Flexible Zugänge als Stütze der Netze
Energiewende. Entwurf für ein neues Elektrizitätswirtschaftsgesetz versucht, das Beste aus beschränkten Netzkapazitäten zu machen. – Ein Gastbeitrag.
Wien. Der österreichische Rechtsrahmen für die Elektrizitätswirtschaft steht vor einer grundlegenden Überarbeitung. Im Jänner wurde der Entwurf für ein neues Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) vorgelegt. Darin wird auch ein Thema adressiert, das derzeit ein erhebliches Hindernis für die Umsetzung von Erneuerbaren-Projekten darstellt und Stromerzeuger wie Netzbetreiber vor große Herausforderungen stellt.
Nicht selten können Erneuerbaren-Projekte mangels ausreichender Netzkapazität nämlich nicht oder nicht in der geplanten Dimension verwirklicht werden. Umgekehrt kann sich schwankende Stromproduktion von Erneuerbaren-Erzeugungsanlagen negativ auf die Netzstabilität auswirken. Hinzu kommt eine zunehmende Nachfrage nach Elektrizität, etwa für Mobilität, die Elektrifizierung der Industrie und CO2-armen Wasserstoff.
Neuralgische Verbindungen
In dieser Gemengelage spielen Stromnetze eine kritische Rolle. Nicht ohne Grund hat die EU-Kommission im November 2023 einen Aktionsplan für Stromnetze veröffentlicht, mit dem sichergestellt werden soll, dass die europäischen Netze effizienter funktionieren und beschleunigt ausgebaut werden. Die für den Netzausbau benötigten Technologien werden auch als Teil jener Technologien genannt, die nach dem EU-Netto-Null-Industriegesetz zur Deckung des Bedarfs an sauberen Technologien vermehrt in der EU produziert werden sollen.
Der ElWG-Entwurf enthält Ansätze, um den Netzanschluss von Erneuerbare-Energie-Anlagen trotz der dargestellten Herausforderungen schneller zu bewerkstelligen. Künftig soll zwischen Netzbetreibern und Projektwerbern ein sogenannter flexibler Netzzugang vereinbart werden können, falls das ursprünglich beantragte Ausmaß an Einspeisekapazität wegen mangelnder Netzkapazitäten nicht gewährleistet werden kann.
Mit diesem Vorschlag soll (auch) der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die zugesicherten Einspeisekapazitäten derzeit auf Basis von Maximalkapazitäten berechnet werden. Diese werden aber häufig nur zu wenigen Spitzenzeiten mit optimalen Einstrahlungsbzw. Windverhältnissen ausgeschöpft.
Bei einem flexiblen Netzzugang wird dem Projektwerber eine geringere als die maximale Einspeisekapazität vertraglich zugesagt. Für Erneuerbaren-Anlagen sieht der ElWG
Entwurf mindestens zu gewährende Einspeisekapazitäten von 80 Prozent für Fotovoltaikanlangen und 90 Prozent für Windkraftanlagen vor.
Die Drosselung soll zeitlich begrenzt sein und mit einer Verpflichtung des Netzbetreibers einhergehen, innerhalb gewisser Fristen die erforderlichen Kapazitäten für den Netzausbau zu schaffen. Je nach Netzebene ist eine Frist zwischen sechs und 18 Monaten vorgesehen. Dahinter steht die Überlegung, dass der Netzausbau nicht aufgrund von flexiblen Netzzugängen hintangestellt werden soll. Bei Fristüberschreitung besteht eine Verlängerungsmöglichkeit von bis zu drei Jahren, wofür allerdings ein Bescheid der E-Control erforderlich sein soll.
E-Control für niedrigere Grenzen
Das Umweltministerium erhofft sich aus dem flexiblen Netzzugang eine substanzielle Erhöhung der installierten Erneuerbaren-Erzeugungsleistung. Auch die E-Wirtschaft begrüßt den Vorschlag grundsätzlich. Die EControl hat sich sogar für eine weitere Flexibilisierung bei Herabsetzung der mindestens zu gewährenden Maximalkapazität ausgesprochen (70 % bei Fotovoltaik und 80 % bei Windkraft). Gleichzeitig regt sie an, die Fristen zum Netzausbau durch eine Regelung zu ersetzen, nach der die Frist im Einzelfall vom Netzbetreiber selbst festzulegen ist, dann jedoch ohne Verlängerungsoption.
