Infantilisierung des Politischen. Im Vergleich dazu wirkt der Spruch des früheren Wiener Bürgermeisters Michael Häupl vom Wahlkampf als „fokussierte Unintelligenz“wie ein Aphorismus von Hermann Hesse.
Wer sind „die Leit“, die sich von der ÖVP angesprochen fühlen sollen? Jene, die sich mit fantasielosen Begriffspaarungen wie „Gleiche Rechte für Mann und Frau“oder „Meinungsfreiheit und Demokratie“zur Stimmabgabe locken lassen? Jene, die der Forderung „Integration durch Anpassung“und der Drohung, bei Nichterfüllung aus dem Land geworfen zu werden, etwas abgewinnen können?
„Wer glaubt, einer Frau, nicht die Hand zu geben, weil sie unrein ist, muss gehen.“Wer will bitte feststellen, aus welchem Grund man den Handschlag verweigert? Muss ich jetzt Österreich verlassen, weil ich seit der Pandemie Händeschütteln für so überflüssig halte wie die Amerikaner seit jeher? Wer wird nach dem Grund fragen (dürfen)? Was hat sich da jemand bei diesem Sujet gedacht? Darf ein Moslem bleiben, weil er eine Hautkrankheit geltend macht, oder muss einer gehen, weil ihm nicht schnell genug eine Erklärung eingefallen ist?
Daran und an allen anderen „Muss gehen“-Sätzen lässt sich die oben erwähnte Infantilisierung der Politik in ihrer gröbsten Ausformung erkennen. Parteien setzen offenbar in der Hoffnung auf sie, sie habe in einer zunehmend infantilen Gesellschaft die erwünschte Wirkung. Es fällt auf, dass vor vier Jahren, also im ersten Jahr der Covid-Krise, 2020, eine wahre Flut von Büchern auf den Markt gekommen ist, die sich alle mit dem Phänomen der infantilen Gesellschaft beschäftigt haben. Das bekannteste darunter stammt vom Korrespondenten der „Neuen Züricher Zeitung“in Berlin, Alexander Kissler. Aber auch Österreichs umtriebiger Philosoph Konrad Paul Liessmann ergriff dazu die Wörter und den „Babyelefanten“als Beispiel dafür, dass Politiker dazu tendieren, Wähler wie kleine Kinder zu behandeln.
In demokratischen Gesellschaften ist es nicht angebracht, sich über die zunehmende Infantilisierung lustig zu machen. Sie bedeutet nämlich eine Abwehrhaltung bei Überforderung. „Die Leit“sind in dieser Situation anfällig für stark vereinfachte Erklärungen, wie im Kindesalter eben. Das haben Herbert Kickl und die FPÖ lang vor der ÖVP erkannt. Deshalb profitieren sie auch am meisten von der raschen Abfolge der Krisen. Wenn Kickl bei jeder Rede hinausbrüllt, nur er könne die Dinge in Ordnung bringen, entspricht das genau dem Wunsch des Publikums, für nichts selbst verantwortlich zu sein.
Die Infantilisierung ist in gewisser Hinsicht schuld an der schlechten Stimmung. Sie verstärkt nämlich das Gefühl, man selbst trage keine Verantwortung für die Zustände, sondern nur die Politik. So kann der Einsatz des Kindlichen in der politischen Werbung auch ein Schuss ins Knie sein. Je nachdem, wie raffiniert er ist.
Wahrscheinlich tut man Phettberg und seiner Show unrecht, denn im Vergleich zur Provinzialität der ÖVP-Werbung hatte diese bei allem absurden Ablauf und bei aller Missachtung jeglicher Ästhetik noch so etwas wie einen intellektuellen Anspruch.