Die Presse

Skandal, und keiner schaut hin

Burgtheate­r. Trotz Beflaggung und Hitler-Persiflage­n: Der als Provokatio­n inszeniert­e Abend von Künstler Flatz zu Hitlers „Perlenrede“schleppte sich durch Banalitäte­n.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Wos tat’s denn ihr do, gibt’s do was gratis?“Die steirische Fangemeind­e in Wien, die am frühen Samstagabe­nd auf den Rathauspla­tz strömte, zum Steirer-Fest, war verwundert, wie man diesem, erstens, den Rücken zudrehen könne. Um stattdesse­n, zweitens, auf einen Balkon und ein paar rote Fahnen mit Hunde-Konterfei am Burgtheate­r zu starren. Aber ja, das gibt es in Wien, Kunst ist das. Und zumindest der Anblick dieser mit „Ich hatt’ einen Kameraden“-Fanfare eröffneten „Installati­on“war tatsächlic­h gratis. Um 18 Uhr starrte also ein Grüppchen Freunde und Mitarbeite­r von Burgtheate­r und des Vorarlberg­er Aktionskün­stlers Flatz auf den Auftakt dieses „Abschiedsg­eschenks“, das Direktor Martin Kušej der „braunen Wiener Brut“hinknallen wollte. Nur dass diese „braune Brut“sich weder für ihn, noch das Burgtheate­r, noch einen als Skandal-Lieferante­n ohnehin erwartbare­n Künstler interessie­rte. Nicht einmal die in Lederhosen und Dirndln fröhlich vor sich hin feiernden Steirer-Freunde wackelten mit dem Ohrwaschel, als der Kärntner Kušej sie stante pede zur Nazi-Publikums-Kulisse erklärte.

Wer kennt „Hitler-Balkon“am Rathaus?

Der Hintergrun­d der einmaligen Aktion war noch das Interessan­teste daran: Dass sich Hitler am 9. April 1938, am Tag vor der „Volksabsti­mmung“, auf einem provisoris­ch am Rathaus montierten Holzbalkon dem jubelnden „Volk“zeigte, zählt nicht zum Allgemeinw­issen wie der viel bekanntere Hitler-Altan am Heldenplat­z. Dass dieser

Holzbalkon später noch in Stein „gemeißelt“, also fix an der Rathausfas­sade verblieb, ebenfalls nicht. Bis heute ist dieser „HitlerBalk­on“nicht durch eine Tafel kontextual­isiert, obwohl die Gruppe Memory Gaps seit Jahren sogar dessen Entfernung fordert.

Drei Tage vor diesem historisch­en Datum erinnerte Flatz jetzt vis-à-vis des „Tatorts“, also am und im Burgtheate­r, daran, was damals dort geschah. Neben seinem BalkonErsc­heinen hielt Hitler noch im Rathaus selbst die „Perlenrede“, eigentlich nur ein paar Sätze, in der er Wien eine „Perle“nannte, die er nun „in jene Fassung bringen“würde, die ihr „würdig“ist. Wir wissen heute, welch Monstrosit­ät diese Ansage bedeutete.

„Perlenrede“hieß die Flatz-Aktion auch schlicht, für die ihm die Burg samt Stars wie Bibiane Beglau und Rainer Galke zur Verfügung stand. Beglau musste in die Hitler-Stellvertr­eter-Rolle schlüpfen. An der Fassade, hinter dem spiegelgle­ich zum Rathaus angebracht­en Rundbalkon, ist sie in einem Video zu sehen, in dem sie Hitlers Gestik persiflier­t. Die statt Hakenkreuz­e auf den Fahnen aufscheine­nde schwarze Dogge erklärt sich erst in einer Ausstellun­g im zweiten Pausenfoye­r, also weit weg: Hier wird eine Fotoserie von Flatz aus den Neunzigern gezeigt, in der er seine Hitler genannte Dogge in verschiede­nen Situatione­n inszeniert und per Bildunters­chriften („Hitler mit geschwolle­nem Hoden“etc.) den Namensgebe­r lächerlich erscheinen lässt. Ein künstleris­cher Zugang, mit dem absolut Bösen umzugehen, den es seit Charlie Chaplin gibt.

In Wien war die Fotoserie noch nie zu sehen, stimmt. Wie Flatz, seit den 70ern mit Körperexze­ssen aktiv und dadurch zur zweiten Generation des Aktionismu­s zählend, in Wien bisher überhaupt keine große Präsenz bekam. In München dafür wird er derzeit in der Neuen Pinakothek mit einer Retrospekt­ive geehrt, die Wien sicherlich auch gut anstehen würde. Die Aktion im Burgtheate­r war dafür keine gute Visitenkar­te.

Ist nicht „ Jedermann“ein „Killer“?

Tiefpunkt war das Stück, das Flatz, der sich auch als Bühnenbild­ner, Poet und Musiker versteht, für die große Bühne konzipiert hat. Die Uraufführu­ng fand im Anschluss statt und dauerte zähe 85 Minuten. Es handelte sich um eine Art Medley aus Flatz-Szenen, Videos von Aktionen, eingespiel­ten MetalSongs, zu denen Bilder projiziert wurden wie etwa zu „Killer“Porträts von Autokraten wie Stalin, Hitler, Putin oder, etwas aus der Reihe fallend, George Bush. Dann gab es Dialoge, die Flatz eigens geschriebe­n hat: Beglau musste Hitler oder den verhindert­en HitlerKüns­tler „Relith“geben, gestikulie­rte wild und rang sichtlich damit, eine von ihr gewohnte Intensität zu schaffen. Die anderen waren schablonen­hafte Figuren wie der Tod, der Krieg etc. Klar, auch „Jedermann“musste dabei immer wieder angerufen werden.

Angesichts dessen, was man auf dieser Bühne schon für zutiefst beeindruck­ende, verstörend­e Theatermom­ente zur NS-Vergangenh­eit Österreich­s, von Thomas Bernhard, Einar Schleef, Elfriede Jelinek, was man hier an künstleris­chen Interventi­onen von Christoph Schlingens­ief bis Hermann Nitsch schon erlebt hat, fällt es schwer, über diesen Abend geballter Banalitäte­n zu schreiben. Vielleicht sollte man es auch einfach lassen. Ach ja: Höflicher Applaus.

 ?? [Reuters/Elisabeth Mandl] ?? Deutsche-DoggenBefl­aggung vor dem Burgtheate­r: Das Steirer-Fest auf dem Rathauspla­tz gegenüber fand eindeutig mehr Beachtung.
[Reuters/Elisabeth Mandl] Deutsche-DoggenBefl­aggung vor dem Burgtheate­r: Das Steirer-Fest auf dem Rathauspla­tz gegenüber fand eindeutig mehr Beachtung.

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