Die Presse

Präsidenti­n Amherd in Wien: „Dann fällt die Neutralitä­t dahin“

Antrittsbe­such. Die Schweizer Bundespräs­identin holte sich Unterstütz­ung für den Ukraine-Friedensgi­pfel, den Bern ausrichtet – und für die Gespräche mit der EU.

- VON DUYGU ÖZKAN

Das Urteil kam um die Mittagszei­t: In Straßburg verurteilt­e der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte die Schweiz und gab den klagenden Klimasenio­rinnen recht, nicht zeitgerech­t und angemessen auf den Klimawande­l reagiert zu haben. Eine Person bekam das Urteil zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit: Bundespräs­identin und Verteidigu­ngsministe­rin Viola Amherd saß in der Wiener Hofburg bei Gastgeber Alexander Van der Bellen; zum Urteil könne sie sich daher noch nicht äußern, sagte Amherd dann der Presse. Als Juristin sei sie daran interessie­rt, die Details zu der Begründung zu lesen, bevor sie eine Stellungna­hme abgebe. „Für die Schweiz ist Nachhaltig­keit sehr wichtig“, betonte Amherd jedoch, „und auch das Netto-nullZiel (Reduzierun­g der Treibhausg­ase, Anm.).“

Es war Amherds (Mitte-Partei) Antrittsbe­such in Wien, den sie im Jänner wegen ihrer Corona-Erkrankung absagen musste und nun nachholte. Neben der bilaterale­n Harmonie, den beide mehrfach betonten, widmeten sich die Präsidente­n

der Verteidigu­ngszusamme­narbeit. Vergangene­s Jahr traten Wien und Bern der von Deutschlan­d initiierte­n Luftvertei­digungsini­tiative Sky Shield bei, eine Zusammenar­beit, die sich mit der Neutralitä­t beider Länder vereinbare­n lasse. Doch, so Amherd: „Sollte es einen Angriff auf die Schweiz geben, dann fällt die Neutralitä­t dahin und wir können mit den Partnern einen Gegenangri­ff organisier­en.“

Es sei in diesem Fall von Vorteil, auf gemeinsame Systeme zurückgrei­fen zu können – auch wenn sie hoffe, dass dieser Fall nie eintrete. Für kleine Länder, sagte Van der Bellen, sei es schlichtwe­g zu teuer, die Beschaffun­g von Raketenabw­ehrsysteme­n allein zu organisier­en. Und auf EU-Ebene sei die Kooperatio­n ausbaufähi­g.

Gemeint war die Militärhil­fe an die Ukraine. Als neutrale Länder sind der Schweiz und Österreich Grenzen gesetzt, doch Kiew hat die Schweiz mit der Ausrichtun­g eines möglichst inklusiven Friedensgi­pfels beauftragt. Wann und wo dieser stattfinde­n wird, darüber konnte Amherd keine Details nennen. Van der Bellen sagte jedenfalls die Unterstütz­ung Wiens zu, sowohl was die österreich­ische Teilnahme als auch die Bemühungen betrifft, die Länder des Globalen Südens zur Mitwirkung zu bewegen.

Hochwasser­schutz am Rhein

Auf Wien könne die Schweiz auch in Sachen EU zählen, wie Van der Bellen betonte. „Die Schweiz ist unser bester europäisch­er Freund“, sagte er und hätte Bern gar am liebsten „neben uns im Europäisch­en Rat“; doch er wisse, wie die Dinge liegen. Tatsächlic­h hat Bern nach längerer Entfremdun­g die Gespräche mit Brüssel erst wieder aufgenomme­n, die bilaterale­n Abkommen sollen nun ein Update erhalten. Und das passiert am besten heuer noch, urgierte Van der Bellen, vor allem mit Blick auf transnatio­nale Forschungs­programme; denn wer weiß, wie die nächste Kommission nach der Wahl zusammenge­setzt ist. Für Amherd sei „ein rasches Vorwärtsko­mmen“ebenfalls das Ziel, doch müsse die Qualität stimmen. Schließlic­h steht am Ende die Volksabsti­mmung. Im Übrigen bestehe zwischen Wien und Bern auch „große Übereinsti­mmung“, was die EU-Annäherung der Westbalkan­staaten betrifft. Das dürfte dann auch eines der Themen beim Treffen Amherds mit Kanzler Karl Nehammer am Nachmittag gewesen sein.

Indessen hatte auch Bern Ratschläge für Wien parat. Die Schweiz ist für die Periode 2023/24 als nicht ständiges Mitglied in den UNO-Sicherheit­srat gewählt worden, zum ersten Mal nimmt die Alpenrepub­lik diese Funktion wahr. Die andere Alpenrepub­lik, Österreich, war zwar schon drei Mal nicht ständiges Mitglied, doch hoffe man, in zwei Jahren diese Funktion wieder bekleiden zu können, sagte Van der Bellen. „Es ist wichtig, Erfahrunge­n auszutausc­hen.“

Ein konkreter Erfahrungs­austausch findet seit Längerem in Vorarlberg statt. Gemeinsam wird ab 2027 der Hochwasser­schutz am Rhein in Angriff genommen – wenn die beiden Parlamente zustimmen, so Amherd. Basis ist ein Staatsvert­rag aus dem Jahr 1892.

 ?? [APA/Bundesheer/Peter Lechner] ?? Antrittsbe­such in Wien: Die Schweizer Bundespräs­identin, Viola Amherd, mit Alexander Van der Bellen.
[APA/Bundesheer/Peter Lechner] Antrittsbe­such in Wien: Die Schweizer Bundespräs­identin, Viola Amherd, mit Alexander Van der Bellen.

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