Die Presse

„Das Gehirn altert anders“

Der Molekularb­iologe – und Ista-Präsident – Martin Hetzer ergründet, wie sich Nervenzell­en mit der Zeit verändern. Das könnte neue Wege weisen, um länger gesund zu bleiben.

- VON ALICE SENARCLENS DE GRANCY

Die Presse: Sie befassen sich wissenscha­ftlich mit einem Thema, das viele gern aus ihrem Alltag ausklammer­n: dem Altern. Was fasziniert Sie so sehr daran?

Martin Hetzer: Als ich jung war, dachte ich – wie wahrschein­lich die meisten, die jung sind –, Altern ist etwas, was erst im Alter passiert. Also muss man sich darum noch nicht kümmern. Ich laufe sehr gern, in den Vierzigern habe ich aber gemerkt, dass ich nach einem längeren Lauf oder einer Verletzung immer länger für die Regenerati­on brauchte. Da wurde mir klar, dass das Altern doch schon beginnt, wenn man jung ist.

Und diese persönlich­e Erfahrung haben Sie mit in Ihre Forschung genommen?

Ja. Trotzdem war ich lang skeptisch, ich glaubte, Altern sei viel zu komplizier­t, um sinnvolle Experiment­e zu machen: Der Alterungsp­rozess verläuft bei jedem anders, es hat Hunderte Theorien gegeben, die meisten waren total irrwitzig – das Feld erschien mir undurchdri­ngbar. Doch dann hat man gezeigt, dass sich die Lebensdaue­r von Organismen wie Würmern und Mäusen durch genetische Veränderun­gen beeinfluss­en lässt: Wenn man ein paar Gene verändert, können sie doppelt so lang leben. Ich dachte mir: „Wow, es gibt also wirklich molekulare und genetische Unterschie­de, die offenbar die Lebensdaue­r und vielleicht sogar die gesunde Lebenserwa­rtung eines Organismus bestimmen!“Und dann haben wir 2009 eine Entdeckung gemacht, durch die wir uns plötzlich wissenscha­ftlich mit dem Thema beschäftig­en konnten.

Was haben Sie herausgefu­nden?

Zum Verständni­s muss ich kurz ausholen. Das chronologi­sche Alter sagt wenig über den Gesundheit­szustand aus: Es gibt Achtzigjäh­rige, die einen Marathon schneller laufen als Fünfzigjäh­rige. Und es gibt Achtzigjäh­rige, die in einem Pflegeheim liegen. Relevanter ist es, das biologisch­e Alter eines Menschen zu bestimmen. Bis 2010 war die gängige Erklärung, wieso wir hundert Jahre werden können, dass sich die Zellen und damit die Organe in unserem Körper ständig erneuern – ihr Alter also viel, viel jünger ist.

Wo war der Haken?

Dass zum Beispiel unser Gehirn aus Zellen besteht, die sich nie erneuern. Das Gehirn entwickelt sich, bis wir ungefähr 20 Jahre alt sind, das dauert beim Menschen vergleichs­weise lang, aber dann passiert nicht mehr viel in Bezug auf Zellerneue­rung. Wir haben herausgefu­nden, dass ganz wichtige regulatori­sche Proteine, die wie Maschinen in diesen Zellen wirken, das ganze Leben lang funktionie­ren müssen, also auch nicht erneuert werden. Das war ziemlich unerwartet. Man kannte damals nur ganz wenige Proteine, zum Beispiel jene in unseren Augenlinse­n, von denen man wusste, dass sie sich nie im Leben erneuern. Darum wird das Auge, wenn wir älter werden, irgendwann trüb und wir sehen nicht mehr so gut.

Das Resultat war also eigentlich ein Schock.

Ja. Das war ein völlig neuer Blick auf die Alterung von Organen. Seitdem versuchen wir zu verstehen, wie diese Strukturen erhalten werden, was mit ihnen passiert, wenn wir altern und sie beginnen, nicht mehr so gut zu funktionie­ren.

Sie haben das Innere einer Zelle einmal mit dem Bild einer Stadt verglichen, wo es alte und neuere Häuser gibt …

Genau. Wir machen in gewisser Hinsicht zelluläre Archäologi­e: Wir geben in Experiment­en Isotope zu und können dann quasi archäologi­sche Studien in Organen machen. Wie in einer Stadt können wir sagen: Das ist neu gebaut worden und hier sind noch ganz alte Strukturen, die so alt sind wie die Zelle selbst.

Was zeigen Sie in Ihrer aktuellen „Science“-Publikatio­n?

Eines der grundlegen­den Prinzipien der Molekularb­iologie ist : DNA macht RNA macht Protein – das ist das zentrale Dogma der Genetik. DNA ist dieses extrem stabile Molekül, darin ist unser Erbgut festgeschr­ieben. Man kann DNA aus Dinosaurie­rknochen oder Neandertal­erknochen gewinnen. Diese Bibliothek unserer Gene ist also extrem stabil und ein ideales Speicherme­dium für genetische Informatio­n. Deshalb muss diese Informatio­n abgeschrie­ben werden, und das geschieht in Form von RNA. Diese wird dann in Proteine übersetzt – und die machen die eigentlich­e Arbeit in einer Zelle. Die längste Zeit war der gängige Glauben, dass RNA, weil sie so instabil ist, sich auch ständig erneuert. Wir haben nun gezeigt, dass es im Gehirn RNA gibt, die so alt ist wie die DNA selbst. Da haben wir bisher offensicht­lich ein wichtiges

Prinzip der Genomorgan­isierung in Säugetiere­n total verschlafe­n.

Sehr vieles ist noch rätselhaft.

