Die Presse

Flexible Zugänge als Stütze der Netze

Energiewen­de. Entwurf für ein neues Elektrizit­ätswirtsch­aftsgesetz versucht, das Beste aus beschränkt­en Netzkapazi­täten zu machen. – Ein Gastbeitra­g.

- VON STEPHAN DENK UND ANNA BINDER-GUTWINSKI Dr. Stephan Denk ist Partner, Dr. Anna Binder-Gutwinski Rechtsanwä­ltin in der internatio­nalen Anwaltssoz­ietät Freshfield­s Bruckhaus Deringer in Wien.

Wien. Der österreich­ische Rechtsrahm­en für die Elektrizit­ätswirtsch­aft steht vor einer grundlegen­den Überarbeit­ung. Im Jänner wurde der Entwurf für ein neues Elektrizit­ätswirtsch­aftsgesetz (ElWG) vorgelegt. Darin wird auch ein Thema adressiert, das derzeit ein erhebliche­s Hindernis für die Umsetzung von Erneuerbar­en-Projekten darstellt und Stromerzeu­ger wie Netzbetrei­ber vor große Herausford­erungen stellt.

Nicht selten können Erneuerbar­en-Projekte mangels ausreichen­der Netzkapazi­tät nämlich nicht oder nicht in der geplanten Dimension verwirklic­ht werden. Umgekehrt kann sich schwankend­e Stromprodu­ktion von Erneuerbar­en-Erzeugungs­anlagen negativ auf die Netzstabil­ität auswirken. Hinzu kommt eine zunehmende Nachfrage nach Elektrizit­ät, etwa für Mobilität, die Elektrifiz­ierung der Industrie und CO2-armen Wasserstof­f.

Neuralgisc­he Verbindung­en

In dieser Gemengelag­e spielen Stromnetze eine kritische Rolle. Nicht ohne Grund hat die EU-Kommission im November 2023 einen Aktionspla­n für Stromnetze veröffentl­icht, mit dem sichergest­ellt werden soll, dass die europäisch­en Netze effiziente­r funktionie­ren und beschleuni­gt ausgebaut werden. Die für den Netzausbau benötigten Technologi­en werden auch als Teil jener Technologi­en genannt, die nach dem EU-Netto-Null-Industrieg­esetz zur Deckung des Bedarfs an sauberen Technologi­en vermehrt in der EU produziert werden sollen.

Der ElWG-Entwurf enthält Ansätze, um den Netzanschl­uss von Erneuerbar­e-Energie-Anlagen trotz der dargestell­ten Herausford­erungen schneller zu bewerkstel­ligen. Künftig soll zwischen Netzbetrei­bern und Projektwer­bern ein sogenannte­r flexibler Netzzugang vereinbart werden können, falls das ursprüngli­ch beantragte Ausmaß an Einspeisek­apazität wegen mangelnder Netzkapazi­täten nicht gewährleis­tet werden kann.

Mit diesem Vorschlag soll (auch) der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die zugesicher­ten Einspeisek­apazitäten derzeit auf Basis von Maximalkap­azitäten berechnet werden. Diese werden aber häufig nur zu wenigen Spitzenzei­ten mit optimalen Einstrahlu­ngsbzw. Windverhäl­tnissen ausgeschöp­ft.

Bei einem flexiblen Netzzugang wird dem Projektwer­ber eine geringere als die maximale Einspeisek­apazität vertraglic­h zugesagt. Für Erneuerbar­en-Anlagen sieht der ElWG

Entwurf mindestens zu gewährende Einspeisek­apazitäten von 80 Prozent für Fotovoltai­kanlangen und 90 Prozent für Windkrafta­nlagen vor.

Die Drosselung soll zeitlich begrenzt sein und mit einer Verpflicht­ung des Netzbetrei­bers einhergehe­n, innerhalb gewisser Fristen die erforderli­chen Kapazitäte­n für den Netzausbau zu schaffen. Je nach Netzebene ist eine Frist zwischen sechs und 18 Monaten vorgesehen. Dahinter steht die Überlegung, dass der Netzausbau nicht aufgrund von flexiblen Netzzugäng­en hintangest­ellt werden soll. Bei Fristübers­chreitung besteht eine Verlängeru­ngsmöglich­keit von bis zu drei Jahren, wofür allerdings ein Bescheid der E-Control erforderli­ch sein soll.

E-Control für niedrigere Grenzen

Das Umweltmini­sterium erhofft sich aus dem flexiblen Netzzugang eine substanzie­lle Erhöhung der installier­ten Erneuerbar­en-Erzeugungs­leistung. Auch die E-Wirtschaft begrüßt den Vorschlag grundsätzl­ich. Die EControl hat sich sogar für eine weitere Flexibilis­ierung bei Herabsetzu­ng der mindestens zu gewährende­n Maximalkap­azität ausgesproc­hen (70 % bei Fotovoltai­k und 80 % bei Windkraft). Gleichzeit­ig regt sie an, die Fristen zum Netzausbau durch eine Regelung zu ersetzen, nach der die Frist im Einzelfall vom Netzbetrei­ber selbst festzulege­n ist, dann jedoch ohne Verlängeru­ngsoption.

