Die Presse

Auf Simmels Halbbruder wurde vergessen

Johannes Mario Simmel hatte einen prominente­n Halbbruder: Pianist Walter Klien. Sie kannten sich nicht.

- VON WALTER DOBNER

Anlässlich der 100. Wiederkehr des Geburtstag­s von Johannes Mario Simmel (7. 4.) ist nicht nur eine neue Simmel-Biografie erschienen. Heute Abend wird auch im Rahmen des „Kulturmont­ag“auf ORF2 die jüngst fertiggest­ellte Simmel-Dokumentat­ion von Gustav W. Trampitsch gesendet: „Im aufrechten Gang. Johannes Mario Simmel 1924–2009.“

Da wie dort bleibt allerdings ein offensicht­lich bislang nur wenig bekanntes Detail aus Simmels Biografie unerwähnt: Er hatte einen jüngeren Halbbruder. Dieser trug denselben Vornamen wie der gemeinsame Vater: Walter. Es handelt sich um den 1928 in Graz geborenen Walter Klien, einen der führenden Pianisten seiner Zeit, der heute vielfach vergessen scheint. Dabei zählte er zu den prominente­n Schülern von Arturo Benedetti Michelange­li und Paul Hindemith, war mehrfach erfolgreic­h bei Wettbewerb­en, begleitete Irmgard Seefried und Julius Patzak ebenso wie die Geiger Nathan Milstein, Wolfgang Schneiderh­an und Arthur Grumiaux. Mit Alfred Brendel nahm er Mozarts Konzert für zwei Klaviere auf.

Kliens unter Kennern hochgeschä­tzte Diskografi­e umfasst u. a. sämtliche Mozartund Schubert-Sonaten, mehrere Mozart-Klavierkon­zerte, das gesamte Brahms-Klavierwer­k, aber auch Raritäten wie das Concertino von Arthur Honegger oder Strawinsky­s Konzert für Klavier und Bläser. Zeitlebens setzte sich der Pianist, der einige Zeit in London lebte, ehe er Wien zu seinem Wohnsitz wählte, für das Schoenberg-Klavierkon­zert ein.

Der Tod kam Kennenlern­en zuvor

Erst gegen Ende seines Lebens – Klien verstarb am 10. Februar 1991 an Krebs – teilte er einigen wenigen Bekannten mit, dass Simmel sein Halbbruder sei. Er wisse nicht, ob dieser davon Kenntnis habe. Er jedenfalls habe fest vor, ihn demnächst zu kontaktier­en und sei neugierig auf die Reaktion. Dazu ist es wegen Kliens überrasche­ndem Tod nicht mehr gekommen.

Dass er einen Halbbruder habe, der ein internatio­nal bekannter Musiker sei, wurde schon zu Simmels Lebzeiten gemunkelt. Aber wann immer Simmel darauf angesproch­en wurde, tat er es als Gerücht ab. Weil er tatsächlic­h von der Existenz dieses Halbbruder­s keine Ahnung hatte? Oder wollte der scheue Schriftste­ller einfach nicht behelligt werden? Das muss nach gegenwärti­gem Kenntnisst­and offenbleib­en. Walter Kliens Mutter, die ihn in Graz bei Pflegeelte­rn hinterließ und eine Karriere in den USA suchte, ist übrigens Erika Giovanna Klien, eine führende Vertreteri­n des Wiener Kinetismus.

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