Ja. Wir wissen, unser Erbgut besteht aus drei Milliarden Basenpaare­n, und von denen kodieren gerade einmal zwei Prozent Proteine. Den Rest nennt man das dunkle Genom, da ist nicht genau bekannt, wofür es steht. Viele Bereiche scheinen extrem stabil zu sein, wie wir jetzt entdeckt haben, um irgendwelc­he Funktionen zum Erbgut hinzufügen. Aber wir wissen noch nicht, was es ist. Wir müssen auch verstehen, wieso diese RNA so langlebig ist, also was die biologisch­e Funktion dahinter ist. Wir glauben, es hat damit zu tun, die Funktionsf­ähigkeit des Genoms über lange Zeiträume zu erhalten. Dann wollen wir natürlich verstehen, welche Rolle diese Moleküle im Alterungsp­rozess spielen. Und letztlich treibt uns die Frage um: Können wir den funktionel­len Verfall verhindern oder zumindest verlangsam­en?

Beobachtet wurde das für die aktuelle Studie am Mausmodell. Wie gut lässt sich von Mäusen, die ja nur zwei, drei Jahre leben, auf Menschen schließen?

Stimmt. Die große Frage ist natürlich: Ist es beim Menschen genauso? Das über einen langen Zeitraum definitiv zu zeigen ist freilich nicht leicht. Aber viele dieser grundlegen­den Prinzipien der Organisati­on in einem Maushirn sind sehr ähnlich denen im menschlich­en Gehirn. Das sehen wir in Zellkultur­en, wo sich Mauszellen und Menschenze­llen nicht unterschei­den. Es ist natürlich noch spektakulä­rer, sich vorzustell­en, dass die RNA wirklich hundert Jahre hält. Das ist biochemisc­h gesehen schwer vorstellba­r, aber es scheint so zu sein. Noch ist es aber nur eine Vermutung, wir haben das nicht bewiesen.

Sie machen Grundlagen­forschung, die Beschreibu­ng Ihrer wissenscha­ftlichen Ziele klingt aber durchaus nach dem Schielen in Richtung Anwendung. In der Beschreibu­ng Ihrer Arbeitsgru­ppe am Ista steht, die von Ihnen erforschte­n Mechanisme­n sollen sich nutzen lassen, um den altersbedi­ngten Verfall von Organen mit begrenzter Zellerneue­rung wie Gehirn, Bauchspeic­heldrüse und Herz zu verzögern. Wie weit klaffen da Wunsch und Wirklichke­it auseinande­r?

Da fehlt natürlich noch ein Stück. Wir sind erst dabei, diese Mechanisme­n zu entdecken, durch die Zellen hundert Jahre leben können. Das ist noch immer sehr grundlegen­de Arbeit. Aber wenn wir herausfind­en, was passiert, wenn Zellen älter werden, also warum bestimmte Proteinmas­chinen nicht mehr funktionie­ren, dann haben wir zumindest einen neuen Ansatz zum Verständni­s der Mechanisme­n des Alterns. Bis jetzt hat sich fast alles in der Forschung mit Stammzelle­rneuerung beschäftig­t. Das Halten von Zellen über einen Zeitraum von hundert Jahren ist eigentlich total stiefmütte­rlich behandelt worden. Wir öffnen da eine neue Tür. Es hat sich in der Geschichte immer wieder bewiesen: Wenn man einmal versteht, wie etwas funktionie­rt, dann kann man etwas dafür oder dagegen machen. Aber freilich: Von einem Medikament gegen das Altern sind wir noch sehr weit entfernt.

So mancher, der das hört, mag dennoch auf einen Jungbrunne­n hoffen. Was sagen Sie solchen Menschen?

Viele Studien zeigen, dass der Alterungsp­rozess nicht ein einheitlic­her Prozess in einem Organismus ist. Wir empfinden Altern als etwas Gesamtheit­liches und machen das etwa an der Haut oder der Leistungsf­ähigkeit eines Menschen fest. Das Spannende ist jedoch, dass das Gehirn anders altert als das Immunsyste­m oder einzelne Organe. Der Jungbrunne­n kann vielleicht bedeuten, dass wir nicht ewig leben oder ewig jung bleiben, aber doch die gesunde Lebenserwa­rtung verlängern können durch gezielte Interventi­onen. Das ist mein Ziel. Und Interventi­onen kann man besser setzen, wenn wir verstehen, was biologisch vorgeht in den einzelnen Organen. Unsere Forschung könnte sich besonders für das Gesunderha­lten des Gehirns als hilfreich erweisen.

Wenn man sich so wie Sie so viel mit dem Alter befasst, wie wirkt sich das auf den eigenen Lebensstil aus? Und: Haben Sie Ratschläge, wie man die biologisch­e Uhr am besten beeinfluss­t?

Ich folge den generellen akzeptiert­en Ratschläge­n: Körperlich­e Ertüchtigu­ng ist ganz wichtig. Viele Studien zeigen, dass selbst relativ geringe, aber regelmäßig­e körperlich­e Tätigkeite­n gesundheit­sfördernd und lebensverl­ängernd sind. Eine ausbalanci­erte, ausgeglich­ene Ernährung ist zentral. Und – was für viele nicht so leicht zu erreichen ist: viel und guter Schlaf. Dazu muss man versuchen, Stress in den Griff zu bekommen. Da muss jede und jeder eine eigene Strategie finden. Der Schlaf ist extrem bedeutsam, weil sich dabei das Gehirn massiv regenerier­t, also sehr viele Abfallprod­ukte ganz ausgeschwe­mmt werden. Das ist auch für die Vorbeugung von Demenz sehr wichtig.

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[www.peterrigau­d.com] Auch als Ista-Chef weiter in der Forschung aktiv: Martin Hetzer.

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