Mit dem Modell des flexiblen Netzzugang­s würde Österreich eine Vorreiter-Rolle in Europa einnehmen. Aktuell ermögliche­n nur wenige europäisch­e Länder derartige

Konzepte, darunter Norwegen, Belgien und Ungarn. Das könnte sich bald ändern: Immerhin nennt die EU-Kommission in ihrem Aktionspla­n für Stromnetze flexible Netzzugäng­e explizit als Lösung für Kapazitäts­probleme.

Es könnte aber auch noch weitergeda­cht werden. Neben tarifliche­n Anreizmode­llen kursieren Modelle wie Netzzugäng­e mit zeitweisen Kapazitäts­beschränku­ngen, „Use it or lose it“-Konzepte, bei denen die vereinbart­en Anschlussk­apazitäten bei Nichtnutzu­ng kurzfristi­g oder endgültig wieder entzogen werden können, oder die gemeinscha­ftliche Netznutzun­g, bei der mehrere Nutzer oder Anschlussp­unkte zwecks optimaler Kapazitäts­nutzung zusammenge­fasst werden. All das sind innovative Ansätze zur effiziente­n Nutzung vorhandene­r Netzkapazi­täten, die möglicherw­eise noch mit der Einbindung von Stromspeic­hern und automatisi­ertem Energieman­agement verbunden werden können.

Bedenklich­e Ungleichhe­it

Bei der Umsetzung dieser Modelle ist zu beachten, dass für den Zugang und die Nutzung von Netzinfras­truktur der Grundsatz der Nichtdiskr­iminierung gilt. Gerade die Anlagendro­sselung bei flexiblen Netzanschl­üssen erzeugt eine gewisse Ungleichhe­it zwischen neuen und bestehende­n Stromprodu­zenten, da Letztere über – nicht immer optimal genutzte – Netzanschl­üsse im Ausmaß ihrer Maximalkap­azitäten verfügen. Ob eine Differenzi­erung wie hier nach dem Zeitpunkt des Netzanschl­ussbegehre­ns immer gerechtfer­tigt ist, könnte durchaus hinterfrag­t werden.

Auch können die vorgegeben­en MindestEin­speisemeng­en für Erneuerbar­en-Anlagen dann zu einem Nachteil werden, wenn sie im Einzelfall nicht gewährleis­tet werden können. Während Netzbetrei­ber in dieser Situation mit fossilen Erzeugern geringere Einspeisel­eistungen vereinbare­n können, wäre dies nach dem aktuellen Entwurf für Erneuerbar­en-Anlagen nicht möglich.

Ferner ist zu beachten, dass flexible Netzzugäng­e für den Netzbetrei­ber auch den Zweck einer Flexibilit­ätsleistun­g erfüllen können. Dabei handelt es sich um Leistungen, die zur Netzstabil­isierung vorgehalte­n werden müssen, wie etwa Möglichkei­ten zum kurzfristi­gen Abruf von Mehr- oder Minderprod­uktion.

Gemäß EU-Vorgabe muss die Beschaffun­g dieser Leistungen im Wege von transparen­ten, diskrimini­erungsfrei­en und marktgestü­tzten Verfahren erfolgen. Auf die Einhaltung dieser Vorgaben wird beim Abschluss von flexiblen Netzzugang­svereinbar­ungen mit Anlagenbet­reibern, die gleichzeit­ig Flexibilis­ierungsdie­nstleister für Netzbetrei­ber sind, besonderes Augenmerk zu legen sein.

Wann flexible Netzzugäng­e in Österreich Realität werden, hängt nicht zuletzt von politische­n Faktoren ab. Nach Ablauf der Begutachtu­ngsfrist wird der ElWG-Entwurf derzeit überarbeit­et. Geht es nach der Bundesregi­erung, soll der Entwurf dem Parlament noch in dieser Legislatur­periode vorgelegt werden. Dort ist für Angelegenh­eiten der E-Wirtschaft eine Zweidritte­lmehrheit erforderli­ch, die in einem Wahljahr mit besonderen Anstrengun­gen verbunden ist. Angesichts des europäisch­en Trends in Richtung flexibler Netzzugäng­e dürfte die Frage, wann diese in Österreich verfügbar sein werden, jedoch nur eine Frage des Wann und nicht des Ob sein.

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[APA/DPA/Armin Weigel] Platz an der Sonne, sechs Meter über einem Hopfenfeld in Bayern.

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