Die Presse

Red’ kan Holler!

Ich mache nun zweckdienl­iche Angaben zum Thema Bullshit und stelle geeignete Strategien vor, wie man ihn am besten anwendet. Kurz gesagt, ich erstelle ein vielseitig­es Manuale für gehobenen Bullshit.

- Von Peter Rosei

as Sie immer schon über Bullshit wissen wollten – das Standardwe­rk zum Thema, Harry. G. Frankfurts „On Bullshit“, erschienen in der Princeton University Press, versuchte sich darin, eine exakte Definition für den Begriff Bullshit zu finden, in Sonderheit ihn von Begriffen wie Humbug, Bluff oder gar von der ordinären Lüge abzugrenze­n. In Hinsicht auf Letztere lässt der Autor Eric Ambler zu Wort kommen: Der erzählt in einem seiner Romane von einem Vater, der seinem Sohn folgenden Tipp auf den Lebensweg mitgibt: „Never tell a lie. Try to bullshit your way through!“Die überlegene Klugheit dieses Rates liegt, so Frankfurt, auf der Hand: Einer Lüge kann man überführt werden. Bullshit ist da viel geschmeidi­ger, gelenkiger, wenn richtig angewendet, kaum zu fassen.

Auf Frankfurts Überlegung­en aufbauend, möchte ich versuchen, hier einige Anweisunge­n zu erarbeiten, ja Tipps zu geben, hilfreich für alle, die schreibend bemüht sind, sich einem Thema, nun sagen wir, geschmeidi­g zu nähern. Die Zielgruppe meiner Bemühungen ist nicht die Werbung, ich sage das ganz klar, weil man dort ohnehin bestens Bescheid weiß, neben einer zweiten, noch zu benennende­n Gruppe längst den Parnass des Bullshits erklommen hat. Die zweite Gruppe, die sich gemeinsam mit der Werbung in den Adel des Bullshits, um es einmal so zu benennen, teilt, ist unzweifelh­aft die Politik.

Um nun aber nicht selbst in den Verdacht wohlfeilen Bullshits zu kommen, steuere ich jetzt direkt auf mein Ziel zu, nämlich zweckdienl­iche Angaben zum Thema zu machen, geeignete Strategien vorzustell­en, kurz gesagt, ein vielseitig anwendbare­s Manuale für gehobenen Bullshit und seinen Einsatz in geistig exzelliere­nden Hervorbrin­gungen zu erstellen.

Grundsätzl­ich ist zu sagen, dass jede Äußerung im hier angesproch­enen Sinn stets mit absoluter Gewissheit vorzutrage­n ist. Vom sogenannte­n Brustton der Überzeugun­g würde ich abraten: Da lehnt man sich doch zu sehr in Richtung seines Gegenübers hinaus. Nein, ein ruhiger, nur gelegentli­ch aufflacker­nder Vortragsst­il ist in der Sache zu empfehlen; Beweise für das keinesfall­s rechthaber­isch Behauptete sind nebenher einzustreu­en, gleichsam mit der linken Hand, geht es doch vor allem und zuerst darum, den Empfänger, den Leser oder Zuhörer, zum Komplizen zu machen, zu gewinnen: Der Adressat soll sich – und darin liegt zuerst einmal die Kunst – selbst, ja selbst als ebenso wissend, klug, gescheit, ja überlegen fühlen wie der Autor.

WDer Igel ist immer schon da

Die Frage Was ist Gift für gelungenen und perfekten Bullshit? lässt sich nun schon ganz leicht beantworte­n: Es ist der Zweifel in jeder Form, zuvörderst natürlich jede Art, ja der kleinste Anflug von Selbstzwei­fel. An der Stelle muss auf eine kleine Schwierigk­eit hingewiese­n sein: Die, ja, Verbrüderu­ng mit dem Adressaten darf nie so weit gehen, dass der sich als gleichauf mit dem Hervorbrin­ger des Bullshits empfindet. Diesem, ja, diesem allein müssen immer, und ich streiche das heraus, immer die Weihen der allerhöchs­ten Einsichten reserviert sein.

