Netanjahu läuft die Zeit davon
Gaza-Krieg. Die USA wollen Israels Premier Zugeständnisse bei Gesprächen über Waffenruhe abringen. Und in Israels Bevölkerung wächst der Unmut.
Wien/Jerusalem. Israels Premier gab sich – wie üblich – kämpferisch: Er sei grundsätzlich bereit, ein Abkommen abzuschließen. Aber er werde nicht auf die „extremen Forderungen“der Hamas eingehen, sagte Benjamin Netanjahu am Wochenende. Eine Waffenruhe im Gazastreifen werde es nur geben, wenn die Hamas die Geiseln freilässt, die die Extremisten bei ihrem Terrorüberfall auf Israel am 7. Oktober verschleppt haben.
Doch Netanjahu weiß zugleich auch: Ihm beginnt die Zeit davonzulaufen. Der Druck auf den Regierungschef wird immer größer – von allen Seiten.
Die US-Regierung hat die Rhetorik gegenüber dem Verbündeten sukzessive verschärft. Hinter den Kulissen drängt sie Netanjahu immer stärker, Zugeständnisse zu machen. Das wurde auch erneut am Wochenende deutlich. Parallel dazu bereiten sich Israels Militär und Sicherheitsorgane auf einen möglichen iranischen Vergeltungsschlag für den Luftangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus vor. Keine israelische Botschaft sei nun mehr sicher, drohte das Regime in Teheran am Sonntag. Und zugleich wächst der Unmut in der israelischen Bevölkerung – auch darüber, dass der Krieg im Gazastreifen noch nicht die vom Regierungschef versprochenen Ergebnisse gebracht hat.
Ein halbes Jahr kämpfen nun schon Israels Streitkräfte gegen die Hamas. Sie starteten ihre Offensive als Antwort auf das Massaker, bei dem die Hamas und andere Gruppen 1200 Menschen in Israel getötet hatten. Und Netanjahu hatte klare Kriegsziele formuliert: die Vernichtung der Hamas und die Befreiung der Geiseln. Heute scheint die palästinensische Extremistenorganisation zwar militärisch stark geschwächt worden zu sein, völlig besiegt ist sie aber noch nicht. Die wichtigsten Anführer der Hamas im Gazastreifen sind nach wie vor auf der Flucht. Und auch noch mehr als 100 verschleppte Israelis befinden sich nach wie vor in der Hand der Entführer.
USA erhöhen den Druck
Zugleich hat die israelische Militäraktion weite Teile des Gazastreifens in eine Ruinenlandschaft verwandelt. Mehr als 30.000 Menschen wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde in Gaza bereits getötet. Und internationale Organisationen warnen vor einer Hungersnot. Das massive Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung wächst mit jedem Tag – und damit auch der internationale Druck auf Israels Regierungschef Netanjahu, die Waffen ruhen zu lassen.
Die USA scheinen den nun noch weiter zu verstärken. Sie wollen Netanjahu zu Zugeständnissen bei der Rückkehr von palästinensischen Zivilisten in den Norden des Gazastreifens bewegen. Das berichtete das „Wall Street Journal“am Wochenende. Damit wolle Washington dafür sorgen, dass die seit Wochen stockenden Verhandlungen über eine Waffenruhe endlich ein Ergebnis bringen. Während des Einmarsches in den Norden und den zentralen Teil des Gazastreifens hatte Israels Militär die Bevölkerung aufgefordert, sich in den Süden zurückzuziehen, damit so die Hamas besser bekämpft werden könne. Jetzt lagert mehr als eine Million Binnenflüchtlinge an der Grenze zu Ägypten.
Rückkehr von Zivilisten
Die Rückkehr von Palästinensern in den Norden ist nun eine der Forderungen der Hamas bei den Verhandlungen über eine Waffenruhe. Laut „Wall Street Journal“ist Israel bereit, täglich 2000 Personen, vor allem Frauen und Kinder, wieder in den Norden ziehen zu lassen. Mehr als 60.000 Palästinenser dürften aus Sicht der israelischen Seite aber vorerst nicht zurückkehren – und auch nicht Männer im Alter von 18 bis 50 Jahren.
Sowohl die Hamas als auch Israel will nun Delegationen zu neuen Gesprächen in Kairo schicken. Verhandlungen, die noch äußert schwierig werden.