Woher unser Essen kommt, bleibt meist im Dunklen
Das Europaparlament segnet am Mittwoch magere Herkunftsregeln einzig für Honig ab.
„Vom Hof auf den Tisch“: Was heute vielerorts als Inbegriff Brüsseler Weltfremdheit gebrandmarkt wird, hatte vor vier Jahren noch den edlen Klang visionärer Vorsätze. So las man in der am 20. Mai 2020 veröffentlichten Strategie der Europäischen Kommission dieses Namens unter anderem Folgendes: „Um die Verbraucher in die Lage zu versetzen‚ sich sachkundig für gesunde und nachhaltige Lebensmittel zu entscheiden, wird die Kommission eine harmonisierte obligatorische Nährwertkennzeichnung auf der Verpackungsvorderseite vorschlagen und in Erwägung ziehen, eine Ausweitung der obligatorischen Ursprungs- oder Herkunftsangabe auf bestimmte Erzeugnisse vorzuschlagen, und dabei die Auswirkungen auf den Binnenmarkt in vollem Umfang berücksichtigen.“
Einfacher gesagt: Europas Verbraucher sollen künftig möglichst ausnahmslos wissen, woher das stammt, was sie essen. So sicher war sich die Kommission, dass dieses Vorhaben der erhöhten Lebensmitteltransparenz breite Zustimmung finden würde, dass sie Anfang
2022 die Öffentlichkeit dazu befragte. Ergebnis: Überwältigende Mehrheiten von, je nach Produkt, 73 bis 88 Prozent der 3224 Umfrageteilnehmer erklärten, dass es „wichtig“oder gar „sehr wichtig“sei, die Herkunft von Milch, Milchprodukten, Fleisch in verarbeiteten Lebensmitteln, Wildpret, Reis, Hartweizen, der in Nudeln verwendet wird, Erdäpfel sowie Paradeiser in entsprechenden Produkten verpflichtend auszuschreiben.
Kein Rückhalt im Rat
Gekommen ist das jedoch nicht. Weiterhin werden Europas Konsumenten nur raten können, woher die Tomaten in ihrem Ketchup stammen, der Weizen in ihren Spaghetti, die vakuumverpackte Fasanenbrust, das Faschierte in der Fertiglasagne und die
Milch, aus der Joghurt fermentiert wurde. Einzig auf Honiggläsern und -tuben werden künftig verpflichtend die Herkunftsländer anzugeben sein.
Alexander Bernhuber, der für das Europaparlament diese Novelle der sogenannten „Frühstücksrichtlinien“mit dem Rat und der Kommission verhandelt hat, ist über dieses magere Ergebnis auch nicht zufrieden. Zwar betont er im Gespräch mit der „Presse“, dass es dem Parlament im Laufe der Verhandlungen gelungen sei, die Herkunftsangaben für Honig zu verschärfen. So muss künftig bei den vielerorts dominanten industriellen Mischungen in Prozentzahlen und in absteigender Reihenfolge je nach Anteil angegeben werden, woher die einzelnen Honige stammen.
Doch das ursprüngliche Ansinnen, auch bei Marmeladen. Konfitüren, Fruchtsäften und ähnlichen Produkten ein Pflicht zur Angabe des Ursprungsortes der Früchte einzuführen, wurde von der Mehrheit der Mitgliedstaaten abgeschmettert. Minimaler Trost: Zwei Jahre nach Inkrafttreten der Novelle, auf die sich Parlament und Rat geeinigt haben, was das Plenum des Parlaments am Mittwochnachmittag formal absegnen wird, solle die Kommission eine Machbarkeitsstudie durchführen, ob denn so etwas unter vertretbarem Aufwand möglich sei.
Und was ist mit den erwähnten anderen Lebensmitteln? „Die Kommission hat gesehen, dass es keine Mehrheit dafür gibt bei den Mitgliedstaaten“, erklärt Bernhuber. Den deren merkantile Interessen würden einander zuwider laufen. Am sinnvollsten wäre es, testweise mit Produkten zu beginnen, die wenige Verarbeitungsschritte hinter sich haben, beispielsweise Haferflocken. Im Interesse der Landwirte wäre es jedenfalls auch, die Praxis zu beenden, dass beispielsweise Apfelsaft mit dem Etikett „Hergestellt in Österreich“oder „Abgefüllt in Österreich“als quasi heimisch beworben wird, wenn die Äpfel aus dem Ausland stammen: „Dieser Etikettenschwindel muss aufhören.“
Apfelsaft, „abgefüllt in Österreich“: Dieser Etikettenschwindel muss aufhören.
Alexander Bernhuber EU-Mandatar (ÖVP)