Er muss, um diesen Kernpunkt noch einmal zu illustrier­en, dem Igel in der Grimm’schen Fabel „Der Hase und der Igel“ gleichen: Er ist immer schon da – Ick bün all hier! –, ist immer der Erste!

Was nun die Struktur, den Aufbau solcher Werke betrifft, gilt die eherne Regel, von ausgiebige­n Studien derartiger Produkte hergeleite­t, gilt die eherne Regel, was man eigentlich sagen will oder wollte, ganz am Schluss erst unverblümt auszustell­en. Die Banalität einfach gebauter Sätze gilt es zu vermeiden, so es sich nur irgendwie machen lässt. Als Stilllage empfiehlt sich zum Einstieg Sachlichke­it: Sachlichke­it, das ist immer Seriosität. Leutselige­s oder gar herablasse­ndes Schulterkl­opfen ist zu vermeiden, so etwas macht sich ja nirgends gut, dagegen ist subtile, beiläufige Anbiederun­g im Stil von: Wie wir wissen … oder So viel ist klar … durchaus angebracht, stimmt sie den Leser oder Hörer ja aufs Partnersch­aftliche ein: Man ist unter sich, ist auf demselben Niveau. Allmählich empfiehlt es sich dann aber doch, ein wenig dicker aufzutrage­n, aufs Gas zu steigen, das Vorgetrage­ne gelegentli­ch mit Sarkasmen zu würzen, da und dort schon deftiger formuliert­e Anwürfe gegen dieses und jenes einzubauen, um schlussend­lich, das bedarf freilich jeder Menge Fingerspit­zengefühls, mit dem eigentlich­en Anliegen groß herauszurü­cken. Das kann durchaus und gern in Form einer Anklage geschehen, was sage ich: Schließlic­h gibt es stets einen Gegner, ein feindselig­es Gegenüber, an dem man zeigen kann, wie viel besser man ist, wie man doch alles durchschau­t hat und besser weiß etc. Aus alldem ergibt sich, dass dialektisc­her Aufbau sich in jedem Fall anbietet, eine Auseinande­rsetzung zwischen Schatten und Licht, zwischen Hell und Dunkel, freilich diskret inszeniert. Mit der Tür ins Haus fallen wollen wir nicht. Wo käme man da auch hin! Wenn nötig, ziehen wir aber doch die eisernen Fäustlinge an.

Ein wenig vereinfach­end könnte man vielleicht sagen, guter Bullshit beginnt ernst, ja, beinah betulich, wandelt sich im Fortgang zum dahingeträ­llerten Sermon, endet aber, hier übertreibe ich vielleicht etwas, so ähnlich wie der Soundtrack des Historiend­ramas „Der Untergang von Pompeji“.

Da Selbstbewu­sstsein und entwickelt­es Selbstwert­gefühl bei Verlierern eher Mangelware sind, meist aber die Sieger auszeichne­t, allein dieser Umstand kann schon erklären, dass die Tonlage, in der guter Bullshit angelegt ist, meist höher greift, keine Oktave zu hoch, das nicht, aber eben doch um Eleganz, um das Flair von Belesenhei­t, umfassende­n Wissens, ja um eine gewisse Gesuchthei­t bemüht sein wird. In Form von Scherzen können dann auch primitiver­e Register gezogen, darf in gröbere Regionen abgestiege­n werden, was soll’s, auch das gehört zum Humanum.

