„Österreich macht mich stutzig“
Katarina Barley, SPD-Spitzenkandidatin bei der Europawahl, schließt eine Zusammenarbeit mit den Rechtskonservativen rund um Giorgia Meloni aus und macht sich Sorgen um die Qualität der österreichischen Demokratie.
Die Presse:
Welche Erwartungen haben Sie an die Europawahl? Gibt es beim Wahlergebnis eine Schmerzgrenze, die Sie nicht unterschreiten wollen?
Katarina Barley: Ich engagiere mich in einem Wahlkampf immer zu hundert Prozent. Das wird auch bei der Europawahl der Fall sein. Ich freue mich auf den Wahlkampf und habe den Eindruck, dass die Wähler motiviert sind.
Der Hintergrund meiner Frage sind Umfragen, die für illiberale Parteien einen Wahlerfolg prognostizieren, während die Mitte im Europaparlament schrumpfen soll. Franst der proeuropäische Cordon sanitaire aus?
Am Ende entscheiden die Wähler, und diese Entscheidung wird erst an der Wahlurne gefällt. So wie ich die aktuellen Umfragedaten lese, wird es nach der Europawahl zwei Möglichkeiten geben, eine Mehrheit im Europaparlament herzustellen: Entweder im Rahmen der bürgerlich-prodemokratischen Parteien...
...also den Sozialdemokraten, der Europäischen Volkspartei, den Liberalen und den Grünen...
...oder in der Konstellation eines rechtskonservativen Blocks mit Beteiligung der europäischen Liberalen. Nun hat allerdings Valerie Hayer, die Spitzenkandidatin der französischen Liberalen, eine Zusammenarbeit mit der nationalpopulistischen EKR-Fraktion ausgeschlossen. Bleibt sie dabei, ist die zweite Option hinfällig.
Also glauben Sie daran, dass es nach der Europawahl weitergeht wie bisher.
Eine Zusammenarbeit aller europafreundlichen Parteien im Europaparlament ist mir ein Anliegen. Natürlich haben wir unterschiedliche Interessen, aber was uns eint, ist der Glaube an Kooperation zum Wohle aller EU-Bürger. Und nicht das, was die Rechtsaußen-Parteien wollen, nämlich ein „Europa der Vaterländer“, in dem jeder gegen jeden kämpft.
Sehen Sie einen qualitativen Unterschied zwischen den beiden Rechtsaußen-Fraktionen, EKR und ID? In der Frage der Unterstützung der Ukraine tritt EKRMitglied Giorgia Meloni beispielsweise anders auf als die
AfD, die zusammen mit der FPÖ in der ID-Fraktion sitzt und EUHilfen für Kiew ablehnt.
Selbst innerhalb beider Gruppen gibt es Unterschiede. Während etwa die AfD neoliberale Positionen vertritt, versucht der Rassemblement National von Marine Le Pen, sich betont sozial zu geben. Unabhängig davon ist für uns Sozialdemokraten die Abgrenzung zu allen Formen des Autoritarismus essenziell. Eine Zusammenarbeit mit einer neofaschistischen Partei wie den Fratelli d‘Italia ist ausgeschlossen. FdI-Chefin Meloni bewegt sich auf dem europäischen Parkett sehr konziliant. Daheim verfolgt sie aber einen autoritären Kurs: Sie versucht, die Medien unter ihre Kontrolle zu bringen, die Macht des Parlaments einzuschränken, die Justiz einzuschüchtern.
Liegt der Sachverhalt für die Europäische Volkspartei auch so klar?
Meine Vermutung ist, dass die EVP versuchen wird, die FdI aufzunehmen. Kommissionschefin und EVP-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen nimmt Meloni überallhin mit und wertet sie dadurch auf. Für die Volkspartei geht es immer darum, die dicken Fische zu fangen. Dafür nimmt die EVP inhaltliche Abstriche in Kauf, etwa bei der Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit in der EU.
Wieviel Russland steckt Ihrer Ansicht nach in Parteien wie der AfD und der FPÖ?
