„Red Bull inspirierte mich sehr“
Interview. Bevor Bill Shufelt den US-Marktführer für alkoholfreies Bier, Athletic Brewing, gründete, arbeitete er in der New Yorker Finanzindustrie. Was ihn zum Umstieg bewegte und warum Dietrich Mateschitz als Vorbild dient.
Die Presse: Athletic Brewing ist in den USA Marktführer für alkoholfreies Bier. Heineken und Budweiser folgen auf Platz zwei und drei. Sie gründeten das Unternehmen vor sieben Jahren. Was hat Sie angetrieben?
Bill Shufelt: Ich habe Bier schon immer gern getrunken, aber es gab kein alkoholfreies Bier, das gut schmeckte, niemand bemühte sich, welches herzustellen. Ein Grund war wohl das Stigma, das auf alkoholfreiem Bier lastet. Das ist mittlerweile besser geworden und wir wollen dazu beitragen, dass es komplett verschwindet. Dabei kommen Sie aus einer ganz anderen Branche. Bevor Sie 2017 Athletic Brewing gründeten, haben Sie für den Hedgefonds Point72 Asset Management gearbeitet.
Seit meinem Abschluss am College habe ich in der Finanzindustrie gearbeitet. Es war ein toller Job und ich habe lange Zeit nicht daran gedacht, etwas anderes zu tun. Das Einkommen war sehr gut, und es war eine großartige Erfahrung, für einen der größten Hedgefonds der Welt zu arbeiten. Unternehmerische Ambitionen hatte ich nicht. Es war nicht so, dass ich 50 Ideen hatte und irgendwann eine davon auswählte.
Das Unternehmertum hat Sie gefunden?
Kann man so sagen. Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich wegen der zahlreichen beruflichen Abendessen und After-WorkEvents plötzlich fünf oder sechs Mal die Woche Alkohol trank. Das hat meine Leistungsfähigkeit extrem beeinträchtigt, und das wollte ich nicht länger. Trotzdem wollte ich dazugehören und weiterhin mit einem Bier anstoßen, aber eben einem alkoholfreien. Viele Bars hatten gar kein alkoholfreies Bier und wenn, dann musste der Kellner von ganz hinten irgendeine verstaubte Flasche hervorzaubern. Ich dachte mir, wenn ich unbedingt gern ein gutes, alkoholfreies Bier hätte, geht es vielen anderen sicher ähnlich. Und so entwickelte sich die Idee.
Alkoholfreies Bier ist jetzt nicht gerade die große Erfindung. Große Brauereien verkaufen es seit Jahren.
Natürlich, aber seit 30 Jahren gab es keine Neuerfindung, keine Innovation. In den USA trinken die Menschen gern viele verschiedene Biersorten mit unterschiedlichem Geschmack. Ohne Alkohol gab es viel zu lang nur das klassische Lager, das zudem kaum beworben wurde. Unser Ziel war von Anfang an, alkoholfreies Bier völlig neu zu erfinden und aus Athletic Brewing eine Lifestyle-Marke zu machen.
Woher hatten Sie als Geldmanager das Wissen, um einen Bierproduzenten zu gründen?
Bevor ich den Hedgefonds verließ, beschäftigte ich mich circa zwei Jahre lang mit Marktforschung. Außerdem versuchte ich, so viel wie möglich über die Industrie zu lernen. Ich las jedes Buch zum Thema Bierbrauen, das ich finden konnte, und ich begann, einen Geschäftsplan zu erstellen. Was mich damals am meisten erstaunte, war die Tatsache, dass 2017 nur 0,3 Prozent des gesamten US-Biermarktes auf alkoholfreies Bier fielen. Das Segment für alkoholfreies Bier machte damals gerade einmal 100 Millionen Dollar pro Jahr aus. Ich startete Umfragen, und viele Menschen antworteten, dass sie alkoholfreies Bier trinken würden, wenn es bloß schmackhafte, neue Optionen gäbe. Da war ich mir sicher, dass es unglaubliches Potenzial gibt.
Zwei Jahre Vorbereitungszeit, das hört man nicht alle Tage.
Mag sein, aber um ehrlich zu sein: Wenn ich heute auf den Beginn zurückblicke, muss ich sagen, dass ich eigentlich überhaupt nichts wusste. Man kann es wohl wahnhaften Optimismus nennen. Es war sehr viel „learning by doing“.
Ich finde, dieser wahnhafte Optimismus zeichnet viele Amerikaner im Vergleich zu den Europäern aus. Wie lief es am Anfang?
Nachdem ich meinen Job gekündigt hatte, dauerte es zunächst einmal sechs Monate, bis ich den richtigen Geschäftspartner fand. Ich hatte das betriebswirtschaftliche Wissen, aber ich brauchte einen erfahrenen Braumeister. John Walker
(Shufelts Co-Gründer, Anm.) ist die perfekte Ergänzung. Den richtigen Partner zu finden, war unglaublich wichtig. Wir begannen, bei uns zu Hause zu experimentieren, um den Geschmack zu optimieren. Es war ein langwieriger Prozess, und es dauerte nochmals fast ein Jahr, bis wir Mitte 2018 die ersten Biere verkauften.
Und dann hob Athletic Brewing so richtig ab?
Nicht sofort. Wir veranstalteten viele Verkostungen und steckten noch Monate in den Kinderschuhen. Erst im Sommer 2019 ging es richtig los. Auf einmal waren wir ausverkauft. Alle unsere Händler wollten viel mehr kaufen, sie rissen uns das Bier aus den Händen. Unsere erste Brauerei hatte circa 8000 Quadratfuß (circa 750 Quadratmeter, Anm.), und unsere Braukessel fassten 40 Barrel (ca. 6400 Liter). Wir dachten, für einen Hersteller von ausschließlich alkoholfreiem Bier ist das sehr groß. Boy, haben wir uns getäuscht.