Mit dem Modell des flexiblen Netzzugangs würde Österreich eine Vorreiter-Rolle in Europa einnehmen. Aktuell ermöglichen nur wenige europäische Länder derartige
Konzepte, darunter Norwegen, Belgien und Ungarn. Das könnte sich bald ändern: Immerhin nennt die EU-Kommission in ihrem Aktionsplan für Stromnetze flexible Netzzugänge explizit als Lösung für Kapazitätsprobleme.
Es könnte aber auch noch weitergedacht werden. Neben tariflichen Anreizmodellen kursieren Modelle wie Netzzugänge mit zeitweisen Kapazitätsbeschränkungen, „Use it or lose it“-Konzepte, bei denen die vereinbarten Anschlusskapazitäten bei Nichtnutzung kurzfristig oder endgültig wieder entzogen werden können, oder die gemeinschaftliche Netznutzung, bei der mehrere Nutzer oder Anschlusspunkte zwecks optimaler Kapazitätsnutzung zusammengefasst werden. All das sind innovative Ansätze zur effizienten Nutzung vorhandener Netzkapazitäten, die möglicherweise noch mit der Einbindung von Stromspeichern und automatisiertem Energiemanagement verbunden werden können.
Bedenkliche Ungleichheit
Bei der Umsetzung dieser Modelle ist zu beachten, dass für den Zugang und die Nutzung von Netzinfrastruktur der Grundsatz der Nichtdiskriminierung gilt. Gerade die Anlagendrosselung bei flexiblen Netzanschlüssen erzeugt eine gewisse Ungleichheit zwischen neuen und bestehenden Stromproduzenten, da Letztere über – nicht immer optimal genutzte – Netzanschlüsse im Ausmaß ihrer Maximalkapazitäten verfügen. Ob eine Differenzierung wie hier nach dem Zeitpunkt des Netzanschlussbegehrens immer gerechtfertigt ist, könnte durchaus hinterfragt werden.
Auch können die vorgegebenen MindestEinspeisemengen für Erneuerbaren-Anlagen dann zu einem Nachteil werden, wenn sie im Einzelfall nicht gewährleistet werden können. Während Netzbetreiber in dieser Situation mit fossilen Erzeugern geringere Einspeiseleistungen vereinbaren können, wäre dies nach dem aktuellen Entwurf für Erneuerbaren-Anlagen nicht möglich.
Ferner ist zu beachten, dass flexible Netzzugänge für den Netzbetreiber auch den Zweck einer Flexibilitätsleistung erfüllen können. Dabei handelt es sich um Leistungen, die zur Netzstabilisierung vorgehalten werden müssen, wie etwa Möglichkeiten zum kurzfristigen Abruf von Mehr- oder Minderproduktion.
Gemäß EU-Vorgabe muss die Beschaffung dieser Leistungen im Wege von transparenten, diskriminierungsfreien und marktgestützten Verfahren erfolgen. Auf die Einhaltung dieser Vorgaben wird beim Abschluss von flexiblen Netzzugangsvereinbarungen mit Anlagenbetreibern, die gleichzeitig Flexibilisierungsdienstleister für Netzbetreiber sind, besonderes Augenmerk zu legen sein.
Wann flexible Netzzugänge in Österreich Realität werden, hängt nicht zuletzt von politischen Faktoren ab. Nach Ablauf der Begutachtungsfrist wird der ElWG-Entwurf derzeit überarbeitet. Geht es nach der Bundesregierung, soll der Entwurf dem Parlament noch in dieser Legislaturperiode vorgelegt werden. Dort ist für Angelegenheiten der E-Wirtschaft eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, die in einem Wahljahr mit besonderen Anstrengungen verbunden ist. Angesichts des europäischen Trends in Richtung flexibler Netzzugänge dürfte die Frage, wann diese in Österreich verfügbar sein werden, jedoch nur eine Frage des Wann und nicht des Ob sein.