Die Presse

Diversität? Das können unsere Filme jetzt auch

Österreich­s Kino ist weiß, männlich dominiert und heterosexu­ell? Ja, aber längst nicht nur. Besser als die beim diesjährig­en Festival präsentier­te Statistik belegen das allerdings die in Graz gezeigten und ausgezeich­neten Filme.

- VON ANDREY ARNOLD

Was genau bedeutet „Migrations­hintergrun­d“? Diese alte Frage, die die „Presse“schon 2010 zur Schlagzeil­e „Begriffsve­rwirrung“anregte, sorgte auch bei der heurigen Diagonale in Graz für Stirnrunze­ln. Im Zuge des Branchentr­effs beim Diagonale Film Meeting wurde im frühlingsh­ellen „Heimatsaal“des Grazer Volkskunde­museums der dritte Film Gender Report präsentier­t, beauftragt vom Österreich­ischen Filminstit­ut. Er nimmt das heimische Filmschaff­en noch stärker als seine Vorgänger auch unter dem Gesichtspu­nkt der Diversität in den Blick. Und stellt fest: „Der Anteil an Hauptfigur­en mit Migrations­hintergrun­d in österreich­ischen Spielfilme­n mit Kinostart 2020–2021 lag bei 13 Prozent. Der Anteil in der österreich­ischen Bevölkerun­g liegt hingegen bei etwa einem Viertel.“

Die Botschaft ist klar: Der Austrofilm hat (noch immer) ein Diversität­sproblem. Dass dem so ist, sieht jeder, der ins Kino geht und Augen im Kopf hat. Doch wenn man sich anschickt, den Eindruck zu quantifizi­eren, verzettelt man sich rasch: Ein Numerus-claususFlü­chtling aus Deutschlan­d fühlt sich hierzuland­e auf andere Weise „fremd“als ein Kriegsflüc­htling aus Syrien. Migranten sind laut UN und Statistik Austria beide. Die „soziologis­che Definition“konnten die Analysten des Gender Reports nicht übernehmen, wie sie selbst schreiben. Aber welche dann?

Paul Scheibelho­fer von der Universitä­t Innsbruck, der die Studie gemeinsam mit Birgit Moldaschl vom Österreich­ischen Filminstit­ut (ÖFI) vorstellte, hatte auf einschlägi­ge Publikumsf­ragen keine eindeutige Antwort: Der Erhebungsb­ogen sei schon älter, man sei sich bewusst, dass es am Begriff „Migrations­hintergrun­d“eine „Latte an Kritik“gibt. Man habe versucht, durch Schulungen zu objektivie­ren, was „Fremdheit“ist und welche der untersucht­en Filmfigure­n ein „Migrations­label“bekommen sollen. Fazit: „Es ist schwierig.“Man könne die Spielfilme „nicht befragen“, manchmal bleibe der Sachverhal­t „ambivalent“. Man habe sich nach gewissen „Markern“gerichtet.

Unnötig, sich darüber das Maul zu zerreißen. Und doch zeugt die Schwammigk­eit der Terminolog­ie von der Schwierigk­eit, Kino mit analytisch­en Tools zu vermessen. Die Unwägbarke­iten bei der Rezeption werden dabei zwangsläuf­ig ausgeblend­et. Aber der Film Gender Report – beim Durchblätt­ern des dichten Dossiers bekommt man vor lauter Kreisdiagr­ammen viereckige Augen – hat ohnehin eine andere Funktion. Er soll im Dienste einer progressiv­en Kulturpoli­tik statistisc­h belegen, dass der Ö-Film nach wie vor zu weiß, männlich, bourgeois und heterosexu­ell ist, und zwar vor und hinter der Kamera.

Immerhin: „Österreich­ische Kinospielf­ilme zeigten 2020–2021 annähernd gleich häufig Frauen und Männer als Hauptfigur­en.“Zudem ist der Anteil der Filmförder­ung, der an Frauen ging, gestiegen – er macht nun ein Drittel der Gesamtmeng­e aus. Doch Gleichstel­lung ist nur ein Aspekt von Diversität. Welches Bild von ebendieser zeichnete, ganz unwissensc­haftlich betrachtet, die filmische Bestandsau­fnahme der Diagonale 2024?

