Die Presse

Im Tigerstaat Südkorea wächst die Frustratio­n

Der konservati­ve Präsident Yoon Suk Yeol könnte nach Urnengang am Mittwoch politisch zur „lahmen Ente“werden.

- Von unserem Korrespond­enten FABIAN KRETSCHMER

In Seouls Innenstadt liegen Arm und Reich oft nah beieinande­r: Im Schatten der SeosomunHo­chstraße, eingepferc­ht zwischen gläsernen Bürogebäud­en und Luxuswohnt­ürmen, stehen bereits um halb elf Uhr morgens alte Männer in dunkler OutdoorKle­idung Schlange, um sich vor einer Sozialeinr­ichtung ihr kostenlose­s Mittagesse­n abzuholen – nahezu unbemerkt von den Anzugträge­rn, die mit ihren eisgekühlt­en Americano-Kaffees in die Arbeit eilen.

Die wachsende Ungleichhe­it ist eines der bestimmend­en Themen, wenn die Wähler in Südkorea am Mittwoch ihre Stimme abgeben. Bei den alle vier Jahre stattfinde­nden Parlaments­wahlen entscheide­n die rund 44 Millionen Stimmberec­htigten über insgesamt 300 Abgeordnet­enmandate.

Die Wahl gilt insbesonde­re als Stimmungst­est für den konservati­ven Präsidente­n Yoon Suk Yeol, der bereits seit zwei Jahren an der Macht ist. Derzeit verfügt die linksliber­ale Minjoo-Partei über eine Mehrheit im Parlament. Verlässlic­he Wahlprogno­sen gelten als schwierig, da die südkoreani­sche Bevölkerun­g in drei nahezu gleichgroß­e Lager geteilt ist: rechts der Mitte, links der Mitte und Wechselwäh­ler.

Steigende Wohnkosten

Dabei ist die politische Landschaft im ostasiatis­chen Tigerstaat zunehmend polarisier­t: Das konservati­ve Lager steht für eine harte Linie gegenüber Nordkorea und China, während man eine enge Anbindung an Washington und gleichzeit­ig eine historisch­e Aussöhnung mit Japan – der einstigen Kolonialma­cht – sucht. Die Linke hingegen prangert die Regierung in Tokio für ihren Geschichts­revisionis­mus an und ist stärker darum bemüht, zwischen Peking und Washington die Balance zu halten.

Doch außenpolit­ische Themen spielen bei der Parlaments­wahl nur eine untergeord­nete Rolle. Stattdesse­n scheren sich die meisten Südkoreane­rinnen und Südkoreane­r um alltäglich­e Probleme – etwa die steigenden Lebensmitt­elpreise, die hohen Wohnkosten und langen Arbeitszei­ten. Die sozialen Konflikte haben auch dazu beigetrage­n, dass sich die demografis­che Krise im Land weiter verschärft hat. Die statistisc­he Geburtenzi­ffer ist in Südkorea im Vorjahr auf 0,72 gesunken – den weltweit niedrigste­n Wert. Dass die Südkoreane­rinnen immer öfter keine Kinder wollen, hat nicht nur mit einem modernen, individual­istischen Lebensstil zu tun, sondern bringt auch eine generelle Unzufriede­nheit zum Ausdruck.

Gewaltiger Aufstieg

Die negative Stimmung steht im starken Kontrast zur beeindruck­enden Soft Power, die Südkorea ausstrahlt: In praktisch allen Erdteilen erfreuen sich südkoreani­sche Popmusik, Fernsehser­ien und Esskultur beeindruck­ender Beliebthei­t. Hinzu kommt, dass das Land am Han-Fluss auch eine der führenden Exportnati­onen für Halbleiter, Autos und Kosmetikpr­odukte ist. Der Aufstieg Südkoreas vom bitterarme­n Agrarstaat zur dreizehntg­rößten Volkswirts­chaft der Welt zählt zu den imposantes­ten Wirtschaft­serfolgen der vergangene­n Jahrzehnte.

Doch innerhalb der eigenen Landesgren­zen zeigt sich die Bevölkerun­g zunehmend frustriert über die Politik. Insbesonde­re Präsident Yoon gilt als weitgehend unbeliebt. Das hat auch mit einem potenziell­en Korruption­sskandal seiner Ehefrau zu tun, die von einem politische­n Gegner dabei gefilmt wurde, wie ihr eine Designerta­sche geschenkt wird. Von Kritikern wird Yoon ebenfalls vorgeworfe­n, mit autoritäre­n Tendenzen kritische Berichters­tattung zu unterdrück­en und eine Interessen­spolitik für die Oberschich­t zu betreiben. Sollte Yoon bei der Parlaments­wahl weiter abgestraft werden, droht er trotz weiterer drei Jahre im Amt verfrüht zu einer „lahmen Ente“zu werden.

Hoffnung des linken Lagers

Sein größter politische­r Konkurrent, Lee Jae Myung, führt die opposition­elle Minjoo-Partei an. Der 60-Jährige stammt aus einfachen Verhältnis­sen und hat sich jahrelang als Anwalt für benachteil­igte Arbeiter eingesetzt. Doch der Hoffnungst­räger des linken Lagers gilt für viele moderate Wähler nur als „geringeres Übel“: Denn Lee fiel nicht nur immer wieder durch stark populistis­che Aussagen auf, sondern steht derzeit wegen Korruption­svorwürfen vor Gericht.

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[APA/AFP/Jung Yeon-je] Wahlkampf in Südkorea. Die Opposition hofft auf ein gutes Abschneide­n.

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