Wie schnell konnten Sie expandieren?
Das Volumen in unserer ersten Brauerei konnten wir schnell verdoppeln. Wir kauften ein paar gebrauchte Braukessel mit einer Kapazität von 100 Barrel. Drei Monate später waren wir schon wieder ausverkauft, also kauften wir eine zweite Brauerei an der Westküste in San Diego. Es war vor allem der Onlinehandel, der uns so schnell wachsen ließ. Wir arbeiten zwar mit Großhändlern zusammen, aber die Leute können unser Bier auch direkt bei uns bestellen und wir senden es ihnen zu. Das hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet, plötzlich kamen die Bestellungen aus fast allen Bundesstaaten.
Gut für die Gewinnspanne, wenn Sie teilweise auf die Zwischenhändler verzichten, oder?
Eigentlich nicht. Es ist ziemlich teuer, Bier per Post als Paket zu versenden. Aber die Strategie hat uns geholfen, sehr schnell im ganzen Land präsent zu sein.
Waren Sie gleich von Anfang an profitabel?
Nein. Wir haben mehrere Finanzierungsrunden über fünf Jahre gemacht und so insgesamt 175 Millionen Dollar über Investoren eingenommen. Wir wollten rasch expandieren, von 2017 bis 2022 haben wir drei neue Brauereien gebaut. Wir hatten stets die Kontrolle über unsere Distribution, und das hat uns vor allem während der Covid-Krise sehr geholfen. Mittlerweile sind wir profitabel. Unser Umsatz 2023 betrug über 90 Millionen Dollar, und wir haben 240 Mitarbeiter.
Würden Sie rückblickend irgendetwas anders machen?
Ein paar Kleinigkeiten findet man immer, aber generell würde ich alles noch einmal genauso machen. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht gern zur Arbeit gehe, und das war in meinem alten Job nicht so. Es gibt diesen Spruch: „Mache das, was du gern tust, und du arbeitest keinen einzigen Tag in deinem Leben.“Klingt klischeehaft, und ich dachte lange Zeit, dass das Quatsch ist. Heute weiß ich, dass es stimmt. Wenn ich am Ende meines Arbeitstages noch einmal zwölf Stunden haben könnte, um weiterzuarbeiten, würde ich das fast immer gern machen.
Viele Jüngere scheinen heute bewusster leben zu wollen. Das betrifft die Work-Life-Balance, aber auch den Alkoholkonsum. Sehen Sie diesen Trend auch?
Ich habe diesen Trend schon vor Covid beobachtet, und die Pandemie hat das sicher nochmals verstärkt. Als ich aus dem College kam, Anfang der 2000er-Jahre, war es in der Finanzbranche in New York völlig normal, zwei bis drei Mal pro Woche pompös essen zu gehen und viel Alkohol zu trinken. In den 2010er-Jahren hat sich das ein wenig geändert, plötzlich ging man auch gemeinsam ins Fitnessstudio oder zum Yoga. Heute haben die meisten Jungen irgendeine Fitness-App und viele von ihnen versuchen noch mehr, gesünder zu leben. Das sage ich nicht, weil es meinem Business hilft, das belegen auch die Zahlen. Vor zwei Generationen tranken in den USA 32 Prozent der Bevölkerung über 21 Jahre keinen Alkohol, heute sind es 45 Prozent.
Ist eine große Marke schon einmal an Sie herangetreten, um Athletic Brewing zu kaufen?
Wir fühlen uns sehr wohl da, wo wir sind. In unserer Nische gewinnen wir seit Jahren gegen die größten Getränkehersteller der Welt. Ich bin zuversichtlich, dass wir in Zukunft weiter wachsen und uns gegen die Großen weiterhin durchsetzen werden. Ich möchte aber dazusagen, dass ich finde, dass auch andere Firmen gutes alkoholfreies Bier machen. Ab und zu trinke ich auch ein Heineken. Unser Ziel sollte es sein, gemeinsam den Markt für alkoholfreies Bier zu vergrößern.
Wie sehen Ihre Pläne in Europa aus?
Europa ist sehr spannend für uns. In kleinem Ausmaß verkaufen wir bereits in England, Irland, Frankreich, Spanien, Norwegen und Schweden. Der Markt für alkoholfreies Bier ist größer als in den USA und das Stigma, das auf alkoholfreiem Bier lastet, ist kleiner. In den USA macht alkoholfreies Bier nun 1,25 Prozent des Gesamtmarktes aus, in Europa sind es im Schnitt 5,6 Prozent und in manchen Ländern bis zu zehn Prozent. Vor allem Spanien und Deutschland interessieren uns sehr.
Auch Österreich?
Auch Österreich ist eine Option. Wir analysieren das sehr genau. In Österreich liegt alkoholfreies Bier bei drei Prozent des Gesamtmarktes. Wir müssen erst sehen, ob es sich für uns lohnt. Zur Einschätzung: Der gesamte Markt für alkoholfreies Bier in Österreich ist deutlich kleiner als die Menge, die Athletic Brewing in den USA verkauft. Es gibt aber ein österreichisches Unternehmen, das mich sehr inspiriert, nämlich Red Bull.
Inwiefern?
Red Bull ist eine beeindruckende Firma, und Dietrich Mateschitz eine inspirierende Person. Er hat eine allgegenwärtige, globale Marke geschaffen. Da wollen wir auch hin. Wir wollen eine globale Marke werden, die überall als die Marke schlechthin für alkoholfreies Bier gesehen wird.