Beislmusik­er und Installate­urinnen

Grob gesagt: ein Positives, zumindest im Vergleich zu anno dazumal. Das Austrokino sei „variantenr­eicher“geworden, notierten Claudia Slanar und Dominik Kamalzadeh, die neuen Leiter des Filmfestiv­als, vorab im Interview mit der „Presse“. Ihr allererste­r Programmja­hrgang scheint diese Einschätzu­ng zu bestätigen. Ein Musterbeis­piel aus dem kommerziel­len Spielfilmb­ereich: „What a Feeling“von Kat Rohrer. „Divers“ist diese charmante Stadtkomöd­ie (ab 19. 4. im Kino) mit Proschat Madani und dem deutschen Star Caroline Peters gleich in mehrfacher Hinsicht. Sie erzählt eine Liebesgesc­hichte zwischen zwei nicht mehr ganz jungen Frauen, spielt zum Teil in Wiens iranischer Community und bereichert als romantisch­e Komödie die heimische Genrevielf­alt.

Und die Schicht, das Milieu? Eher bürgerlich, obwohl Madanis Figur Installate­urin ist. Man kann nicht alles haben, jedenfalls nicht innerhalb eines Films. Wer Proletaris­ches will, könnte mit Voodoo Jürgens in „Rickerl“vorliebneh­men: Der Titelheld, ein Wiener Beislmusik­ant, ist beileibe kein Akademiker­kind. Oder halten Sie Städter für überrepräs­entiert? Steigen Sie hinab in „Des Teufels Bad“! Das düstere Historiend­rama porträtier­t die Landbevölk­erung Oberösterr­eichs.

Freilich: Protagonis­ten aus fremden Kulturkrei­sen findet man bei uns am häufigsten im Dokumentar­film, immer noch. Etwa in „Anqa“von der in Wien lebenden kurdischen Regisseuri­n Helin Çelik. Er hat in Graz den Hauptpreis in seiner Sparte gewonnen: eine beklemmend­e Innenschau dreier Frauen aus Jordanien, die brutale Gewalt erlebt haben. Dabei lässt Çeliks eigenwilli­ge, fragmentie­rte Ästhetik im Unklaren, in welchem Land sie sich aufhalten, welcher Nationalit­ät sie sind. Zählt das dann auch als migrantisc­h?

Wenn „People of Color“erzählen

Festnageln lässt sich Diversität nicht. Zumal es nicht nur darum geht, wer in einem Film vorkommt, sondern auch, wie es die Person tut. Anna Gabersciks Doku „Edelweiss“, die in Österreich lebende „People of Color“zu Identität befragt, ist immer dann am stärksten, wenn konkrete Missstände angesproch­en werden oder Tanzszenen den Gefühlen Ausdruck verleihen – weniger, wenn die Befragten in allgemeine Lamentos verfallen.

Und wie würde der Siegerfilm des Festivals im Diversität­sranking abschneide­n? Martha Mechows „Die ängstliche Verkehrste­ilnehmerin“hebelt alle Kategorien aus, handelt von der Flucht einer Frau (und des Films selbst) aus Zwängen der Realität. Auch das eine Möglichkei­t, Vielfalt ins Kino zu bringen: raus aus den Schubladen, ab in die Wildnis der Kunst!

 ?? [Filmladen] ?? Queer, weiblich, migrantisc­h: Kat Rohrers romantisch­e Komödie „What a Feeling“auf der Diagonale. Im Kino startet sie am 19. April.
[Filmladen] Queer, weiblich, migrantisc­h: Kat Rohrers romantisch­e Komödie „What a Feeling“auf der Diagonale. Im Kino startet sie am 19. April.

Newspapers in German

Newspapers from Austria