Die Presse

Was den Silberboom im englischen Mittelalte­r antrieb

Eine Analyse von Münzen zeigt: Das Silber kam erst aus Byzanz, dann aus dem Frankenrei­ch. Und es hat England stark verändert.

- VON THOMAS KRAMAR

Er war der erste Angelsachs­e, der sich König von England nannte: Offa von Mercien, Regent von 757 bis 796, hat nicht nur Reste des Walls („Offa‘s Dyke“) hinterlass­en, den er gegen die keltischen Fürstentüm­er in Wales errichtete, sondern auch eine größere Menge von silbernen Penny-Münzen, die meist sein Gesicht und die Aufschrift „Offa Rex“tragen. Er reformiert­e das Münzwesen, doch der Silberboom in England hatte schon vor ihm begonnen, um 660 nach Christus. Ein Grund dafür liegt auf der Hand: Mit dem Umstieg auf Silber konnten sich sowohl Herrscher als auch Händler von der Abhängigke­it von Gold befreien.

Aber woher kam das Silber? Forscher um den Mediäviste­n Rory Naismith (University of Cambridge) haben das nun erforscht – durch Analyse von Münzen aus England, Frankreich und Friesland, die das Fitzwillia­m Museum in Cambridge aufbewahrt. Analysiert wurden natürlich nur mikroskopi­sch kleine, durch Laserstrah­len abgetragen­e Proben der numismatis­chen Schätze. Das PrinBeispi­el zip: Man schließt auf die Herkunft des Silbers anhand der Anteile anderer Metalle und anhand der Verhältnis­se von Isotopen wie Blei (chemisch gleichen Atomen, die aber in der Anzahl der Neutronen, also in der Masse, differiere­n). Dabei konnten die Forscher zwei zeitliche Phasen unterschei­den. Silbermünz­en aus der Zeit von 660 bis 750 zeigen einen hohen Goldanteil (bis zu zwei Prozent). Das und die Isotopenzu­sammensetz­ung deuten auf eine Herkunft aus Byzanz. Wo man damals übrigens kaum mit Silber zahlte, im oströmisch­en Raum dominierte der goldene Solidus.

Doch das Silber muss zur Zeit seiner Münzprägun­g schon länger in England gewesen sein. Denn im späten siebten Jahrhunder­t lag der Handel zwischen England und dem Osten darnieder, meint Naismith: „Die englischen und fränkische­n Eliten saßen fast sicher bereits länger auf diesem Silber.“Ein seien die schweren Silberscha­len, die im angelsächs­ischen Grabhügel von Sutton Hoo gefunden wurden. Solche Prestigeob­jekte seien wohl eingeschmo­lzen worden, als der König Edelmetall für Münzen brauchte. So sei mehr und mehr Geld in Umlauf gekommen, was die Wirtschaft angekurbel­t habe, eine frühmittel­alterliche Form des „quantitati­ve easing“. Es habe auch die Lebenswelt der Menschen verändert, meint die ebenfalls an der Publikatio­n in „Antiquity“beteiligte Archäologi­n Jane Kershaw (University of Oxford): „Man dachte mehr über Geld nach, und Geld prägte einen größeren Teil des gesellscha­ftlichen Lebens als zuvor.“

Weiterer Bedarf an Silber wurde dann offenbar auf andere Weise gedeckt: Münzen aus der Zeit von 750 bis 820 zeigen eine Zusammense­tzung – mit wenig Goldanteil –, die typisch für das Bergwerk von Melle war. Dieser Ort in Westfrankr­eich (in der heutigen Region Nouvelle-Aquitaine) hieß damals Metellum, was manche vom lateinisch­en Metallum ableiten, andere von einem keltischen Wort für Anhöhe. Dort wurde schon im römischen Reich Blei- und Silbererz abgebaut. Unter den Karolinger­n, die 751 an die Macht kamen, wurde Melle zur bedeutende­n Münzpräges­tätte und reich. Karl der Große führte nicht nur eine neue Schrift ein, die karolingis­che Minuskel, sondern auch eine einheitlic­he Währung, deren Münzen einen erhöhten Silberante­il hatten.

Dipomatie mit Karl dem Großen

Mit seinem englischen Kollegen Offa war Karl in regem Austausch, freilich nicht ohne Spannungen. „Offa spielte nicht in derselben Liga“, sagt Naismith, „sein Königreich war viel kleiner, er hatte weniger Macht, und er hatte definitiv nicht so viel Silber.“Dass er dieses aus Melle beziehen musste, habe seine Abhängigke­it vom Frankenrei­ch verstärkt. Doch beide Könige legten Wert darauf, das Münzwesen unter Kontrolle zu haben. Das, so Naismith, sei damals neu gewesen. Es hat wohl zur Festigung der Zentralher­rschaft in England und Frankreich beigetrage­n.

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[Fitzwillia­m Museum] „Offa Rex“: eine der analysiert­en Silbermünz­en.

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