Der Minister, der im Wahlkampfjahr Partei ist
Johannes Rauch lässt Pläne ausarbeiten, die er zwar nicht umsetzen kann, aber seiner Fraktion beim Ringen um Stimmen helfen sollen. Kein Einzelfall.
Dass junge Menschen Gesundheitsminister Johannes Rauch ein besonderes Anliegen sind, weiß man spätestens, seit er für Impfaufrufe eine aus seiner Sicht zielgruppenorientierte Sprache verwendet („Hallo, meine Mäuse! Ich bin’s, der Gesundheitsminister eurer Träume. Ich will euch warnen vor goofy Zecken!“). Nun möchte der Minister der Träume bis zum Sommer ein Modell zu einer eigenen Kindergrundsicherung ausarbeiten. Die Sache hat nur einen Haken: Im Regierungsprogramm steht diese Idee nicht, und umgesetzt werden wird sie in dieser Legislaturperiode wegen des Neins der ÖVP auch nicht. Die Volkspartei hält die geltende Sozialhilfe für ausreichend.
Das weiß Rauch, aber es stört ihn nicht. Er will eine Kindergrundsicherung und zusätzlich einen Plan für die Vereinheitlichung der Sozialhilfe vorlegen, auch wenn diese momentan Ländersache ist: „Es ist meine Forderung an eine nächste Regierung und ein wichtiges Thema der Grünen im Wahlkampf“, erklärte er im „Presse“-Interview (Montagausgabe). Immerhin ehrlich, aber das heißt: Man lässt mit staatlichen Ressourcen Ideen ausarbeiten, die der Partei im Werben um Stimmen zugutekommen sollen. Und die Verwechslung von Staat und eigener Partei hat in Österreich ja von Postenbesetzungen bis hin zu Gesetzen Tradition.
Kanzler Karl Nehammer hat seine ÖVP-Regierungskollegen Karoline Edtstadler und Innenminister Gerhard Karner auch nicht zufällig mit einem Maßnahmenpaket gegen (aktuell) unmündige Straftäter betraut, wenngleich die Volkspartei die Senkung der Strafmündigkeit aus Koalitionsräson momentan gar nicht beschließen will. Aber es taugt als Wahlkampfthema. Ähnliches kennt man aus dem niederösterreichischen Landtagswahlkampf im Vorjahr, in dem Nehammer von Minister Karner öffentlichkeitswirksam einen Bericht zur Frage, ob es Verschärfungen gegen Klimakleber braucht, angefordert hat.
Integrationsministerin Susanne Raab setzte wiederum mit staatlichen Mitteln eine Expertengruppe zur Leitkultur ein, während die ÖVP gleichzeitig mit Blasmusikund Maibaum-Sujets eine Parteikampagne
dazu startete. Das Thema hatte zuvor Nehammer in seiner Kanzler-Rede (eigentlich Parteichef-Rede) initiiert.
Nun sind das keine unwichtigen Themen. In Zeiten starker Migration kann man darüber reden, was eine Leitkultur auszeichnet (Blasmusik ist es eher nicht, und wie soll man einen Verstoß gegen sie oder eine Maibaumaufstellpflicht auch sanktionieren?). Bei jungen Straftätern kann man darüber diskutieren, ob nicht auch ein 13-Jähriger schon weiß, dass eine Vergewaltigung Unrecht ist. Für Kinderarmut wird niemand sein, die Frage ist nur, welche Zahlungen nötig sind. Und es ist legitim, dass Politiker versuchen, ihre Ideale umzusetzen. Doch es geht aktuell eben gar nicht um Umsetzung, sondern um Wahlkampf, wie Rauch offen zugibt.
Und die staatlichen Ressourcen sind begrenzt. Die grüne Justizministerin, Alma Zadić, erklärte, die im Koalitionspakt stehende Reform des Eherechts aus Kapazitätsgründen nicht angehen zu können, solang die Novelle des von ÖVP und Grünen ebenfalls versprochenen Kindschaftsrechts (Rechte zwischen Kindern und Eltern) nicht fixiert ist. Immerhin waren noch genug Ressourcen da, damit sich Zadić mit Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) auf ein neues Baumrecht einigen konnte, laut dem vom Baum Getroffene schwerer Schadenersatz bekommen und deswegen mehr Stämme stehen bleiben können. Das freut im Wahljahr den ÖVP-affinen Baumeigentümer ebenso wie den grünen Naturfreund.
Nun hat die Koalition auch einige für alle hilfreiche Novellen gepflanzt, man denke etwa an das Ende der kalten Progression oder die künftig aktive Informationspflicht für die (meisten) Gebietskörperschaften. Und die Regierung wird allen Unkenrufen zum Trotz voraussichtlich die vollen fünf Jahre halten – auch eine Leistung. Doch die Koalition hat längst nicht alle im Regierungsprogramm stehenden Punkte umgesetzt, während Minister ihre Ressorts nun im Wahljahr mit parteipolitisch wichtiger erscheinenden Themen befassen. Und das ist im besten Fall ganz schön goofy, also albern.