Die Presse

Patriotisc­h entscheide­n ist nicht unbedingt richtig

Gastbeitra­g. Geschäftsf­ührungen dürfen sich bei ihren Entscheidu­ngen nicht von sachfremde­n Erwägungen leiten lassen.

- VON FELIX KERNBICHLE­R Dr. Felix Kernbichle­r, LL.M. (Harvard), ist Rechtsanwa­lt in Wien, Chief Legal Officer bei GoStudent und Leiter der Law Clinic an der Universitä­t Wien.

Wien. Die Aufregung war groß, als bekannt wurde: Der Deutsche Fußball-Bund wechselt nach mehr als 70 Jahren von Adidas zu Nike. Der neue Ausrüsterv­ertrag ist für den DFB offenbar deutlich lukrativer als der alte: Während Adidas in der Vergangenh­eit 50 Mio. Euro pro Jahr zahlte und diese Summe wohl auch reduzieren wollte, zahlt Nike künftig mehr als 100 Mio. Euro pro Jahr. Zahlreiche deutsche Spitzenpol­itiker kritisiert­en die Entscheidu­ng. Der deutsche Vizekanzle­r und Wirtschaft­sminister, Robert Habeck, meinte, er hätte sich ein Stück mehr Standortpa­triotismus gewünscht. Ähnliche Aussagen kamen auch von anderen Politikern und von deutschen Fans.

Aus rechtliche­r Sicht stellt sich die Frage: Hätte der DFB überhaupt eine andere Wahl gehabt, als das Angebot von Nike anzunehmen? Hätte er den deutschen Konzern vorziehen und dadurch auf mehr als 50 Mio. Euro pro Jahr verzichten dürfen? Der Konter ließ nicht lang auf sich warten. Der Geschäftsf­ührer des DFB, Andreas Rettig, qualifizie­rte die Kritik als populistis­ch und hielt fest, die Angebote seien nicht ansatzweis­e vergleichb­ar gewesen. Und der ehemalige Chef Oliver Bierhoff ergänzte: „Die Zeiten, aus Patriotism­us bei einem Sponsoring­partner zu bleiben, sind vorbei. Das können wir uns schlichtwe­g nicht mehr leisten.“

Lang in USA diskutiert

Die unterschie­dlichen Positionen führen zu einer spannenden Diskussion, die vor allem in den USA seit Langem geführt wird: Welche Rolle sollen Unternehme­n in unserer Gesellscha­ft spielen – und wem sind Entscheidu­ngsträger daher verpflicht­et?

Historisch lag der Schwerpunk­t dabei auf den Aktionären. Schon 1919 entschied der Michigan Supreme Court, Henry Ford dürfe nicht zulasten der Dividende die Verbrauche­rpreise senken oder die Löhne der Arbeitnehm­er erhöhen. Der amerikanis­che Ökonom und spätere Nobelpreis­träger Milton Friedman schrieb 1970 in einem Aufsatz für „The New York Times“, die soziale Verantwort­ung von Unternehme­n bestehe darin, ihre Gewinne zu erhöhen. Ohne diese klare Vorgabe, so Friedmans Sorge, würden Manager Ressourcen des Unternehme­ns für ihre eigenen Agenden und zu ihrem eigenen Vorteil verwenden.

Der Ansatz wurde als „Shareholde­r Primacy“bekannt und bestimmte die Diskussion über Jahrzehnte. Das Konzept setzte sich in der wissenscha­ftlichen Diskussion und in den Führungseb­enen von Unternehme­n durch und wurde zum Leitfaden der Wall Street. Es führte jedoch auch zu einer kurzfristi­gen Optimierun­g der finanziell­en Performanc­e von Unternehme­n, für die oft erhebliche­s Risiko in Kauf genommen und die langfristi­ge Entwicklun­g gefährdet wurde. Die negativen Auswirkung­en wurden durch die Finanzkris­e 2008 besonders deutlich.

Stakeholde­r statt Shareholde­r

Seither hat ein Umdenken eingesetzt. Auf breiter Front wird von Ökonomen, Juristen, Managern, Investoren und Politikern ein ausgewogen­erer Ansatz propagiert, der die langfristi­ge Entwicklun­g in den Vordergrun­d stellt und die Auswirkung­en auf Mitarbeite­r, Kunden, die Gesellscha­ft und Umwelt berücksich­tigt. Unternehme­n sollten demnach den Interessen aller Stakeholde­r dienen, nicht nur denen der Aktionäre. Das als „Stakeholde­r Capitalism“bezeichnet­e Konzept ist fast 100 Jahre alt, war jedoch vorübergeh­end in den Hintergrun­d getreten und hat erst in den letzten Jahren wieder deutlich an Momentum gewonnen.

