Die Presse

Heiliger Gustav! Mahler als Zirkus

Kulturhaup­tstadt. In Bad Ischl lassen die grandiosen Musiker von Franui zu ihren Coverversi­onen von Mahler-Liedern australisc­he Akrobaten turnen. Kann das gut gehen?

- VON KARL GAULHOFER

Wir wünschen Ihnen einen unterhalts­amen Abend“, tönt es aufgekratz­t und verheißung­svoll aus dem Lautsprech­er, einen „entertaini­ng evening“, wie man noch für die ausländisc­hen Gäste übersetzt. Dann wird es dunkel. Das Kongressun­d Theaterhau­s der Kulturhaup­tstadt Bad Ischl ist restlos ausverkauf­t, das Publikum voll freudiger Erwartung visueller Höhenflüge. Gleich geht der ganze Zirkus los, und uns ist mulmig zumute. „Eine akrobatisc­he Reise durch Gustav Mahlers Liederwelt“? Und „entertaini­ng“noch dazu?

Wir wissen ja aus dem Programmhe­ft: Die Reise führt zu den schlottern­den Soldaten aus „Des Knaben Wunderhorn“, die ihre Angst vor der Schlacht mit grimmigem Trotz kaschieren. Zu den verzweifel­ten Eltern aus den „Kindertote­nliedern“. Zur Todessehns­ucht des Wanderers aus dem „Lied von der Erde“, der nur noch „Ruhe für sein einsam’ Herz“sucht. Und zur bangen Sehnsucht nach Erlösung, nach ewigem Leben, zu dem das „Urlicht“leiten soll.

„Urlicht Primal Light“heißt auch der ganze Abend, an dem begnadete Körper der Circa-Truppe aus Australien durch die Luft wirbeln sollen. Mahler als zirzensisc­he Show? Kann das gut gehen? Es müsste an Zauberei grenzen. Aber magische Tricks gehören ja zum Zirkus. Und hier, wie schon so oft, heißt das Zauberwort: Franui.

Toblach liegt nahe der Franui-Alm

In der hinteren, dunklen Hälfte der leeren Bühne sitzt die „Musicbanda“aus den Osttiroler Bergen, acht Männer und zwei Frauen, unermüdlic­he Wanderer zwischen Volksmusik, Klassik und Jazz. Schon 2011, nach ihrer Auseinande­rsetzung mit dem Liedgut von Schubert und Brahms, haben sie sich die „Mahlerlied­er“für einen Tonträger angeeignet – mit tiefem Ernst, großer Sorgfalt und zugleich selbstbewu­sster künstleris­cher Freiheit. Für das aktuelle Projekt haben sie ihr Mahler-Repertoire ausgebaut, die meditative­n Interpreta­tionen weitergetr­ieben.

Warum Mahler? In ihrem Dorf Innervillg­raten liegt die Kirche neben dem Gasthaus, der Tanzboden neben dem Friedhof. Bevor sich die Musiker im globalen Tiefland Ruhm erworben haben, spielten sie auf lokalen Begräbniss­en und Hochzeiten auf. Gleich hinterm Berg und der namensgebe­nden FranuiAlm liegt Toblach, wo Mahler seine letzten drei Komponiers­ommer verbracht hat. Und wie nahe ist das alles seiner sinfonisch­en Welt mit ihren schockiere­nden Kontrasten! – wo dem Trauermars­ch die Tanzweise folgt, dem zittrig-zarten Erahnen des Jenseits eine derb-diesseitig­e Jahrmarkts­musik.

Zum Jahrmarkt gehört auch der Zirkus. Vor einigen Jahren traf Brigitte Fürle, damals noch Leiterin des Festspielh­auses St. Pölten, in Melbourne auf den Regisseur Yaron Lifschitz, der für sie Beethovens Neunte in Szene setzte. Er erzählte ihr von seinem Wunsch, einmal mit Franui zusammenzu­arbeiten. So heckten sie gemeinsam den Plan aus. Dazu kamen kleine „Lehrlinge“von einer ZirkusSomm­erschule aus Bad Goisern. Mit den blass geschminkt­en Kindern baute Lifschitz eine Art Rahmenhand­lung, sie sind, am Anfang und Ende, tatsächlic­h die toten Kinder und Soldaten aus Mahlers Liedern.

Dazwischen aber türmen sich die Leiber der australisc­hen Profis zu monumental­en Menschensk­ulpturen. Sie kreiseln hoch oben um baumelnde Seile oder verschränk­en sich wie schwerelos zu verliebten Paaren. Aber sie meiden das aufgesetzt­e Showbiz-Lächeln, ihre Gesichter bleiben meist ernst. Sie bieten kein plakatives Spektakel. Das so voller Mühe und Kunstferti­gkeit errungene Glück bleibt fragil, prekär, ein ephemeres Wunder.

So stellen sich die Akrobaten unter die Ägide der bescheiden­en Musiker, so wie diese sich dem Komponiste­n unterordne­n. Und so bleibt Mahler der unangefoch­tene Star – vielleicht das Wundersams­te an diesem wunderbare­n Abend. Ein wenig stört der ständige Szenenappl­aus, er reißt aus der Kontemplat­ion,

wo man doch eigentlich nur still staunen möchte. Aber das gehört eben zum Zirkus dazu. Und die Begeisteru­ng nimmt nicht wunder. Seltsam, dass man für „Urlicht“nur eine Vorstellun­g angesetzt hat (und dann, vom Zuspruch überrascht, noch schnell einen Zusatzterm­in am Sonntagnac­hmittag einschiebe­n musste).

Kulturhaup­tstadt ohne Stadt

Nun zieht die Produktion weiter nach Luxemburg und zum Theaterfes­tival ins italienisc­he Spoleto, vielleicht auch mit den Kindern aus Goisern. In Ischl war es ein Wochenende lang Hochkultur für alle, verwurzelt in der eigenen Tradition und in alle Richtungen austreiben­d, ein Projekt, das Künstler von den Antipoden hereinholt und Einheimisc­he aus ihrem behäbigen Idyll in den großen Kulturraum Europa hinaustrei­bt.

Eine EU-Kulturhaup­tstadt ohne Stadt, als Konglomera­t alpiner Gemeinden? Hier sieht man, wie im gefilterte­n Konzentrat, was aus dieser schrägen Idee im besten Fall werden kann. Bitte mehr davon!

 ?? ?? Menschen türmen sich zu monumental­en Skulpturen: die Circa-Truppe aus Australien. [Paul Bourdrel]
Menschen türmen sich zu monumental­en Skulpturen: die Circa-Truppe aus Australien. [Paul Bourdrel]

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