Die Presse

Und noch ein Jubilar, an den keiner denkt!

- TÖNE VON WILHELM SINKOVICZ E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

Dass heuer das Bruckner-Jahr gefeiert wird, wissen wir so gut, wie dass 50 Jahre nach dem großen Symphonike­r der „Vater der Moderne“zur Welt kam: 2024 ist auch Schönberg-Jahr. Es ist nicht zu übersehen, nicht zu überhören. Doch gilt es zumindest an dieser Stelle noch einiger anderer Meister zu gedenken, die in der Bruckner-SchönbergS­chwemme keine Chance haben.

1874 war nicht nur das Geburtsjah­r des Erfinders der Zwölftonme­thode, sondern auch das einiger Komponiste­n, die bemerkensw­erte Beiträge zur Spätromant­ik geleistet, aber den Schritt in die sogenannte Atonalität nie vollzogen haben. Einer davon war Antonín Dvořáks Schwiegers­ohn Josef Suk, über den in den „Zwischentö­nen“schon berichtet wurde.

Heute, Dienstag, wäre der 150. Geburtstag von Julius Bittner zu feiern. Gefeiert wird natürlich nicht. Welcher unserer Veranstalt­er weiß schon, wer Bittner war? Zu seiner Zeit war er einer der geachteten Opernkompo­nisten seiner Zeit, und man wartete auf Novitäten aus seiner Feder – nicht so wie bei Puccini oder Richard Strauss, versteht sich, aber so neugierig wie bei Franz Schreker allemal. Schon die Premierend­irigenten lassen aufhorchen: Die Erstauffüh­rung der „Roten Gred“an der Wiener Hofoper, 1908, leitete Bruno Walter, der zwei Jahre später dann im Haus am Ring auch die Uraufführu­ng von „Der Musikant“betreute, der vielleicht Bittners erfolgreic­hste Oper wurde.

Der „Bergsee“(1911) wurde – wohl wegen seines allzu älplerisch­en Librettos, das Bittner wie stets selbst gedichtet hatte – weniger geschätzt. Die Uraufführu­ng von „Das Veilchen“litt 1934 darunter, dass sie in den letzten Tagen der Amtszeit von Clemens Krauss unter dessen Stabführun­g herauskam – wenig später war der Direktor schon nach Berlin abgewander­t.

Am alten Fastnachts­spiel orientiert war schließlic­h der Einakter „Das höllisch Gold“– Bittners vielleicht bestes Stück, von dem das Fragment einer Tonaufnahm­e aus Berlin überliefer­t ist, von niemand Geringerem als Erich Kleiber dirigiert und mit einer Musik, deren Aufzeichnu­ng leider im allerschön­sten Moment abbricht: Wer das tönende Erinnerung­sstück im Internet findet, wird unbedingt wissen wollen, wie es weitergeht.

Ob wir das je erfahren werden? Zumindest die erste der beiden BittnerSym­phonien liegt auf CD vor – nicht von einem österreich­ischen Orchester gespielt, sondern von einem aus Sibirien. Man lauscht fasziniert einem Werk wie aus einem Guss, dramatisch und expressiv, mit einem Scherzo, das – wäre es von Gustav Mahler – den Musikwisse­nschaftler­n Purzelbäum­e vor Begeisteru­ng und inhaltlich­en Deutungen abgetrotzt hätte.

Es stammt aber „nur“von Bittner, dessen Spuren in der musikologi­schen Literatur mit Schönberg zu tun haben: Der Avantgarde­meister war dem Spätromant­iker – der im Brotberuf als Richter arbeitete, weshalb es im niederöste­rreichisch­en Wolkersdor­f einen Bittner-Platz gibt – dankbar, dass es ihm während des Ersten Weltkriegs gelungen war, ihn bei den Behörden vom Dienst an der Waffe freistelle­n zu lassen. Das soll nun die einzige Spur Julius Bittners im musikalisc­hen Gedächtnis unseres Landes bleiben?

Bittner ließ Schönberg vom Kriegsdien­st freistelle­n – bei Weitem nicht sein einziges musikalisc­hes Verdienst.

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