Red’ kan Holler!
Ich mache nun zweckdienliche Angaben zum Thema Bullshit und stelle geeignete Strategien vor, wie man ihn am besten anwendet. Kurz gesagt, ich erstelle ein vielseitiges Manuale für gehobenen Bullshit.
as Sie immer schon über Bullshit wissen wollten – das Standardwerk zum Thema, Harry. G. Frankfurts „On Bullshit“, erschienen in der Princeton University Press, versuchte sich darin, eine exakte Definition für den Begriff Bullshit zu finden, in Sonderheit ihn von Begriffen wie Humbug, Bluff oder gar von der ordinären Lüge abzugrenzen. In Hinsicht auf Letztere lässt der Autor Eric Ambler zu Wort kommen: Der erzählt in einem seiner Romane von einem Vater, der seinem Sohn folgenden Tipp auf den Lebensweg mitgibt: „Never tell a lie. Try to bullshit your way through!“Die überlegene Klugheit dieses Rates liegt, so Frankfurt, auf der Hand: Einer Lüge kann man überführt werden. Bullshit ist da viel geschmeidiger, gelenkiger, wenn richtig angewendet, kaum zu fassen.
Auf Frankfurts Überlegungen aufbauend, möchte ich versuchen, hier einige Anweisungen zu erarbeiten, ja Tipps zu geben, hilfreich für alle, die schreibend bemüht sind, sich einem Thema, nun sagen wir, geschmeidig zu nähern. Die Zielgruppe meiner Bemühungen ist nicht die Werbung, ich sage das ganz klar, weil man dort ohnehin bestens Bescheid weiß, neben einer zweiten, noch zu benennenden Gruppe längst den Parnass des Bullshits erklommen hat. Die zweite Gruppe, die sich gemeinsam mit der Werbung in den Adel des Bullshits, um es einmal so zu benennen, teilt, ist unzweifelhaft die Politik.
Um nun aber nicht selbst in den Verdacht wohlfeilen Bullshits zu kommen, steuere ich jetzt direkt auf mein Ziel zu, nämlich zweckdienliche Angaben zum Thema zu machen, geeignete Strategien vorzustellen, kurz gesagt, ein vielseitig anwendbares Manuale für gehobenen Bullshit und seinen Einsatz in geistig exzellierenden Hervorbringungen zu erstellen.
Grundsätzlich ist zu sagen, dass jede Äußerung im hier angesprochenen Sinn stets mit absoluter Gewissheit vorzutragen ist. Vom sogenannten Brustton der Überzeugung würde ich abraten: Da lehnt man sich doch zu sehr in Richtung seines Gegenübers hinaus. Nein, ein ruhiger, nur gelegentlich aufflackernder Vortragsstil ist in der Sache zu empfehlen; Beweise für das keinesfalls rechthaberisch Behauptete sind nebenher einzustreuen, gleichsam mit der linken Hand, geht es doch vor allem und zuerst darum, den Empfänger, den Leser oder Zuhörer, zum Komplizen zu machen, zu gewinnen: Der Adressat soll sich – und darin liegt zuerst einmal die Kunst – selbst, ja selbst als ebenso wissend, klug, gescheit, ja überlegen fühlen wie der Autor.
WDer Igel ist immer schon da
Die Frage Was ist Gift für gelungenen und perfekten Bullshit? lässt sich nun schon ganz leicht beantworten: Es ist der Zweifel in jeder Form, zuvörderst natürlich jede Art, ja der kleinste Anflug von Selbstzweifel. An der Stelle muss auf eine kleine Schwierigkeit hingewiesen sein: Die, ja, Verbrüderung mit dem Adressaten darf nie so weit gehen, dass der sich als gleichauf mit dem Hervorbringer des Bullshits empfindet. Diesem, ja, diesem allein müssen immer, und ich streiche das heraus, immer die Weihen der allerhöchsten Einsichten reserviert sein.
Er muss, um diesen Kernpunkt noch einmal zu illustrieren, dem Igel in der Grimm’schen Fabel „Der Hase und der Igel“ gleichen: Er ist immer schon da – Ick bün all hier! –, ist immer der Erste!
Was nun die Struktur, den Aufbau solcher Werke betrifft, gilt die eherne Regel, von ausgiebigen Studien derartiger Produkte hergeleitet, gilt die eherne Regel, was man eigentlich sagen will oder wollte, ganz am Schluss erst unverblümt auszustellen. Die Banalität einfach gebauter Sätze gilt es zu vermeiden, so es sich nur irgendwie machen lässt. Als Stilllage empfiehlt sich zum Einstieg Sachlichkeit: Sachlichkeit, das ist immer Seriosität. Leutseliges oder gar herablassendes Schulterklopfen ist zu vermeiden, so etwas macht sich ja nirgends gut, dagegen ist subtile, beiläufige Anbiederung im Stil von: Wie wir wissen … oder So viel ist klar … durchaus angebracht, stimmt sie den Leser oder Hörer ja aufs Partnerschaftliche ein: Man ist unter sich, ist auf demselben Niveau. Allmählich empfiehlt es sich dann aber doch, ein wenig dicker aufzutragen, aufs Gas zu steigen, das Vorgetragene gelegentlich mit Sarkasmen zu würzen, da und dort schon deftiger formulierte Anwürfe gegen dieses und jenes einzubauen, um schlussendlich, das bedarf freilich jeder Menge Fingerspitzengefühls, mit dem eigentlichen Anliegen groß herauszurücken. Das kann durchaus und gern in Form einer Anklage geschehen, was sage ich: Schließlich gibt es stets einen Gegner, ein feindseliges Gegenüber, an dem man zeigen kann, wie viel besser man ist, wie man doch alles durchschaut hat und besser weiß etc. Aus alldem ergibt sich, dass dialektischer Aufbau sich in jedem Fall anbietet, eine Auseinandersetzung zwischen Schatten und Licht, zwischen Hell und Dunkel, freilich diskret inszeniert. Mit der Tür ins Haus fallen wollen wir nicht. Wo käme man da auch hin! Wenn nötig, ziehen wir aber doch die eisernen Fäustlinge an.
