Kaiserbäder, versunkene Städte, Wikingerdörfer
Usedom und Wollin haben abenteuerliche Geschichten erlebt. Ihre Strände bieten eine Alternative in Hitzesommern.
Thomas und Heinrich Mann, Theodor Fontane und Leo Tolstoi – sie alle sollen auf Sommerfrische in den Kaiserbädern an der Ostsee gewesen sein. Doch das ist lang her: Die Villen entlang der Strandpromenade, die die drei „Kaiserbäder“Heringsdorf, Ahlbeck und Bansin mit der polnischen Stadt Swinemünde (Świnoujście) verbindet, zeugen zwar von einstigem Prunk und Wohlstand, sind aber häufig nicht gut erhalten. Errichtet hatte man sie im 19. Jahrhundert, als die Insel Usedom zum Hotspot für wohlhabende Badegäste wurde.
Doch dann kamen der Erste und der Zweite Weltkrieg und schließlich die DDR-Zeit. Die als Sanatorien genutzten Gebäude wurden dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) übergeben. Um die Eigentümer von Hotels und Pensionen enteignen zu können, fand man mitunter an den Haaren herbeigezogene Gründe: So soll ein Hotelier für einen Bekannten Mehl gelagert haben, was als verbotenes Horten von Lebensmitteln galt, erfahren wir. Alle diese Gebäude erhielt ebenfalls der FDGB, dessen Mitglieder im Sommer auf Usedom urlauben konnten.
Reiselust nach der Öffnung
Nach der Wende wurden Ostdeutsche und Polen von Reiselust erfasst und wollten neue Destinationen kennenlernen, die ihnen bisher verwehrt gewesen waren. Die deutsch-polnische Insel Usedom schien – zumindest vorübergehend – ihren Reiz verloren zu haben. Man kannte sie ja schon, und westliche Touristen hatten sie nicht im Visier.
Das ändert sich nun. Hitzewellen in Spanien und Waldbrände in Griechenland lassen die Reisenden im Hochsommer zunehmend Bade-Destinationen mit moderaterem Klima aufsuchen. Und so sind plötzlich die Mecklenburgische Seenplatte, Usedom und die polnische Nachbarinsel Wollin (Wolin) wieder gefragt. Berliner fahren dorthin, zunehmend aber auch Österreicher und Leute aus anderen Ländern.
Auch Ende September sitzen noch Menschen in den Strandkörben, einige wagen sich sogar noch ins Wasser. Die grenzübergreifende Strandpromenade auf Usedom ist mit zwölf Kilometern die längste der Welt. Man kann dort flanieren oder Rad fahren, essen und Kaffee trinken, Souvenirs kaufen und Eis verkosten, darunter gewöhnungsbedürftige Sorten wie Salzlakritz. Wir erfahren, dass der Ausdruck „Wenn du nicht aufisst, gibt es schlechtes Wetter“eine Fehlübersetzung aus dem Plattdeutschen ist. Ursprünglich bedeutete es einfach: „Wenn du nicht aufisst, gibt es das gleiche Zeug morgen wieder.“Irgendwo hier an der Ostseeküste soll sich auch die sagenhafte Stadt Vineta befunden haben. In Koserow, einem malerischen Badeort, sagt man, es wäre hier gewesen.
Doch Genaueres weiß man nicht. Vineta soll infolge einer Sturmflut versunken sein, nachdem sich seine Bewohner lasterhaft und verschwenderisch verhalten haben. Noch heute sollen manchmal Glockenklänge aus dem Meer zu hören sein.
Wir hören nur den Wind. Wer will, kann auch die ganze Insel Usedom zu Fuß umrunden, doch gibt es nicht durchgängig Promenaden.
Der kleine Ort Misdroy auf der polnischen Insel Wollin versucht, den Gästen ein Flair von Norditalien zu vermitteln. Die langen Einkaufspromenaden, wo man Souvenirs, Sandspielzeug für Kinder, aber auch Eis und zahlreiche typisch polnische Mehlspeisen kaufen kann, erinnern entfernt an Lignano oder Grado. Karusselle und ein Dinosauriermuseum sollen Familien anlocken.
Über ein Fünftel der Insel erstreckt sich ein Nationalpark, der zahlreiche Vogelarten, aber auch Büffel und Wölfe beherbergt. Die Büffel zeigen sich freilich selten, die Wölfe nie. Die weit über das Meer reichende Aussicht, die man nach nur 20 Gehminuten hat, ist den Besuch des Nationalparks aber doch wert. Wollin und Usedom sind durch die Świna getrennt, die eigentlich ein Meereskanal ist.
Die Stadt Swinemünde besteht aus vielen Inseln, doch die meisten werden nur von Kormoranen bewohnt. Von einer Aussichtsplattform bei Lubin aus überblicken wie eine Lagune. Das Wasser ist so wenig salzhaltig, dass es fast schon als Süßwasser durchgeht. Doch auch die ganze Ostsee hat einen geringen Salzgehalt, weil sie ursprünglich ein See war und erst spät mit der Nordsee verbunden wurde.
Im Zweiten Weltkrieg wollten die Deutschen in Peenemünde die „Wunderwaffe“V3 bauen, mit der sie London hätten angreifen wollen. Sie sind damit aber nicht fertig geworden. Die Reste der Abschussrampen kann man heute noch besichtigen.
Wikinger auf Wollin
In eine ganz andere Epoche entführt einen das Wikingerdorf von Wollin. Im zehnten Jahrhundert sollen hier Wikinger gesiedelt haben, es gab auch verwandtschaftliche Beziehungen zwischen der polnischen Piasten-Dynastie und skandinavischen Herrscherhäusern. Das Freilichtmuseum, ein nachgebautes Dorf mit 27 Holzhütten und einem Wall mit vier Toren, ist bewohnt von ständigen Mitarbeitern in Wikingertracht, die tatsächlich wie die alten Wikinger leben wollen, in bunten Gewändern und ohne Strom. Sie töpfern, kochen und stellen Schmuck und Waffen her. Kleinkinder in mittelalterlichen Kutten spielen zwischen den Hütten.