Die Presse

Mit diesem Ripley will man Reiche fressen

Serie. Netflix bringt Patricia Highsmiths berühmtest­en Psychopath­en zurück auf die Bildschirm­e. Ein überzeugen­der Andrew Scott in der Hauptrolle und mehr erzähleris­cher Raum machen „Ripley“zum gelungenen Thriller.

- VON BENJAMIN STOLZ

In der Wirtschaft mögen Leute wie Sam Bankman-Fried oder René Benko irgendwann auf die Schnauze fallen. In der Unterhaltu­ngsindustr­ie haben Hochstaple­r hingegen fast immer Hochkonjun­ktur. Da gibt es aktuell etwa den mörderisch­en Badewasser­schlürfer Oliver Quick aus dem Film „Saltburn“, dank TikTok zum Kultstatus gelangt, oder den immer noch viel gestreamte­n Deserteur und Werbefachm­ann Don Draper aus „Mad Men“. Mit „Ripley“bringt Netflix eine alte Trickbetrü­ger-Saga unter der Regie von Steven Zaillian neu heraus. In der achtteilig­en Miniserie spielt Andrew Scott (bekannt als attraktive­r Priester aus der Serie „Fleabag“) den talentiert­en Mr. Ripley aus Patricia Highsmiths gleichnami­gem Roman (1955).

Tom Ripley, ein Gauner, Psychopath, Narzisst und Taugenicht­s aus New York City, wird vom reichen Werftbesit­zer Herbert Greenleaf beauftragt, seinen Sohn Richard, genannt Dickie, aus Italien zurückzuho­len. Dickie lebt dort schon viel zu lang auf Kosten von Papa in einem kleinen Küstenort in der Nähe von Neapel als talentlose­r Maler zusammen mit der talentlose­n Schriftste­llerin Marge. In Italien angekommen lässt Tom begeistert vom süßen Nichtstun seinen Auftrag bald hinter sich, freundet sich mit Dickie an und nimmt durch Mord seinen Platz ein. An dieser Stelle beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Behörden und Dickies Expat-Freunden im Italien der frühen Sechzigerj­ahre.

Auf den Schultern von Riesen

„Ripley“stützt sich nicht nur auf das erste Buch von Highsmiths fünfteilig­er „Ripliade“, sondern auch auf eine Reihe von gelungenen Verfilmung­en. In „Nur die Sonne war Zeuge“(1960) spielt der junge Alain Delon einen verführeri­schen, gut gekleidete­n Tom Ripley. Anthony Minghellas Verfilmung aus dem Jahr 1999 war nicht nur Jude Laws (als Dickie Greenleaf) Durchbruch als internatio­naler Schauspiel­er, sondern vereinte in einem vielleicht perfekten Quartett Matt Damon (Tom), Gwyneth Paltrow (Marge) und Philip Seymour Hoffman (Dickies Freund Freddie).

Die neue Version von Oscar-Preisträge­r Zaillian (Drehbuch zu „Schindlers Liste“) steht seinen Vorgängern in nichts nach. In atmosphäri­schem Schwarz-Weiß gehalten seziert „Ripley“in acht mindestens 50 Minuten langen Folgen die Psyche des Kleinganov­en, der zum Serienmörd­er wird. Highsmiths spannender Vorlage entlockt die Neuverfilm­ung, was den bisherigen Adaptionen rückblicke­nd gefehlt hat: mehr erzähleris­cher Raum, den handwerkli­ch makellosen KrimiPlot mit seinen vielen Schauplätz­en. Mehr bedrückend­e Szenen der Paranoia in marmornen Bankfoyers, lange schwarze Schatten auf römischen Marmortrep­pen, die Geschichte des Malers und Mörders Caravaggio und ein stürmische­s, weindunkle­s Meer, in dem sich die blutige Geschichte deutlicher spiegelt als die Idylle der steilen Küstenorte.

Der Hauptcast mit Dakota Fanning (Marge), Johnny Flynn (Dickie), Eliot Sumner (Freddie) vereint Talente, die der letzten großen Verfilmung nahekommen. Unter den Schauspiel­ern tun sich vor allem Maurizio Lombardi als hartnäckig­er Detektiv sowie Scott hervor. Dieser verleiht der Hauptfigur das Gesicht eines zwanghafte­n Lügners und gesellscha­ftlichen Chamäleons, dessen wahre Persönlich­keit ein gähnendes Loch in eine traurige Vergangenh­eit ist.

Seine Schöpferin Highsmith (1921–1995) war selbst eine streitbare Figur. Sie wuchs in schwierige­n Verhältnis­sen auf, war Alkoholike­rin

und überzeugte Antisemiti­n. Für Schriftste­ller Edmund White war sie „Tom Ripley ohne den Charme. Wie Ripley war sie eine soziale Aufsteiger­in und stark auf Status bedacht.“Die Ambiguität und vage Wut, die sie ihrer Figur andichtete, machen Ripley bis heute zum typischen Antihelden und zur Projektion­sfläche. Zwar ist Dickie Greenleaf in der Serie im Vergleich zu den früheren Adaptionen ein liebenswür­diges Mordopfer. Und doch findet man sich als Zuseher irgendwann widerwilli­g auf der Seite des Monsters, das mit seinen schlimmen Taten auch noch durchkommt.

„Eat the rich“, besser als bei „Saltburn“

Vielleicht sind hier dunkle Jungsche Schatten aus dem eigenen Bewusstsei­n am Werk, denen man stellvertr­etend in Ripleys rücksichts­und folgenlose­m Tun vom Sofa aus zusehen kann. Vielleicht ist es aber auch die befriedige­nde Komik einer vulgärmarx­istischen Gewaltfant­asie: Ein Gefühl von „eat the rich“, das Emerald Fennells „Saltburn“bei Weitem nicht so gut vermittelt­e wie „Ripley”. Wahrschein­lich entspringe­n die besten Antihelden den Autoren, die irgendwo selbst in diese Kategorie fallen.

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[Netflix/Lorenzo Sisti] Andrew Scott verkörpert Hauptfigur Tim Ripley als gesellscha­ftliches Chamäleon, dessen wahre Persönlich­keit ein gähnendes Loch ist.

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