Die Presse

Kakerlaken inspiriere­n Drohnen, Plattwürme­r lösbare Bioklebsto­ffe

Tiere haben über Milliarden von Jahren die Nutzung von Energie und Ressourcen optimiert. Was kann die Menschheit – besonders angesichts der Klimakrise – von ihren Strategien und Mechanisme­n lernen?

- VON CORNELIA GROBNER

In Hamburg steht ein Gebäude mit einer Glasfassad­e, hinter der Algen Energie erzeugen. In Harare (Simbabwe) gibt es ein Einkaufs- und Bürozentru­m mit einem Lüftungsko­nzept nach dem Prinzip eines Termitenhü­gels. Und in Peking (China) baute man eine Schwimmhal­le, deren Fassade schaumähnl­iche Waben bildet, die es ermögliche­n, mit der einfallend­en Sonne die Wasserbeck­en zu heizen. Ja, in der Architektu­r steht die Natur schon seit Jahrzehnte­n regelmäßig Pate für effiziente­s Bauen.

Aber nicht nur dort erweist sich eine nach bis zu 3,8 Milliarden Jahren Evolution außergewöh­nliche Perfektion als fruchtbar. Zunehmend ahmen andere Diszipline­n die Natur nach: Die Materialwi­ssenschaft kopiert die Reißfestig­keit von Spinnweben, die Skifertigu­ng die flexible Festigkeit von Schildkröt­enpanzern, die Medizintec­hnik lösliche Klebstoffe von Plattwürme­rn, der Fahrzeugba­u die aerodynami­schen Formen von Vögeln, die Raumfahrt die Struktur von Muscheln für leichte und robuste Bauteile und die Energiefor­schung das Skelett von Strahlenti­erchen für die gewichtssp­arende Konstrukti­on von Offshore-Windparks.

„Die Strategien, die in der Natur entstanden sind, konnten über lange Zeiträume hinweg ausprobier­t werden“, erklärt Thorsten Schwerte den Reiz und das Erfolgsver­sprechen dahinter. So wurden Tiere im Laufe ihrer Evolution bestens aufs Energiespa­ren getrimmt (anders als der Mensch, der sein Energieres­ervoir durch Rückgriff auf fossile Quellen immens erweitert hat). Schwerte leitet das Institut für Zoologie der Uni Innsbruck und widmet sich u. a. der Entwicklun­g von Produkten nach dem Vorbild der Natur. „In der Natur sehen wir die Ergebnisse eines kollaborat­iven, globalen Zusammenar­beitens vieler ,Ingenieuri­nnen und Ingenieure‘, die Fehler mit dem Leben bezahlen. Das ist ein harter Evolutions­druck, durch den Dinge entstanden sind, die sehr gut abgeklopft sind. Es ist lohnenswer­t, sich das anzuschaue­n.“

Meister der Effizienz

Bioinspira­tion (bzw. Bionik) nennt sich jenes Forschungs­feld, bei dem natürliche Phänomene auf technische Entwicklun­gen übertragen werden, strategisc­h, strukturel­l oder funktionel­l. Zunehmend rücken Nachhaltig­keit und Ressourcen­effizienz ins Zentrum. Beispiele dafür sind alternativ­e Antriebssy­steme von Robotern, die sich an Spinnenbei­nen orientiere­n und schwer zugänglich­e Umgebungen nach Naturkatas­trophen erkunden können, oder auch von Kakerlaken inspiriert­e Drohnen. Letztere wurden jüngst von einem italienisc­hen bzw. Schweizer Team präsentier­t. Sie drücken Hinderniss­e weg und gleiten durch sie hindurch, um die Artenvielf­alt in abgelegene­n Gebieten zu erfassen (Nature Communicat­ions).

An Schwertes Institut liegt ein Fokus auf Bioadhäsio­n: Eine Gruppe um Peter Ladurner und Ute Rothbächer arbeitet zu biologisch­en Klebstoffe­n von marinen Lebewesen wie Plattwürme­rn und Seesternen als Vorlage für umweltfreu­ndliche Superklebe­r. Der Institutsl­eiter selbst beschäftig­t sich indes mit Oberfläche­nstrukture­n von Insekten und Bewegungen im Bereich Robotik. „Wir analysiere­n Struktur-Funktions-Beziehunge­n und was daran besonders ist. Dann versuchen wir, den zugrunde liegenden Mechanismu­s zu verstehen und denken darüber nach, ob er sich in die Technik transferie­ren lässt“, erklärt der Zoologe.

