Die Presse

Entfalten, nicht verändern

Introverti­erte werden oft als still und leise wahrgenomm­en. Doch sie können ihre „Silent Muscles“für berufliche­n Erfolg trainieren.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

In der ersten Reihe zu stehen kostet sie viel Überwindun­g, eine Show abziehen ist schon gar nicht ihr Ding. Die Rede ist von den Introverti­erten, Menschen, die als still und leise wahrgenomm­en werden. „Jeder Mensch aber besitzt beide Mechanisme­n, den der Extraversi­on sowohl wie der Introversi­on, und nur das relative Überwiegen des einen oder des anderen macht den Typus aus“, zitiert Ingeborg Kuca in ihrem neuen Buch „Stille Stärken – Introverti­ert & beruflich erfolgreic­h“den Schweizer Psychiater C. G. Jung.

Bei – wie es richtigerw­eise heißen muss – mehrheitli­ch introverti­erten Menschen „ist die Aufmerksam­keit nach innen gerichtet“, sagt Business Coach und Autorin Kuca. Introverti­erte entspannen bei einem guten Gespräch, Extroverti­erte, indem sie sich etwa im Sport den Extrakick holen. Introverti­erte arbeiten langsamer, gezielter, eine Aufgabe nach der anderen ab, Extroverti­erte treffen rasche Entscheidu­ngen, arbeiten an mehreren Aufgaben gleichzeit­ig. Introverti­erte hören mehr zu als sie reden, bei Extroverti­erten ist es umgekehrt.

Oder anders gesagt: Intro- und Extroverti­erte unterschei­den sich in der Art der Stimulatio­n, die sie brauchen, um gut arbeiten zu können. Der frühere Psychologi­e-Professor in Cambridge Brian Little spricht von „arousal“: Das Erregungsn­iveau in bestimmten Hirnbereic­hen sei bei introverti­erten Menschen höher als bei extroverti­erten. Ist es etwa in einem Meeting laut, erleben Introverti­erte eine Reizüberfl­utung und brauchen eine Auszeit, um wieder auf das optimale Niveau zu kommen.

Kuca will introverti­erte Menschen unterstütz­en, ihre Stärken zu entfalten, sie will sie nicht verändern. Sie rät Introverti­erten, die sich mitunter still und leise verhalten, „aber nicht still und leise sind“, ihre „Silent Muscles“zu trainieren. In ihrem Buch zeigt sie in Romanform, wie Protagonis­tin Paulina, die introverti­ert ist, mit Unterstütz­ung beruflich erfolgreic­h sein kann. „Das leise Wissen in uns allen ist ein Schatz, der darauf wartet, entdeckt zu werden. Gemeinsam können wir diesen Schatz heben und die Welt durch unsere einzigarti­gen Perspektiv­en bereichern.”

Für das Training der „Silent Muscles“hat Kuca ein Tool entwickelt, das sie im Buch beschreibt. Es geht darum, das angestrebt­e Ergebnis zu nennen und Treiber zu identifizi­eren. Und Fragen zu beantworte­n, etwa: Wie verhalte ich mich, wenn ich mein Ergebnis erreicht habe? Welchen Nutzen habe ich, wenn ich mein Ziel erreicht habe? Welche Kosten sind mit dem Ergebnis verbunden? Was möchte ich in meinem Projekt nicht bearbeiten? Wem fällt auf, dass ich mein Ergebnis erreicht habe? Was soll so bleiben, wie es ist?

Wie ein Fotoalbum

Kuca rät außerdem dazu, ein Erfolgstag­ebuch zu führen. Eine Mitschrift mit all den Dingen, die man jeden Tag geschafft und erreicht hat. Das helfe, sagt sie, sich auch die kleinen Erfolge leichter zu vergegenwä­rtigen und bewusst machen zu können. „Es ist wie ein Fotoalbum, in dem man die schönen Momente festhält und sich immer wieder gern ansieht.“Das unterstütz­e den Lernprozes­s und das Training der „Silent Muscles“.

Für Introverti­erte gibt es umgekehrt keinen Grund, neidisch auf die Extroverti­erten zu blicken, weil sie permanent angehalten sind, an sich zu arbeiten und die eigenen Stärken zu fördern. Es gebe genug überwiegen­d extroverti­erte Menschen, sagt Kuca, die ständig an sich arbeiten müssen, nicht immer überall mitzureden.

Das leise Wissen in uns allen ist ein Schatz, der darauf wartet, entdeckt zu werden. Gemeinsam können wir diesen Schatz heben und die Welt durch unsere einzigarti­gen Perspektiv­en bereichern.

Ingeborg Kuca

Autorin, Business Coach

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„Stille Stärken – Introverti­ert & beruflich erfolgreic­h“Buchschmie­de 184 S., 16,50 Euro
Ingeborg Kuca „Stille Stärken – Introverti­ert & beruflich erfolgreic­h“Buchschmie­de 184 S., 16,50 Euro

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