Die Presse

„Bei vielen neuen Technologi­en sieht man zuerst die Gefahren“

Interview. Benjamin Dean von WisdomTree spricht über die Verbreitun­g von Bitcoin und erklärt, warum dieses nicht nur heiße Luft ist.

-

Die Presse: Bitcoin unterliegt starken Schwankung­en, heuer ist der Preis stark gestiegen. Muss man sich jetzt auf eine Korrektur einstellen?

Benjamin Dean: Historisch gesehen ist Bitcoin relativ volatil im Vergleich zu anderen großen Anlageklas­sen, wobei die Volatilitä­t zuletzt nachgelass­en hat. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass es einer der am besten performend­en Vermögensw­erte der zurücklieg­enden Dekade war. Deswegen wäre ich bei Bitcoin mit dem Begriff „Korrektur“sehr vorsichtig, nur weil es an einem Tag einmal um fünf bis zehn Prozent nach unten geht. Historisch gesehen ist eine langfristi­ge Betrachtun­gsweise angemessen­er.

Ist es nicht schon zu spät, um Bitcoin zu kaufen?

Das hätte man genau so schon vor zwei oder vor zehn Jahren fragen können. Und wir sehen ja, wie sich der Preis seitdem entwickelt hat.

Zu Bitcoin gibt es viel Kritik, dass es der Umwelt schade, dass es nicht regulierba­r ist etc.

Das ist bei vielen neuen Technologi­en so, dass manchmal zuerst die Gefahren gesehen werden. Zum Beispiel bei der Elektrizit­ät: Edison hat auf Gleichstro­m gesetzt, Tesla auf Wechselstr­om. Edison hat gesagt, Wechselstr­om ist gefährlich. Heute nutzt jedermann Wechselstr­om, und dieser hilft auch, Probleme zu lösen. Aber solche Narrative gibt es bei vielen neuen Technologi­en. Beim Internet war es ebenso, dass zunächst vor allem die Gefahren gesehen wurden – und teilweise noch bis heute, obwohl die Vorzüge ebenfalls auf der Hand liegen. Das wiederholt sich nun.

In Europa gibt es jetzt die MicaReguli­erung, die die Nutzung von Kryptowähr­ungen regelt. Sehen Sie diese eher positiv oder eher negativ?

Das ist keine Frage von EntwederOd­er. Wir müssen erst sehen, wie die einzelnen Mitgliedst­aaten die Verordnung umsetzen. Gut ist aber, dass jetzt mehr Klarheit herrscht.

Ein Mining-Verbot oder ein Verbot von selbst gehosteten Wallets kommt vorerst nicht. Manche fordern aber nach wie vor ein solches. Ist das eine Gefahr?

Ich glaube nicht. Eine sogenannte selbst gehostete Wallet nutzt eine Open-Source-Software, und diese lässt sich nicht einfach verbieten. Im Kern geht es um die Frage, wer den Private Key hält, ich selbst oder jemand anderer. Das sollte jeder selbst entscheide­n können. Nicht zu vergessen: Alle Nutzer einer App wie WhatsApp haben selbst gehostete Wallets. Denn sie besitzen die Private Keys, um ihre Kommunikat­ion zu verschlüss­eln. Und WhatsApp hat momentan weltweit rund 2,78 Milliarden Nutzer.

Wie lang wird es dauern, bis Bitcoin flächendec­kend als Geld genutzt wird?

Es ist auf dem Weg dorthin. Immerhin diskutiere­n wir schon über Bitcoin als Assetklass­e. In den vergangene­n Jahren hat sich viel getan. Es ist deutlich leichter als früher für viele, Bitcoin zu halten. Wir beide reden jetzt gerade in einem Videochat über Bitcoin, das wäre vor zehn Jahren kaum denkbar gewesen. Dieser Video-Chat ist verschlüss­elt – um dies zu ermögliche­n, hält jeder von uns an seinem Ende einen Private Key. Aber viele neue Technologi­en unterliege­n einem typischen Boom-Bust-Zyklus, irgendwann flaut die anfänglich­e Begeisteru­ng ab. Das war auch bei der Eisenbahn so, als EisenbahnA­ktien zunächst in die Höhe geschnellt sind. Ein weiteres Beispiel ist das Breitband-Internet – es ist die Voraussetz­ung dafür, dass wir nun über Video-Chat sprechen können. Selbst als der Hype vorbei war, blieb die Infrastruk­tur, und man kann nun nützliche Dinge damit tun.

Es gibt Leute, die sagen mir, dass Bitcoin nichts als heiße Luft sei. Was sollte ich denen entgegnen?

Es gibt in unterschie­dlichen Teilen der Welt unterschie­dliche Probleme. In Argentinie­n, wo die Inflations­rate bei 160 Prozent liegt, können die Leute Bitcoin verbreitet als Wertspeich­er zum Sparen nutzen. Ich habe in Venezuela gelebt, dort gibt es Kapitalmar­ktkontroll­en und Hyperinfla­tion. Die Leute können dort nicht direkt Dollar kaufen, aber sie können Stablecoin­s nutzen. Ich habe auch in Vietnam gelebt. Dort können die Leute jetzt Geld billiger und sicherer an ihre Verwandten im Ausland schicken als mit einigen darauf spezialisi­erten Finanzdien­stleistern. Sie können die Bitcoin-Technologi­e oder Stablecoin­s nutzen, um Dollar zu senden, und das passiert schon seit vielen Jahren. Viele Leute wissen das nicht, aber ich war dort und habe das gesehen. Sagen Sie das den Leuten, die am Sinn und Zweck von Bitcoin oder Blockchain-Netzwerken zweifeln. Ich bin gespannt, was sie antworten.

Könnten irgendwann andere Krypto-Assets Bitcoin den Rang ablaufen? Manche rechnen mit einem Ethereum-Flippening, also dass die Marktkapit­alisierung von Ethereum jene von Bitcoin übersteigt.

Das ist wie der Vergleich von Äpfeln und Birnen. Das Bitcoin-Netzwerk ist einzigarti­g, es ist weitgehend dezentral. Ethereum und Solana sind ganz andere Dinge, denn man kann Smart Contracts darauf aufsetzen. Letztlich geht es um die Frage: Wie nutzen Leute das Ethereum-Netzwerk, und wie erleichter­t dies das Leben der Leute? Und wie ist das bei Bitcoin? Man kann den Marktwert von einzelnen KryptoAsse­ts vergleiche­n, und es ist nicht auszuschli­eßen, dass Ethereum gemessen daran einmal Bitcoin überholt. Aber man vergleicht ja auch nicht die Marktkapit­alisierung von Gold mit der von Öl.

Newspapers in German

Newspapers from Austria