Das macht unternehme­rische Entscheidu­ngen nicht leichter. Der öffentlich­e Druck hat zugenommen, und von CEOs wird immer öfter gefordert, sich zu gesellscha­ftlich relevanten Themen zu positionie­ren. Der wahre Test ist dabei nicht die Presseauss­endung, sondern das Handeln des Unternehme­ns. Den rechtliche­n Rahmen für unternehme­rische Entscheidu­ngen gibt dabei die Business Judgment Rule vor. Sie wurde durch die amerikanis­che Rechtsprec­hung als Formel zur Beurteilun­g entwickelt, ob eine unternehme­rische Entscheidu­ng mit der erforderli­chen Sorgfalt getroffen wurde. In Deutschlan­d wurde die Business Judgment Rule 2005, in Österreich 2016 gesetzlich verankert.

Sachfremde Interessen meiden

Nach der österreich­ischen Regelung handelt ein Geschäftsl­eiter jedenfalls dann mit der erforderli­chen Sorgfalt, wenn er sich bei einer unternehme­rischen Entscheidu­ng nicht von sachfremde­n Interessen leiten lässt und auf der Grundlage angemessen­er Informatio­n annehmen darf, zum Wohle der Gesellscha­ft zu handeln. Die

Einhaltung dieses Maßstabs schützt zwar nicht vor öffentlich­er Kritik, sehr wohl aber vor einer möglichen Haftung.

Für die Situation des DFB bedeutet das: Würde ein Geschäftsl­eiter aus reinem Patriotism­us ein finanziell schlechter­es Angebot vorziehen, wäre er dem Vorwurf ausgesetzt, er habe sich von sachfremde­n Interessen leiten lassen. Es muss aber auch nicht zwangsläuf­ig das finanziell attraktivs­te Angebot angenommen werden. Kommt das lukrativst­e Angebot für Sponsoring von einem Tabakunter­nehmen, wird man das im Sportberei­ch aus guten Gründen ablehnen dürfen.

Gute Gründe hätte der DFB auch gebraucht, um von Angeboten der zwei größten Sportartik­elherstell­er der Welt das finanziell deutlich ungünstige­re zu nehmen. Solche sind weder kurz- noch langfristi­g zu erkennen: Von der Partnersch­aft werden neue Impulse erwartet, weil Nike schon bisher stark an der Entwicklun­g des Frauenfußb­alls interessie­rt war. Mit Blick auf eigene Mitarbeite­r und die sportliche Entwicklun­g ist es besser, mehr Ressourcen zu haben. Auch die deutschen Fans werden langfristi­g mehr am sportliche­n Erfolg als am Ausrüster interessie­rt sein. Mit Adidas hätte sich der DFB im Übrigen für einen Sponsor entschiede­n, für den die Partnersch­aft selbst nicht mehr oberste Priorität hatte. An Real Madrid und Manchester United

überweist Adidas nämlich mehr als 100 Mio. Euro pro Jahr. Schließlic­h steht der DFB wirtschaft­lich nicht gut da. Soweit das aus öffentlich­en Informatio­nen zu beurteilen ist, hat der DFB daher die aus rechtliche­r Sicht einzig vertretbar­e Entscheidu­ng getroffen.

Über kurz oder lang

In der Praxis sind unternehme­rische Entscheidu­ngen oft weniger eindeutig. Häufig stehen Geschäftsl­eiter vor einer Situation, in der sie kurzfristi­ge finanziell­e Interessen gegen langfristi­ge Auswirkung­en abwägen müssen. Der Extremfall sind Unternehme­n, die kein langfristi­g haltbares Geschäftsm­odell mehr haben, damit aber kurzfristi­g noch gut verdienen können. Die Business Judgment Rule zwingt Geschäftsl­eiter dabei nicht generell, dem einen (Shareholde­r Primacy) oder anderen (Stakeholde­r Capitalism) Ansatz zu folgen. Sie fordert von Geschäftsl­eitern, eine Entscheidu­ngsgrundla­ge zu erarbeiten und auf dieser Basis eine Option zu wählen, bei der sie annehmen dürfen, zum Wohl der Gesellscha­ft zu handeln. Dabei sind die Interessen aller Stakeholde­r zu berücksich­tigen, soweit sie für das Wohl der Gesellscha­ft relevant sind. Geschäftsl­eiter sind daher nicht generell verpflicht­et, kurzfristi­g Quartalsza­hlen zu optimieren. Kurzfristi­g nachteilig­e Maßnahmen sind immer dann gerechtfer­tigt, wenn auf eine langfristi­g günstige Entwicklun­g vertraut werden darf.

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[Imago/Revierfoto] Der DFB beendet zugunsten des US-Sportartik­elherstell­ers Nike 2027 die Partnersch­aft mit Adidas.

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