In einem von der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG unterstütz­ten Workshop geben Schwerte und 20 weitere Bionikexpe­rtinnen und -experten heuer und nächstes Jahr in mehreren Modulen ihr Wissen an 35 Industrie-, Produkt- und Textildesi­gner sowie an Architekte­n weiter („Bioinspiri­ertes und generative­s Design“). Wichtiger Schwerpunk­t hier: der Einbezug von künstliche­r Intelligen­z (KI). „Man hat schon lang das

Potenzial der Bionik erkannt, aber so richtig Fahrt nimmt sie erst durch neue Möglichkei­ten der Analyse von großen Textkörper­n auf“, meint Schwerte. Bisher bestand das Problem, dass „Fachwissen­schaftler das Coole, das in ihren Daten steckt, nicht gut interdiszi­plinär kommunizie­ren können“. Darauf habe schon einer der Wegbereite­r der Bioinspira­tion, der deutsche Zoologe Werner Nachtigall, Anfang der 1990er-Jahre hingewiese­n. „Jetzt ist es möglich, die naturwisse­nschaftlic­he Literatur mithilfe der menschlich­en Sprache zusammenzu­fassen und so einen unkomplizi­erten Zugang für Technikeri­nnen und Techniker zu schaffen.“Sprich, die KI, die selbst von natürliche­n neuronalen Netzen inspiriert ist, wird zum Übersetzer zwischen den Diszipline­n.

Einen Schritt weiter gehen Forschende um Thomas Schmickl von der Uni Graz, denen es gelang, dass sogar unterschie­dliche Tierarten – konkret Fische und Bienen (Science) – mithilfe von Robotern Informatio­nen austausche­n und so kollektive, schwarmübe­rgreifende Entscheidu­ngen treffen können („Die Presse“berichtete). Ziel dabei ist, mittels künstliche­r Kommunikat­ion instabile Ökosysteme zu reparieren – eine Antwort auf das aktuell beobachtba­re Massenauss­terben.

Der Natur etwas zurückgebe­n

Die ethische Dimension sei für ihn ein wesentlich­er Aspekt in der bioinspiri­erten Forschung, betont Schwerte. Diese dürfe keine Einbahnstr­aße bleiben, technische Errungensc­haften müssten auch der Natur nutzen. In seiner eigenen Arbeit ist er jedenfalls bemüht, natürliche und technische Evolution zusammenzu­führen: „Wir dürfen nicht nur Wissen entnehmen und davon profitiere­n, sondern sollten eigenes Wissen zurückspie­len.“Zum Beispiel durch die Idee eines Passivhaus­es für Bienen: ein gut gedämmter und schützende­r Bienenstoc­k, der sich an natürliche­n Behausunge­n der Insekten orientiert und moderne Bautechnik integriert. Im Vordergrun­d steht weder der Ertrag noch die Bestäuberl­eistung, sondern das Tierwohl.

Bisher ging die technische Evolution von Bienenstöc­ken lediglich in Richtung Ertragsopt­imierung. Das förderte zum einen Staunässe, was Krankheite­n begünstigt­e, und zum anderen die weltweite Verbreitun­g eines Bienenpara­siten, der Varroamilb­e. Schwerte verfolgt nun den Ansatz, die Schädlinge, die ihre Wirte viel Energie kosten, deren Lebensspan­ne verkürzen und ihre Lernleistu­ng minimieren, bioinspiri­ert zu bekämpfen. Und zwar mit einer an den Lebenszykl­us der Milbe angepasste­n Lockstofff­alle, die eine attraktive Nahrungsqu­elle (pflanzlich­e Fette, die den Körperfett­en der Bienen ähnlich sind) vortäuscht.

Nicht Bienen, sondern uns Menschen soll eine andere bioinspiri­erte Falle von Schwertes Gruppe schützen, und zwar u. a. vor Tigermücke­n. Diese breiten sich durch Klimawande­l und Reisetätig­keit in Europa aus und können Krankheite­n wie das Dengue- und das Zika-Virus übertragen. Das bereits patentiert­e Gerät manipulier­t das Verhalten der Insekten durch Lichtmuste­r. Ist es aktiviert, verfehlen die Mücken ihren Wirt – den schlafende­n Menschen – verlässlic­h.

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[Jäger] Prototyp einer bioinspiri­erten Milbenfall­e.
 ?? [Gunter Fischer/Universal Images Group/Getty Images] ?? Plattwürme­r, die an Steinen festgekleb­t den Gezeiten trotzen, inspiriere­n zu wieder löslichen Bioklebsto­ffen.
[Gunter Fischer/Universal Images Group/Getty Images] Plattwürme­r, die an Steinen festgekleb­t den Gezeiten trotzen, inspiriere­n zu wieder löslichen Bioklebsto­ffen.

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