Ein wenig vereinfachend könnte man vielleicht sagen, guter Bullshit beginnt ernst, ja, beinah betulich, wandelt sich im Fortgang zum dahingeträllerten Sermon, endet aber, hier übertreibe ich vielleicht etwas, so ähnlich wie der Soundtrack des Historiendramas „Der Untergang von Pompeji“.
Da Selbstbewusstsein und entwickeltes Selbstwertgefühl bei Verlierern eher Mangelware sind, meist aber die Sieger auszeichnet, allein dieser Umstand kann schon erklären, dass die Tonlage, in der guter Bullshit angelegt ist, meist höher greift, keine Oktave zu hoch, das nicht, aber eben doch um Eleganz, um das Flair von Belesenheit, umfassenden Wissens, ja um eine gewisse Gesuchtheit bemüht sein wird. In Form von Scherzen können dann auch primitivere Register gezogen, darf in gröbere Regionen abgestiegen werden, was soll’s, auch das gehört zum Humanum.
Heiße Luft, gepfeffert
Eine abschließende Prüfung seines Werkes ist auch dem routiniertesten Bullshitter doch zu empfehlen. Vielfach wird Bullshit ja als heiße Luft aufgefasst. Heiße Luft – meinetwegen! Gelaber besser nicht. Ein wenig pfeffrig sollte es schon sein. Hier kommt der Begriff Unterhaltungswert ins Spiel, der uns im Folgenden noch beschäftigen soll. Eine gewisse Art von, ja, von Clownerie, von, ja, von Übermut und Frechheit, von im Grund unpassender Hemdsärmeligkeit gelegentlich, handelt der perfekte Bullshitter doch meist ernste, tief bewegende Themen ab, ist von daher gesehen gar nicht schlecht: Das lockert auf, schafft gute Laune und zumindest halb lustige Kameraderie, je nachdem, wo man nicht jedes Wort gleich auf die Goldwaage legt, die Fünf auch einmal gerade sein lassen kann. Schließlich ist man kein Kleingeist und schon gar kein Spießer.
Vielleicht ist es nützlich, an dieser Stelle den Begriff Unterhaltung kurz zu erläutern. Unterhaltsam kann vielerlei sein. Allein wenn wir bedenken, wie viel Unterhaltung dem Verbrechen, den Phänomenen des Mordes, Raubes, des Betrugs usf. abgewonnen werden kann. Womit würden unsere Boulevardblätter ihre Seiten denn sonst füllen, ich frage Sie? Wovon würden unsere Krimi-Autoren, die Verfasser, Regisseure und Schauspieler denn leben, die allabendlich uns als Kommissare und Kommissarinnen im TV erfreuen? Und dann erst der Krieg! Ein richtiger Krieg! A fullblown war, wie der Amerikaner sagt. Und dann die Historie: Hitler, Stalin, Napoleon et tutti quanti! Auch Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche, Erdbeben und Tsunamis sind nicht von schlechten Eltern: Stellen Sie sich unsere Nachrichtensendungen einmal ohne derartige Meldungen vor! Selbst das simple Wetter in seiner banalen Alltäglichkeit, dramaturgisch gewieft aufbereitet, kann es in sich haben.
Dünkel, Eitelkeit, Oberflächlichkeit, Imponiergehabe, unfundierte Besserwisserei – all das wird dem Bullshitter ja gerne nachgesagt. Hier ein kleiner Tipp, wie Sie derlei im Grund lächerliche Anwürfe flott vom Revers wischen können: An irgendeiner Stelle, ganz zu Anfang etwa oder, idealiter, zum Schluss erst, fügen Sie ein kleines Scherzchen ein, ironisieren Sie sich selbst ein wenig, stellen irgendeine Schwäche aus, machen sich ein wenig über sich selbst lustig: Das hilft, glauben Sie mir.
Schließen wir mit jenem wunderbaren Paradox – und bedenken Sie es wohl! –, das Harry G. Frankfurt, der Philosoph aus Princeton, selbst wohlbedacht an den Schluss seiner so hilfreichen Ausführungen und Überlegungen gesetzt hat: „Eine gewisse Sorte von Ehrlichkeit ist selbst nichts anderes als Bullshit.“
P. S.: Leider gibt es im Moment kein deutschsprachiges Äquivalent für Bullshit. Am nächsten kommt oder kam der Sache wohl der Wiener Dialektausdruck „Red’ kan Holler!“– „Rede keinen Holler!“–, der aber seit Längerem kaum mehr im Umlauf ist: Die Zweige des Holler- oder Holunderstrauches haben nach außen hin ja eine feste Rinde; das Innere der Zweige freilich ist bloß mit weichem, wattigem Material ausgefüllt : Kann es, so frage ich, ein besseres Sinnbild für Bullshit geben?
Peter Rosei ist Doktor der Rechtswissenschaften, Autor und Essayist. Er lebt in Wien und auf Reisen und hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Zuletzt ist bei Residenz erschienen: „Das wunderbare Leben“(2023).
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