Wir haben sowohl in Deutschland als auch in Österreich aktuelle Anlassfälle, um diese Frage mit größerem Nachdruck zu stellen. Russlands Machthaber Wladimir Putin wurde im KGB sozialisiert, er nutzt dreckige Methoden wie Desinformation oder Bestechung ganz ungehemmt. Was mich hinsichtlich Österreich erstaunt, ist die Tatsache, dass die Fragen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit so wenig auf europäischer Ebene thematisiert werden. Das dürfte zu einem nicht unbeträchtlichen Teil damit zusammenhängen, dass die jetzige EU konservativ geprägt ist – da drückt man bei einem Parteikollegen gerne das eine oder andere Auge zu. Um es diplomatisch auszudrücken: Ich finde vieles, was in Österreich momentan passiert, sehr bemerkenswert.
Machen Sie sich wirklich Sorgen um Österreich?
Österreich ist ohne Zweifel ein tolles Land, aber hier sind anscheinend Dinge möglich, die mich stutzig machen. Die Nähe der Regierung zu den Medien ist...
...eine alte Geschichte...
...zweifellos, aber weiterhin bedenklich. Und was mit der Wirtschaftsstaatsanwaltschaft gelaufen ist, ist schon sehr seltsam. Von der Ibiza-Affäre ganz zu schweigen. Was die FPÖ anbelangt: Parteichef Herbert Kickl sagt ja unverhohlen, wohin die Reise in Österreich gehen soll – nämlich Richtung Ungarn und weiter nach Russland. Seinen Beliebtheitswerten scheint das nicht zu schaden. Für mich ist das schon sehr verwunderlich.
Apropos Russland: Wo genau steht Ihre Partei in dieser Frage? Einerseits hat Kanzler Scholz eine Zeitenwende ausgerufen, andererseits gibt es in der SPD Stimmen, die den Konflikt mit der Ukraine einfrieren wollen.
Eines vorweg: Die SPD ist eine Volkspartei...
...das heißt, sie will vieles zugleich.
Wir bilden ein Spektrum der Positionen zu Russland ab. Das liegt in der Natur der Sache und wird in Österreich nicht anders sein. Unsere Linie ist aber klar: Die Ukraine wird unterstützt. Deutschland ist der bei weitem größte Unterstützer der Ukraine in Europa. Wir liefern Waffensysteme, die unsere Bundeswehr noch nicht gesehen hat – etwa das Luftabwehrsystem Iris-T. Das muss man würdigen.
Der Eindruck, dass der Bundeskanzler Bammel vor Russland hätte, ist also falsch.
Definitiv. Putin hat 50.000 Bots ins Netz geschickt, nur um die deutsche Regierung zu diskreditieren. Das würde er wohl nicht tun, wenn er den Eindruck hätte, Olaf Scholz sei als Kanzler für ihn günstig.
Dass Donald Trump eine Chance auf die Rückkehr ins Weiße Haus hat, hat das Urvertrauen in die transatlantische Partnerschaft erschüttert. Was soll die EU jetzt tun? Stehen wir alleine da wie die sprichwörtliche Mutterseele?
Die europäischen Beziehungen zu den USA sind eng und werden es hoffentlich auch bleiben, auch wenn es dazwischen die eine oder andere Delle gab. Und man muss ehrlicherweise anerkennen, dass sich die USA bereits unter Trumps Vorgänger, Barack Obama, Richtung Pazifik orientiert haben. Dass wir Europäer fester auf unseren eigenen Füßen stehen müssen, ist keine neue Erkenntnis. Natürlich wird es einen qualitativen Unterschied machen, ob Trump oder Joe Biden die US-Präsidentenwahl im November gewinnt. Der evident vorhandene Bedarf nach mehr strategischer Autonomie in Europa bleibt in jedem Fall.
Wie beurteilen Sie die Performance Ursula von der Leyens in den vergangenen fünf Jahren? Hat die Kommissionspräsidentin ihren Job gut gemacht?
Ich ziehe eine durchwachsene Bilanz. In der Causa Ukraine hat die Kommission vieles richtig gemacht. Was die Coronapandemie anbelangt, bin ich nicht überzeugt : Das Krisenmanagement war zu Beginn schlecht. Am Anfang passierte gar nichts. Der dritte Impfstoff-Liefervertrag mit Pfizer bedarf einer Klärung, es wurden Impfdosen im Wert von vier Mrd. Euro vernichtet und es fehlt an Transparenz. Und schließlich hat von der Leyens Kommission viel zu wenig unternommen, um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der EU zu schützen. Dass das Europaparlament sie vor sich hertreiben musste, um endlich gegen Viktor Orbáns Machenschaften in Ungarn vorzugehen, ist ein Skandal.