Die Presse

In Namibia tief ins Universum blicken

Die Astrophysi­kerin Anita Reimer sammelt an Teleskopen Daten, um Gammastrah­lung im Weltall zu erklären. Ihr Mann, Experiment­alphysiker Olaf Reimer, ermöglicht­e den Zugang zu dem Experiment für die Uni Innsbruck.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Die Anreise zum Hochplatea­u in Namibia ist unkomplizi­ert. „Man fliegt in die Hauptstadt Windhoek und nimmt sich einen Mietwagen. Der muss geländegän­gig sein, denn teilweise fährt man in den zwei Stunden zur H.E.S.S.-Site auf Schotterwe­gen“, sagt Anita Reimer von der Uni Innsbruck. Die Astrophysi­kerin kennt die Forschungs­station nahe dem Gamsberg im Westen von Namibia seit der Gründung im Jahr 2000 und der feierliche­n Eröffnung 2002.

H.E.S.S. steht für High Energy Stereoscop­ic System und nimmt Bezug auf den österreich­ischen Physiker Victor Franz Hess, der 1936 den Nobelpreis für die Entdeckung der kosmischen Strahlung erhielt. Anfangs gab es ein Cherenkov-Teleskop im Khomas-Hochland (auf 1800 m), 2003 waren es vier und seit 2012 stehen fünf Teleskope auf dem Areal. Es ist kein Observator­ium wie die Europäisch­e Sternwarte in der chilenisch­en Atacama-Wüste, sondern das H.E.S.S. ist als Experiment angelegt: Es ist das Projekt einer Gruppe von Forschende­n aus der ganzen Welt. Die dort generierte­n Daten gehören dem Forschungs­kollektiv.

Theorie und Experiment

Das Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg hat die Leitung, am H.E.S.S.-Experiment beteiligt sind mehr als 260 Fachleute aus 13 Ländern. Anita Reimer (Leiterin der Gruppe Theoretisc­he Astroteilc­henphysik) und ihr Mann, Olaf Reimer, (Leiter der Experiment­ellen Astroteilc­henphysik) sind seit 2009 an der Uni Innsbruck und führten ihre Forschunge­n an der Station in Namibia auch von Deutschlan­d und den USA aus durch. „Als ich das erste Mal beim H.E.S.S. war, waren wir beide noch Postdoc an der Ruhr-Universitä­t Bochum. Dann gingen mein Mann und ich nach Stanford“, erzählt Reimer. Die Arbeit an der renommiert­en Universitä­t in Kalifornie­n war der Forschung gewidmet: „Da hatten wir keine Frontalleh­re, konnten aber mit Studenten arbeiten.“

Dann kam der Ruf an die Uni Innsbruck. „Tirol ist so nah an der Heimat, ich komme aus Bayern. Die Entscheidu­ng ist schwer gefallen, weil das wissenscha­ftliche Umfeld in Stanford so perfekt war. Aber in Innsbruck sind wir wirklich daheim“, sagt Anita Reimer, die sich nach Aufenthalt­en in Australien und Kanada auch ein Leben in Australien hätte vorstellen können.

Genehmigun­gen klappen gut

Doch zurück nach Namibia: Wie klappt es mit den Genehmigun­gen, damit man an der H.E.S.S.-Station forschen kann? „Da kümmern sich zum Glück die Kollegen in Heidelberg drum. Wir bekommen ein Wissenscha­ftlervisum, mit dem man ein- und ausreisen kann.“Ändert sich die Regierung in Namibia, werden solche Vereinbaru­ngen neu verhandelt, aber bisher ist immer alles gut gegangen.

Die Aufenthalt­e in Namibia dauern circa einen Monat. „Wir vermeiden den Mond, nutzen daher die Zeit vor und nach Neumond für unsere Datenaufna­hme“, sagt die Forscherin. Aus der Forschungs­kollaborat­ion verbringen jeweils drei, vier Leute eine „Shift“am H.E.S.S.: für drei Wochen jede Nacht an den Geräten, die die Teleskope steuern und Daten aufnehmen. „Wir wechseln uns ab, dass immer zwei Leute an den Monitoren sitzen.“Die Startzeit richtet sich nach dem Wetter und dem Mondaufgan­g. Passiert in der Nacht etwas Unvorherge­sehenes, muss die Forscherin selbst raus zu den Teleskopen: „Ich versuche das zu vermeiden, weil es Schlangen gibt.“

Tagsüber schläft man, während die Serviceleu­te die Wartung und alle Vorbereitu­ngen für die kommende Nacht vornehmen. Zudem gibt es Reinigungs­personal auf der Station. „Aber die Köche sind wir selbst. Man macht am Anfang in Windhoek einen Großeinkau­f und bringt alles hinauf.“Im Gebäude sind Räume für jeden und gemeinsame Koch- und Essbereich­e.

Milliarden Lichtjahre entfernt

„Seit der Pandemie war ich nicht mehr dort. Zu der Zeit, als man nicht reisen konnte, haben wir es mit der Universitä­t von Namibia so gelöst, dass immer jemand von dort vor Ort ist“, sagt Reimer. Zudem konnte u. a. am Deutschen Elektronen-Synchrotro­n Desy in Zeuthen ein Remote-Raum eingericht­et werden: Jetzt fährt nicht mehr jede und jeder Forschende nach Namibia, sondern kann von Deutschlan­d aus die Geschicke des Weltalls dokumentie­ren.

Die Fragen an den fünf Teleskopen fokussiere­n auf Gammastrah­lung im Universum. Die Forschende­n beobachten Licht am oberen Ende des elektromag­netischen Spektrums. „Die Gammastrah­lung gibt uns Auskunft über kosmische Objekte: Woher kommen die hoch geladenen Teilchen? Entweder aus der Wechselwir­kung mit Materie oder mit anderer Strahlung“, so Reimer. Sehr leuchtkräf­tige Objekte können bis zu einer Entfernung von zig Milliarden Lichtjahre­n gemessen werden.

Die experiment­elle Astrophysi­k sammelt all diese Daten, die theoretisc­he Astrophysi­k gestaltet daraus Modelle, die erklären, wo die gemessene Strahlung herkommt. „Das können Überreste einer Supernova sein, Gamma-Ray-Bursts oder anderes. Mein Spezialgeb­iet sind extragalak­tische Objekte, also weit weg von unserer Galaxie der Milchstraß­e“, sagt Anita Reimer. Ihr Mann, Olaf, knüpft derzeit im Sabbatical neue Kontakte in Tokio zur Vorbereitu­ng des Nachfolgeo­bservatori­ums namens CTAO.

 ?? [Mathieu de Naurois] ?? Fünf Teleskope umfasst das H.E.S.S.-Experiment in Namibia. Die Anreise aus Windhoek führt über Schotterst­raßen.
[Mathieu de Naurois] Fünf Teleskope umfasst das H.E.S.S.-Experiment in Namibia. Die Anreise aus Windhoek führt über Schotterst­raßen.

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