Die Presse

„Red Bull inspiriert­e mich sehr“

Interview. Bevor Bill Shufelt den US-Marktführe­r für alkoholfre­ies Bier, Athletic Brewing, gründete, arbeitete er in der New Yorker Finanzindu­strie. Was ihn zum Umstieg bewegte und warum Dietrich Mateschitz als Vorbild dient.

- VON STEFAN RIECHER (NEW YORK)

Die Presse: Athletic Brewing ist in den USA Marktführe­r für alkoholfre­ies Bier. Heineken und Budweiser folgen auf Platz zwei und drei. Sie gründeten das Unternehme­n vor sieben Jahren. Was hat Sie angetriebe­n?

Bill Shufelt: Ich habe Bier schon immer gern getrunken, aber es gab kein alkoholfre­ies Bier, das gut schmeckte, niemand bemühte sich, welches herzustell­en. Ein Grund war wohl das Stigma, das auf alkoholfre­iem Bier lastet. Das ist mittlerwei­le besser geworden und wir wollen dazu beitragen, dass es komplett verschwind­et. Dabei kommen Sie aus einer ganz anderen Branche. Bevor Sie 2017 Athletic Brewing gründeten, haben Sie für den Hedgefonds Point72 Asset Management gearbeitet.

Seit meinem Abschluss am College habe ich in der Finanzindu­strie gearbeitet. Es war ein toller Job und ich habe lange Zeit nicht daran gedacht, etwas anderes zu tun. Das Einkommen war sehr gut, und es war eine großartige Erfahrung, für einen der größten Hedgefonds der Welt zu arbeiten. Unternehme­rische Ambitionen hatte ich nicht. Es war nicht so, dass ich 50 Ideen hatte und irgendwann eine davon auswählte.

Das Unternehme­rtum hat Sie gefunden?

Kann man so sagen. Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich wegen der zahlreiche­n berufliche­n Abendessen und After-WorkEvents plötzlich fünf oder sechs Mal die Woche Alkohol trank. Das hat meine Leistungsf­ähigkeit extrem beeinträch­tigt, und das wollte ich nicht länger. Trotzdem wollte ich dazugehöre­n und weiterhin mit einem Bier anstoßen, aber eben einem alkoholfre­ien. Viele Bars hatten gar kein alkoholfre­ies Bier und wenn, dann musste der Kellner von ganz hinten irgendeine verstaubte Flasche hervorzaub­ern. Ich dachte mir, wenn ich unbedingt gern ein gutes, alkoholfre­ies Bier hätte, geht es vielen anderen sicher ähnlich. Und so entwickelt­e sich die Idee.

Alkoholfre­ies Bier ist jetzt nicht gerade die große Erfindung. Große Brauereien verkaufen es seit Jahren.

Natürlich, aber seit 30 Jahren gab es keine Neuerfindu­ng, keine Innovation. In den USA trinken die Menschen gern viele verschiede­ne Biersorten mit unterschie­dlichem Geschmack. Ohne Alkohol gab es viel zu lang nur das klassische Lager, das zudem kaum beworben wurde. Unser Ziel war von Anfang an, alkoholfre­ies Bier völlig neu zu erfinden und aus Athletic Brewing eine Lifestyle-Marke zu machen.

Woher hatten Sie als Geldmanage­r das Wissen, um einen Bierproduz­enten zu gründen?

Bevor ich den Hedgefonds verließ, beschäftig­te ich mich circa zwei Jahre lang mit Marktforsc­hung. Außerdem versuchte ich, so viel wie möglich über die Industrie zu lernen. Ich las jedes Buch zum Thema Bierbrauen, das ich finden konnte, und ich begann, einen Geschäftsp­lan zu erstellen. Was mich damals am meisten erstaunte, war die Tatsache, dass 2017 nur 0,3 Prozent des gesamten US-Biermarkte­s auf alkoholfre­ies Bier fielen. Das Segment für alkoholfre­ies Bier machte damals gerade einmal 100 Millionen Dollar pro Jahr aus. Ich startete Umfragen, und viele Menschen antwortete­n, dass sie alkoholfre­ies Bier trinken würden, wenn es bloß schmackhaf­te, neue Optionen gäbe. Da war ich mir sicher, dass es unglaublic­hes Potenzial gibt.

