Wo die Russenquelle sprudelte
Der mutmaßliche Russland-Agent Egisto Ott konnte nach Bekanntwerden der Vorwürfe weiter auf ein Netzwerk an Quellen zugreifen. Die Regierung beriet über die Folgen der Spionageaffäre.
Die Spionageaffäre rund um Ex-Verfassungsschützer Egisto Ott beschäftigt die Spitze der Republik. Am Dienstagabend traf sich dazu der Nationale Sicherheitsrat im Bundeskanzleramt. In dem Gremium berieten der Bundes- und Vizekanzler, mehrere Minister, hohe Beamte und Vertreter der Parteien über den Spionagefall und seine Folgen. Zu Redaktionsschluss waren die Gespräche noch im Gange.
„Schwerwiegende Verkäufe“wie der Verrat und Verkauf von Staatsgeheimnissen an Russland stünden im Raum , sagte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) im Vorfeld der vertraulichen Beratungen. Im Fokus des Sicherheitsrats sollte aber nicht nur die mögliche Unterwanderung Österreichs durch russische Geheimdienste stehen. Die Opposition wollte auch die Sicherheitsstandards und die Arbeit der Spionageabwehr thematisieren. Denn Egisto Ott soll es, obwohl die Vorwürfe gegen ihn längst bekannt waren, möglich gewesen sein, jahrelang weiter für Russland zu spionieren. Wie genau er dabei vorgegangen ist, das wird immer klarer. Indizien liefert die Festnahmeanordnung gegen Ott, die der „Presse“vorliegt.
Ott hatte 2017 zahlreiche Abfragen über polizeiliche und europäische Datenbanken zu Personen mit russischer Herkunft getätigt. Bezug zu seiner beruflichen Tätigkeit hatten diese Abfragen laut Staatsanwaltschaft Wien nicht, da Otts Hauptaufgabe war, zu Linksund Rechtsextremisten zu ermitteln. Auch versandte Ott 2017 mehrere E-Mails mit sensiblen Informationen von seinem dienstlichen auf seinen privaten Account – weshalb er suspendiert wurde.
Laut Festnahmeanordnung wurde Ott mit der Suspendierung der Zugang zu behördlichen Datenbanken gesperrt. Das blieb auch so, nachdem Otts Suspendierung vom Bundesverwaltungsgericht im Juni 2018 aufgehoben wurde. Ott habe weiter „keine personenbezogenen Daten abfragen können“. Doch über die kommenden Jahre soll sich Ott die Daten, die er für einen russischen Spionagering gesammelt haben soll, auf anderem Wege beschafft haben.
Kollegen getäuscht
Ott wurde nach der aufgehobenen Suspendierung vom Innenministerium der Sicherheitsakademie des Bundes zugeteilt. Dort hatte er kein festgelegtes Aufgabengebiet. Er soll „Überstundendienste bei der Bürgerservice-Hotline des Innenministeriums“geleistet und ausländische Delegationen empfangen haben, heißt es in der Anordnung.
Allerdings war Ott in der Sicherheitsakademie weiter befugt, „polizeiliche Ersuchen um Amtshilfe an nationale und ausländische Polizeibehörden zu übermitteln“, schreibt die Staatsanwaltschaft. Diese Möglichkeit soll Ott missbraucht haben. Und zwar, indem er britischen und italienischen Kollegen vorgaukelte, Datenabfragen im Interesse Österreichs zu stellen, sie in Wirklichkeit aber für das russische Spionagenetzwerk einholte. Die Anfragen soll Ott etwa über WhatsApp oder telefonisch an ihm bekannte Kollegen im Ausland gerichtet und so auch sensible Informationen erhalten haben.
Obwohl schon damals bekannt war, dass Ott fragwürdige Abfragen gemacht hatte, konnte Ott offenbar auf ein Netzwerk an Quellen zurückgreifen. Dazu zählte, wie der „Kurier“am Dienstag berichtete, auch ein mittlerweile pensionierter Beamter des Wiener Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Dieser soll für Ott illegale Abfragen gemacht haben. Der Beamte wurde bis Ende Mai 2023 für neun Monate suspendiert, ein disziplinarrechtliches Verfahren soll noch anhängig sein.
Die Befugnis, Rechtshilfeersuchen zu stellen, verlor Ott mit seiner zweiten Suspendierung 2021. Damals wurde er in U-Haft genommen, aber wieder enthaftet. Zu Otts mutmaßlichem Zuträger aus dem Verfassungsschutz und seiner Arbeit in der Sicherheitsakademie nahm das Innenministerium auf Anfrage keine Stellung: „Aus datenschutzrechtlichen Gründen“könne man keine Auskünfte erteilen. Seit Anfang April befindet sich Ott wieder in U-Haft, er bestreitet die Vorwürfe.