Was den Silberboom im englischen Mittelalter antrieb
Eine Analyse von Münzen zeigt: Das Silber kam erst aus Byzanz, dann aus dem Frankenreich. Und es hat England stark verändert.
Er war der erste Angelsachse, der sich König von England nannte: Offa von Mercien, Regent von 757 bis 796, hat nicht nur Reste des Walls („Offa‘s Dyke“) hinterlassen, den er gegen die keltischen Fürstentümer in Wales errichtete, sondern auch eine größere Menge von silbernen Penny-Münzen, die meist sein Gesicht und die Aufschrift „Offa Rex“tragen. Er reformierte das Münzwesen, doch der Silberboom in England hatte schon vor ihm begonnen, um 660 nach Christus. Ein Grund dafür liegt auf der Hand: Mit dem Umstieg auf Silber konnten sich sowohl Herrscher als auch Händler von der Abhängigkeit von Gold befreien.
Aber woher kam das Silber? Forscher um den Mediävisten Rory Naismith (University of Cambridge) haben das nun erforscht – durch Analyse von Münzen aus England, Frankreich und Friesland, die das Fitzwilliam Museum in Cambridge aufbewahrt. Analysiert wurden natürlich nur mikroskopisch kleine, durch Laserstrahlen abgetragene Proben der numismatischen Schätze. Das PrinBeispiel zip: Man schließt auf die Herkunft des Silbers anhand der Anteile anderer Metalle und anhand der Verhältnisse von Isotopen wie Blei (chemisch gleichen Atomen, die aber in der Anzahl der Neutronen, also in der Masse, differieren). Dabei konnten die Forscher zwei zeitliche Phasen unterscheiden. Silbermünzen aus der Zeit von 660 bis 750 zeigen einen hohen Goldanteil (bis zu zwei Prozent). Das und die Isotopenzusammensetzung deuten auf eine Herkunft aus Byzanz. Wo man damals übrigens kaum mit Silber zahlte, im oströmischen Raum dominierte der goldene Solidus.
Doch das Silber muss zur Zeit seiner Münzprägung schon länger in England gewesen sein. Denn im späten siebten Jahrhundert lag der Handel zwischen England und dem Osten darnieder, meint Naismith: „Die englischen und fränkischen Eliten saßen fast sicher bereits länger auf diesem Silber.“Ein seien die schweren Silberschalen, die im angelsächsischen Grabhügel von Sutton Hoo gefunden wurden. Solche Prestigeobjekte seien wohl eingeschmolzen worden, als der König Edelmetall für Münzen brauchte. So sei mehr und mehr Geld in Umlauf gekommen, was die Wirtschaft angekurbelt habe, eine frühmittelalterliche Form des „quantitative easing“. Es habe auch die Lebenswelt der Menschen verändert, meint die ebenfalls an der Publikation in „Antiquity“beteiligte Archäologin Jane Kershaw (University of Oxford): „Man dachte mehr über Geld nach, und Geld prägte einen größeren Teil des gesellschaftlichen Lebens als zuvor.“
Weiterer Bedarf an Silber wurde dann offenbar auf andere Weise gedeckt: Münzen aus der Zeit von 750 bis 820 zeigen eine Zusammensetzung – mit wenig Goldanteil –, die typisch für das Bergwerk von Melle war. Dieser Ort in Westfrankreich (in der heutigen Region Nouvelle-Aquitaine) hieß damals Metellum, was manche vom lateinischen Metallum ableiten, andere von einem keltischen Wort für Anhöhe. Dort wurde schon im römischen Reich Blei- und Silbererz abgebaut. Unter den Karolingern, die 751 an die Macht kamen, wurde Melle zur bedeutenden Münzprägestätte und reich. Karl der Große führte nicht nur eine neue Schrift ein, die karolingische Minuskel, sondern auch eine einheitliche Währung, deren Münzen einen erhöhten Silberanteil hatten.
Dipomatie mit Karl dem Großen
Mit seinem englischen Kollegen Offa war Karl in regem Austausch, freilich nicht ohne Spannungen. „Offa spielte nicht in derselben Liga“, sagt Naismith, „sein Königreich war viel kleiner, er hatte weniger Macht, und er hatte definitiv nicht so viel Silber.“Dass er dieses aus Melle beziehen musste, habe seine Abhängigkeit vom Frankenreich verstärkt. Doch beide Könige legten Wert darauf, das Münzwesen unter Kontrolle zu haben. Das, so Naismith, sei damals neu gewesen. Es hat wohl zur Festigung der Zentralherrschaft in England und Frankreich beigetragen.