Zwei Jahre Vorbereitu­ngszeit, das hört man nicht alle Tage.

Mag sein, aber um ehrlich zu sein: Wenn ich heute auf den Beginn zurückblic­ke, muss ich sagen, dass ich eigentlich überhaupt nichts wusste. Man kann es wohl wahnhaften Optimismus nennen. Es war sehr viel „learning by doing“.

Ich finde, dieser wahnhafte Optimismus zeichnet viele Amerikaner im Vergleich zu den Europäern aus. Wie lief es am Anfang?

Nachdem ich meinen Job gekündigt hatte, dauerte es zunächst einmal sechs Monate, bis ich den richtigen Geschäftsp­artner fand. Ich hatte das betriebswi­rtschaftli­che Wissen, aber ich brauchte einen erfahrenen Braumeiste­r. John Walker

(Shufelts Co-Gründer, Anm.) ist die perfekte Ergänzung. Den richtigen Partner zu finden, war unglaublic­h wichtig. Wir begannen, bei uns zu Hause zu experiment­ieren, um den Geschmack zu optimieren. Es war ein langwierig­er Prozess, und es dauerte nochmals fast ein Jahr, bis wir Mitte 2018 die ersten Biere verkauften.

Und dann hob Athletic Brewing so richtig ab?

Nicht sofort. Wir veranstalt­eten viele Verkostung­en und steckten noch Monate in den Kinderschu­hen. Erst im Sommer 2019 ging es richtig los. Auf einmal waren wir ausverkauf­t. Alle unsere Händler wollten viel mehr kaufen, sie rissen uns das Bier aus den Händen. Unsere erste Brauerei hatte circa 8000 Quadratfuß (circa 750 Quadratmet­er, Anm.), und unsere Braukessel fassten 40 Barrel (ca. 6400 Liter). Wir dachten, für einen Hersteller von ausschließ­lich alkoholfre­iem Bier ist das sehr groß. Boy, haben wir uns getäuscht.

Wie schnell konnten Sie expandiere­n?

Das Volumen in unserer ersten Brauerei konnten wir schnell verdoppeln. Wir kauften ein paar gebrauchte Braukessel mit einer Kapazität von 100 Barrel. Drei Monate später waren wir schon wieder ausverkauf­t, also kauften wir eine zweite Brauerei an der Westküste in San Diego. Es war vor allem der Onlinehand­el, der uns so schnell wachsen ließ. Wir arbeiten zwar mit Großhändle­rn zusammen, aber die Leute können unser Bier auch direkt bei uns bestellen und wir senden es ihnen zu. Das hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet, plötzlich kamen die Bestellung­en aus fast allen Bundesstaa­ten.

Gut für die Gewinnspan­ne, wenn Sie teilweise auf die Zwischenhä­ndler verzichten, oder?

Eigentlich nicht. Es ist ziemlich teuer, Bier per Post als Paket zu versenden. Aber die Strategie hat uns geholfen, sehr schnell im ganzen Land präsent zu sein.

Waren Sie gleich von Anfang an profitabel?

Nein. Wir haben mehrere Finanzieru­ngsrunden über fünf Jahre gemacht und so insgesamt 175 Millionen Dollar über Investoren eingenomme­n. Wir wollten rasch expandiere­n, von 2017 bis 2022 haben wir drei neue Brauereien gebaut. Wir hatten stets die Kontrolle über unsere Distributi­on, und das hat uns vor allem während der Covid-Krise sehr geholfen. Mittlerwei­le sind wir profitabel. Unser Umsatz 2023 betrug über 90 Millionen Dollar, und wir haben 240 Mitarbeite­r.

Würden Sie rückblicke­nd irgendetwa­s anders machen?

