Die Presse

„Benjamin Button“als Oper: Gemeinsam altern? Eine Gnade

Musiktheat­er Linz. Begeisteru­ng für die Uraufführu­ng von Reinhard Febels Oper „Benjamin Button“, inszeniert von Hausherr Hermann Schneider.

- VON WALTER WEIDRINGER

Laut Wilhelm Busch läuft sie – Eins! Zwei! Drei! – im Sauseschri­tt. Aber selbst wenn sie nur vergeht, ist sie uns in der Regel schon zu schnell. Bei Reinhard Febel knattert die Zeit: manchmal sanft, manchmal unerbittli­ch, ja sogar drohend. Im Klang der beiden Riesenrats­chen zum Beispiel, die hier das Vor- und manchmal Zurückspul­en durch die Jahre und Jahrzehnte der Handlung symbolisie­ren.

Doch schon abseits der Ratschen spannt Febel immer wieder Staccato-Felder auf, gleich am Beginn etwa, wenn das Stück mit einem Schrei der in den Wehen liegenden Frau Mama (Gotho Griesmeier) einsetzt. Da überlagern einander repetierte Töne in verschiede­nen Schichten und eigenen Geschwindi­gkeiten, rasch gezupft oder gestoßen, ein klingender Pointillis­mus, bei dem man ans Rieseln einer monströsen Sanduhr denken mag. Das Flexaton mit seinem metallisch-komischen Glissando ist dabei ein weiteres, wiederkehr­endes Symbol, ein Relikt aus den Goldenen Zwanzigern, der Jazz-Ära. Und auch andere musikstili­stische Anverwandl­ungen durchziehe­n die Partitur, mit ihren unaufdring­lich erzählende­n Klängen.

Großes, charakters­tarkes Ensemble

Ingmar Beck bringt sie schön heraus mit dem Bruckner Orchester Linz, dem guten Chor sowie einem großen, charakters­tark besetzten Ensemble (mit Matthäus Schmidlech­ner als Doktor und Michael Wagner als Vater Button). Gilt es doch, historisch­es Lokalkolor­it zu schildern, den Hintergrun­d für das, was F. Scott Fitzgerald 1922 als „seltsamen Fall“geschilder­t hat : das Leben des Benjamin Button, der 1860 als sprechende­r Greis zur Welt kommt, immer jünger wird und schließlic­h als Baby verschwind­et.

Die im 20. Jahrhunder­t spielende Verfilmung mit Brad Pitt aus dem Jahr 2008 ist vielen noch in Erinnerung. Febel bleibt als sein eigener Librettist näher an der Vorlage, verlängert aber Buttons Leben bis zum Beginn des Koreakrieg­s 1950: Eingeblend­ete Jahreszahl­en und Zeitungsju­ngen geben die nötige historisch­e Orientieru­ng in diesem Stationend­rama. Doch wie der Film rückt auch Febel den Fokus auf die Liebe zwischen Benjamin und Hildegarde Moncrief, die in der Oper als alte Frau mehrfach auf diese unfassbare Beziehung zurückblic­kt: „Wie Himmelskör­per ziehen wir aneinander vorüber“, heißt es einmal im Deutsch gesungenen Text.

Baby Button wackelt mit Zehen

Intendant Hermann Schneider macht nicht den Fehler, der allegorisc­hen Geschichte eine verfremden­de Inszenieru­ng überzustül­pen: In Dieter Richters wandlungsf­ähigem Bühnenbild, das mit weißen Vertäfelun­gen zeitloses US-Flair verströmt, lässt er Martin Achrainer als neugeboren­en Benjamin Button in Windeln mit den Zehen wackeln und mit grantigem Bariton nach Zeitung, Whisky und Gehstock verlangen.

Zunächst noch mit einem übergroßen Greisenkop­f auf den Schultern, kommt Achrainer in die besten Jahre, um dann als junger Bursch zu enden: eine famose darsteller­ische Leistung, die er auch stimmlich untermauer­t. Dann freilich übernehmen Kinderdars­teller, während Hildegarde sich von Benjamins anrüchiger­weise erheblich älteren Freundin zu seiner ihn bemutternd­en „Tante“wandelt. Schön, dass Carina Tybjerg Madsen dabei ihren berührende­n Sopranklan­g nicht verliert: eine Liebe, die alles übersteht.

Und die Moral von der Geschicht’? Vielleicht hat sie Oscar Wilde schon in „Eine Frau ohne Bedeutung“zusammenge­fasst, 30 Jahre vor F. Scott Fitzgerald: „Die Seele kommt alt zur Welt und wird jung: Das ist die Komödie des Lebens. Der Körper kommt jung zur Welt und wird alt: Das ist die Tragödie des Lebens.“Freundlich­e Begeisteru­ng für alle nach knapp 110 Minuten.

Termine: 13., 30. 4., 11., 26. 5., 1. 7., 19.30 Uhr

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