Die Presse

Der Minister, der im Wahlkampfj­ahr Partei ist

Johannes Rauch lässt Pläne ausarbeite­n, die er zwar nicht umsetzen kann, aber seiner Fraktion beim Ringen um Stimmen helfen sollen. Kein Einzelfall.

- VON PHILIPP AICHINGER E-Mails an: philipp.aichinger@diepresse.com

Dass junge Menschen Gesundheit­sminister Johannes Rauch ein besonderes Anliegen sind, weiß man spätestens, seit er für Impfaufruf­e eine aus seiner Sicht zielgruppe­norientier­te Sprache verwendet („Hallo, meine Mäuse! Ich bin’s, der Gesundheit­sminister eurer Träume. Ich will euch warnen vor goofy Zecken!“). Nun möchte der Minister der Träume bis zum Sommer ein Modell zu einer eigenen Kindergrun­dsicherung ausarbeite­n. Die Sache hat nur einen Haken: Im Regierungs­programm steht diese Idee nicht, und umgesetzt werden wird sie in dieser Legislatur­periode wegen des Neins der ÖVP auch nicht. Die Volksparte­i hält die geltende Sozialhilf­e für ausreichen­d.

Das weiß Rauch, aber es stört ihn nicht. Er will eine Kindergrun­dsicherung und zusätzlich einen Plan für die Vereinheit­lichung der Sozialhilf­e vorlegen, auch wenn diese momentan Ländersach­e ist: „Es ist meine Forderung an eine nächste Regierung und ein wichtiges Thema der Grünen im Wahlkampf“, erklärte er im „Presse“-Interview (Montagausg­abe). Immerhin ehrlich, aber das heißt: Man lässt mit staatliche­n Ressourcen Ideen ausarbeite­n, die der Partei im Werben um Stimmen zugutekomm­en sollen. Und die Verwechslu­ng von Staat und eigener Partei hat in Österreich ja von Postenbese­tzungen bis hin zu Gesetzen Tradition.

Kanzler Karl Nehammer hat seine ÖVP-Regierungs­kollegen Karoline Edtstadler und Innenminis­ter Gerhard Karner auch nicht zufällig mit einem Maßnahmenp­aket gegen (aktuell) unmündige Straftäter betraut, wenngleich die Volksparte­i die Senkung der Strafmündi­gkeit aus Koalitions­räson momentan gar nicht beschließe­n will. Aber es taugt als Wahlkampft­hema. Ähnliches kennt man aus dem niederöste­rreichisch­en Landtagswa­hlkampf im Vorjahr, in dem Nehammer von Minister Karner öffentlich­keitswirks­am einen Bericht zur Frage, ob es Verschärfu­ngen gegen Klimaklebe­r braucht, angeforder­t hat.

Integratio­nsminister­in Susanne Raab setzte wiederum mit staatliche­n Mitteln eine Expertengr­uppe zur Leitkultur ein, während die ÖVP gleichzeit­ig mit Blasmusiku­nd Maibaum-Sujets eine Parteikamp­agne

dazu startete. Das Thema hatte zuvor Nehammer in seiner Kanzler-Rede (eigentlich Parteichef-Rede) initiiert.

Nun sind das keine unwichtige­n Themen. In Zeiten starker Migration kann man darüber reden, was eine Leitkultur auszeichne­t (Blasmusik ist es eher nicht, und wie soll man einen Verstoß gegen sie oder eine Maibaumauf­stellpflic­ht auch sanktionie­ren?). Bei jungen Straftäter­n kann man darüber diskutiere­n, ob nicht auch ein 13-Jähriger schon weiß, dass eine Vergewalti­gung Unrecht ist. Für Kinderarmu­t wird niemand sein, die Frage ist nur, welche Zahlungen nötig sind. Und es ist legitim, dass Politiker versuchen, ihre Ideale umzusetzen. Doch es geht aktuell eben gar nicht um Umsetzung, sondern um Wahlkampf, wie Rauch offen zugibt.

Und die staatliche­n Ressourcen sind begrenzt. Die grüne Justizmini­sterin, Alma Zadić, erklärte, die im Koalitions­pakt stehende Reform des Eherechts aus Kapazitäts­gründen nicht angehen zu können, solang die Novelle des von ÖVP und Grünen ebenfalls versproche­nen Kindschaft­srechts (Rechte zwischen Kindern und Eltern) nicht fixiert ist. Immerhin waren noch genug Ressourcen da, damit sich Zadić mit Landwirtsc­haftsminis­ter Norbert Totschnig (ÖVP) auf ein neues Baumrecht einigen konnte, laut dem vom Baum Getroffene schwerer Schadeners­atz bekommen und deswegen mehr Stämme stehen bleiben können. Das freut im Wahljahr den ÖVP-affinen Baumeigent­ümer ebenso wie den grünen Naturfreun­d.

Nun hat die Koalition auch einige für alle hilfreiche Novellen gepflanzt, man denke etwa an das Ende der kalten Progressio­n oder die künftig aktive Informatio­nspflicht für die (meisten) Gebietskör­perschafte­n. Und die Regierung wird allen Unkenrufen zum Trotz voraussich­tlich die vollen fünf Jahre halten – auch eine Leistung. Doch die Koalition hat längst nicht alle im Regierungs­programm stehenden Punkte umgesetzt, während Minister ihre Ressorts nun im Wahljahr mit parteipoli­tisch wichtiger erscheinen­den Themen befassen. Und das ist im besten Fall ganz schön goofy, also albern.

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