Die Presse

Was ist mit den Millionen passiert?

- RADEK KNAPP Autor und Obstverkäu­fer. Foto: Fabry Von Radek Knapp

In Folge 6 von „Kronprinz und Co“stellt uns der Obstverkäu­fer seine Nachbarn auf dem Markt vor. Besonders angetan hat es ihm eine Frau namens Bozena, von ihr hat er schon geträumt. Und er mag Anton, der in der „Millionens­how“gewonnen hat.

Es gibt acht Milliarden Menschen auf der Welt. Und jeder hat einen Nachbarn. Aber nicht jeder ist darüber begeistert. Die meisten würden ihren Nachbarn an die NASA verpfeifen, damit sie ihn ins Weltall befördert. Unser Marktstand scheint diesbezügl­ich das große Los gezogen zu haben. So gut wie alle gehören auf die Erde. Und zwar genau dorthin, wo sie gerade sind.

Gleich rechts von uns verkaufen drei Ostblockfr­auen Brot und Mehlspeise­n. In ihrem Stand steckt mehr Zucker als in einer ganzen Diabetes-Station im AKH. Als Bozena, ihre Anführerin, mir einmal eine Topfenschn­itte aufdrängte, hatte ich die ganze Nacht Visionen. Bozena ist Ostblockkl­assik und trägt das Herz auf der Hand. Aber wenn man ihr von Weitem nicht gleich „Hallo“zuruft, ist es vorbei. Am besten, man fällt ihr gleich um den Hals und sagt, dass sie die schönste Frau ist, die man in den letzten zehn Jahren gesehen hat. Und irgendwie stimmt das auch: Frauen wie Bozena haben ihre Länder auf dem Rücken durch den Kommunismu­s getragen. Sie schufteten täglich zehn Stunden in der Fabrik, zogen drei Kinder groß, aus denen menschlich­e Wesen wurden, während ihr Alkoholike­rMann unter dem Tisch sein Wodkakoma ausschlief. Da war keine Zeit für PilatesKur­se mit Aromathera­pie – und trotzdem fanden sie immer eine freie Minute, um sich den Lidschatte­n nachzuzieh­en. Im Gegensatz zu Lenin verdient Bozena ein Denkmal aus Bronze.

Da sind die beiden Bio-Mädchen am Stand links von uns aus anderem Holz geschnitzt. Man fragt sich, ob das überhaupt Holz ist oder eine neue rätselhaft­e Substanz, die groß im Kommen ist. Sie stecken in halluzinog­enen Blusen und einer selbst gewählten Zeitlupe. Sie sind immer kurz vor einem Burn-out und bringen trotzdem die Kraft auf, geldgierig zu sein. Sobald ich aus dem Markt bin, vergesse ich sie sofort, während ich von Bozena schon ein paar Mal träumte: Sie buk mir einen Kuchen, den ich auf der Stelle aufessen musste.

Der dritte Nachbar ist Anton mit seinem Käsestand. Er ist eine lokale Berühmthei­t. Anton macht angeblich den besten Bergkäse in diesem von Bergen gesegneten Land. Er hat irgendwo in Wien einen Keller, wo er ihm beim Reifen zusieht. Vor Jahren hat er so lange zugesehen, dass er alles auswendig gelernt hat, was man so auswendig lernen kann. Mit diesem Wissen bewarb er sich bei der ersten „Millionens­how“und gewann sie auf Anhieb. Zehn Millionen Schilling schwerer sah Anton dem Käse weiter beim Reifen zu, und seitdem fragen sich alle: „Was ist mit den Millionen passiert? Hat Anton sie verschenkt, damit sie ihn nicht beim Käsemachen stören?“

Den Kreis unserer Nachbarn rundet Ines ab. Sie verkauft schräg gegenüber von uns Schmuck, den sie selbst macht. Der Schmuck ist aus Metall und noch etwas. Er geht weg wie warme Semmeln, und Ines kann sich wirklich nicht beklagen. Aber Ines beklagt sich trotzdem. Sie ist die übel gelauntest­e Person auf dem ganzen Markt. Der Chef sagt: Das liegt daran, dass sie so gut aussieht. Menschen, die gut aussehen, sehen alles schwarz. Gut möglich, dass der Chef eine epochale Entdeckung gemacht hat und bald dafür den Nobelpreis bekommt. Bis dahin werde ich die Nachbarn im Auge behalten. Hier gehört vieles ordentlich durchleuch­tet.

Fortsetzun­g folgt

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