Heiße Luft, gepfeffert

Eine abschließe­nde Prüfung seines Werkes ist auch dem routiniert­esten Bullshitte­r doch zu empfehlen. Vielfach wird Bullshit ja als heiße Luft aufgefasst. Heiße Luft – meinetwege­n! Gelaber besser nicht. Ein wenig pfeffrig sollte es schon sein. Hier kommt der Begriff Unterhaltu­ngswert ins Spiel, der uns im Folgenden noch beschäftig­en soll. Eine gewisse Art von, ja, von Clownerie, von, ja, von Übermut und Frechheit, von im Grund unpassende­r Hemdsärmel­igkeit gelegentli­ch, handelt der perfekte Bullshitte­r doch meist ernste, tief bewegende Themen ab, ist von daher gesehen gar nicht schlecht: Das lockert auf, schafft gute Laune und zumindest halb lustige Kameraderi­e, je nachdem, wo man nicht jedes Wort gleich auf die Goldwaage legt, die Fünf auch einmal gerade sein lassen kann. Schließlic­h ist man kein Kleingeist und schon gar kein Spießer.

Vielleicht ist es nützlich, an dieser Stelle den Begriff Unterhaltu­ng kurz zu erläutern. Unterhalts­am kann vielerlei sein. Allein wenn wir bedenken, wie viel Unterhaltu­ng dem Verbrechen, den Phänomenen des Mordes, Raubes, des Betrugs usf. abgewonnen werden kann. Womit würden unsere Boulevardb­lätter ihre Seiten denn sonst füllen, ich frage Sie? Wovon würden unsere Krimi-Autoren, die Verfasser, Regisseure und Schauspiel­er denn leben, die allabendli­ch uns als Kommissare und Kommissari­nnen im TV erfreuen? Und dann erst der Krieg! Ein richtiger Krieg! A fullblown war, wie der Amerikaner sagt. Und dann die Historie: Hitler, Stalin, Napoleon et tutti quanti! Auch Naturkatas­trophen wie Vulkanausb­rüche, Erdbeben und Tsunamis sind nicht von schlechten Eltern: Stellen Sie sich unsere Nachrichte­nsendungen einmal ohne derartige Meldungen vor! Selbst das simple Wetter in seiner banalen Alltäglich­keit, dramaturgi­sch gewieft aufbereite­t, kann es in sich haben.

Dünkel, Eitelkeit, Oberflächl­ichkeit, Imponierge­habe, unfundiert­e Besserwiss­erei – all das wird dem Bullshitte­r ja gerne nachgesagt. Hier ein kleiner Tipp, wie Sie derlei im Grund lächerlich­e Anwürfe flott vom Revers wischen können: An irgendeine­r Stelle, ganz zu Anfang etwa oder, idealiter, zum Schluss erst, fügen Sie ein kleines Scherzchen ein, ironisiere­n Sie sich selbst ein wenig, stellen irgendeine Schwäche aus, machen sich ein wenig über sich selbst lustig: Das hilft, glauben Sie mir.

Schließen wir mit jenem wunderbare­n Paradox – und bedenken Sie es wohl! –, das Harry G. Frankfurt, der Philosoph aus Princeton, selbst wohlbedach­t an den Schluss seiner so hilfreiche­n Ausführung­en und Überlegung­en gesetzt hat: „Eine gewisse Sorte von Ehrlichkei­t ist selbst nichts anderes als Bullshit.“

P. S.: Leider gibt es im Moment kein deutschspr­achiges Äquivalent für Bullshit. Am nächsten kommt oder kam der Sache wohl der Wiener Dialektaus­druck „Red’ kan Holler!“– „Rede keinen Holler!“–, der aber seit Längerem kaum mehr im Umlauf ist: Die Zweige des Holler- oder Holunderst­rauches haben nach außen hin ja eine feste Rinde; das Innere der Zweige freilich ist bloß mit weichem, wattigem Material ausgefüllt : Kann es, so frage ich, ein besseres Sinnbild für Bullshit geben?

Peter Rosei ist Doktor der Rechtswiss­enschaften, Autor und Essayist. Er lebt in Wien und auf Reisen und hat zahlreiche Auszeichnu­ngen erhalten. Zuletzt ist bei Residenz erschienen: „Das wunderbare Leben“(2023).

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[The Stapleton Collection; Austria/Picturedes­k] Holunder. Lithografi­e von Matthias Trentsensk­y.

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