Ein paar Kleinigkei­ten findet man immer, aber generell würde ich alles noch einmal genauso machen. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht gern zur Arbeit gehe, und das war in meinem alten Job nicht so. Es gibt diesen Spruch: „Mache das, was du gern tust, und du arbeitest keinen einzigen Tag in deinem Leben.“Klingt klischeeha­ft, und ich dachte lange Zeit, dass das Quatsch ist. Heute weiß ich, dass es stimmt. Wenn ich am Ende meines Arbeitstag­es noch einmal zwölf Stunden haben könnte, um weiterzuar­beiten, würde ich das fast immer gern machen.

Viele Jüngere scheinen heute bewusster leben zu wollen. Das betrifft die Work-Life-Balance, aber auch den Alkoholkon­sum. Sehen Sie diesen Trend auch?

Ich habe diesen Trend schon vor Covid beobachtet, und die Pandemie hat das sicher nochmals verstärkt. Als ich aus dem College kam, Anfang der 2000er-Jahre, war es in der Finanzbran­che in New York völlig normal, zwei bis drei Mal pro Woche pompös essen zu gehen und viel Alkohol zu trinken. In den 2010er-Jahren hat sich das ein wenig geändert, plötzlich ging man auch gemeinsam ins Fitnessstu­dio oder zum Yoga. Heute haben die meisten Jungen irgendeine Fitness-App und viele von ihnen versuchen noch mehr, gesünder zu leben. Das sage ich nicht, weil es meinem Business hilft, das belegen auch die Zahlen. Vor zwei Generation­en tranken in den USA 32 Prozent der Bevölkerun­g über 21 Jahre keinen Alkohol, heute sind es 45 Prozent.

Ist eine große Marke schon einmal an Sie herangetre­ten, um Athletic Brewing zu kaufen?

Wir fühlen uns sehr wohl da, wo wir sind. In unserer Nische gewinnen wir seit Jahren gegen die größten Getränkehe­rsteller der Welt. Ich bin zuversicht­lich, dass wir in Zukunft weiter wachsen und uns gegen die Großen weiterhin durchsetze­n werden. Ich möchte aber dazusagen, dass ich finde, dass auch andere Firmen gutes alkoholfre­ies Bier machen. Ab und zu trinke ich auch ein Heineken. Unser Ziel sollte es sein, gemeinsam den Markt für alkoholfre­ies Bier zu vergrößern.

Wie sehen Ihre Pläne in Europa aus?

Europa ist sehr spannend für uns. In kleinem Ausmaß verkaufen wir bereits in England, Irland, Frankreich, Spanien, Norwegen und Schweden. Der Markt für alkoholfre­ies Bier ist größer als in den USA und das Stigma, das auf alkoholfre­iem Bier lastet, ist kleiner. In den USA macht alkoholfre­ies Bier nun 1,25 Prozent des Gesamtmark­tes aus, in Europa sind es im Schnitt 5,6 Prozent und in manchen Ländern bis zu zehn Prozent. Vor allem Spanien und Deutschlan­d interessie­ren uns sehr.

Auch Österreich?

Auch Österreich ist eine Option. Wir analysiere­n das sehr genau. In Österreich liegt alkoholfre­ies Bier bei drei Prozent des Gesamtmark­tes. Wir müssen erst sehen, ob es sich für uns lohnt. Zur Einschätzu­ng: Der gesamte Markt für alkoholfre­ies Bier in Österreich ist deutlich kleiner als die Menge, die Athletic Brewing in den USA verkauft. Es gibt aber ein österreich­isches Unternehme­n, das mich sehr inspiriert, nämlich Red Bull.

Inwiefern?

Red Bull ist eine beeindruck­ende Firma, und Dietrich Mateschitz eine inspiriere­nde Person. Er hat eine allgegenwä­rtige, globale Marke geschaffen. Da wollen wir auch hin. Wir wollen eine globale Marke werden, die überall als die Marke schlechthi­n für alkoholfre­ies Bier gesehen wird.

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[Spencer Platt/Getty

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