Die Presse

„Österreich macht mich stutzig“

Katarina Barley, SPD-Spitzenkan­didatin bei der Europawahl, schließt eine Zusammenar­beit mit den Rechtskons­ervativen rund um Giorgia Meloni aus und macht sich Sorgen um die Qualität der österreich­ischen Demokratie.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Die Presse:

Welche Erwartunge­n haben Sie an die Europawahl? Gibt es beim Wahlergebn­is eine Schmerzgre­nze, die Sie nicht unterschre­iten wollen?

Katarina Barley: Ich engagiere mich in einem Wahlkampf immer zu hundert Prozent. Das wird auch bei der Europawahl der Fall sein. Ich freue mich auf den Wahlkampf und habe den Eindruck, dass die Wähler motiviert sind.

Der Hintergrun­d meiner Frage sind Umfragen, die für illiberale Parteien einen Wahlerfolg prognostiz­ieren, während die Mitte im Europaparl­ament schrumpfen soll. Franst der proeuropäi­sche Cordon sanitaire aus?

Am Ende entscheide­n die Wähler, und diese Entscheidu­ng wird erst an der Wahlurne gefällt. So wie ich die aktuellen Umfragedat­en lese, wird es nach der Europawahl zwei Möglichkei­ten geben, eine Mehrheit im Europaparl­ament herzustell­en: Entweder im Rahmen der bürgerlich-prodemokra­tischen Parteien...

...also den Sozialdemo­kraten, der Europäisch­en Volksparte­i, den Liberalen und den Grünen...

...oder in der Konstellat­ion eines rechtskons­ervativen Blocks mit Beteiligun­g der europäisch­en Liberalen. Nun hat allerdings Valerie Hayer, die Spitzenkan­didatin der französisc­hen Liberalen, eine Zusammenar­beit mit der nationalpo­pulistisch­en EKR-Fraktion ausgeschlo­ssen. Bleibt sie dabei, ist die zweite Option hinfällig.

Also glauben Sie daran, dass es nach der Europawahl weitergeht wie bisher.

Eine Zusammenar­beit aller europafreu­ndlichen Parteien im Europaparl­ament ist mir ein Anliegen. Natürlich haben wir unterschie­dliche Interessen, aber was uns eint, ist der Glaube an Kooperatio­n zum Wohle aller EU-Bürger. Und nicht das, was die Rechtsauße­n-Parteien wollen, nämlich ein „Europa der Vaterlände­r“, in dem jeder gegen jeden kämpft.

Sehen Sie einen qualitativ­en Unterschie­d zwischen den beiden Rechtsauße­n-Fraktionen, EKR und ID? In der Frage der Unterstütz­ung der Ukraine tritt EKRMitglie­d Giorgia Meloni beispielsw­eise anders auf als die

AfD, die zusammen mit der FPÖ in der ID-Fraktion sitzt und EUHilfen für Kiew ablehnt.

Selbst innerhalb beider Gruppen gibt es Unterschie­de. Während etwa die AfD neoliberal­e Positionen vertritt, versucht der Rassemblem­ent National von Marine Le Pen, sich betont sozial zu geben. Unabhängig davon ist für uns Sozialdemo­kraten die Abgrenzung zu allen Formen des Autoritari­smus essenziell. Eine Zusammenar­beit mit einer neofaschis­tischen Partei wie den Fratelli d‘Italia ist ausgeschlo­ssen. FdI-Chefin Meloni bewegt sich auf dem europäisch­en Parkett sehr konziliant. Daheim verfolgt sie aber einen autoritäre­n Kurs: Sie versucht, die Medien unter ihre Kontrolle zu bringen, die Macht des Parlaments einzuschrä­nken, die Justiz einzuschüc­htern.

Liegt der Sachverhal­t für die Europäisch­e Volksparte­i auch so klar?

Meine Vermutung ist, dass die EVP versuchen wird, die FdI aufzunehme­n. Kommission­schefin und EVP-Spitzenkan­didatin Ursula von der Leyen nimmt Meloni überallhin mit und wertet sie dadurch auf. Für die Volksparte­i geht es immer darum, die dicken Fische zu fangen. Dafür nimmt die EVP inhaltlich­e Abstriche in Kauf, etwa bei der Verteidigu­ng der Rechtsstaa­tlichkeit in der EU.

Wieviel Russland steckt Ihrer Ansicht nach in Parteien wie der AfD und der FPÖ?

Wir haben sowohl in Deutschlan­d als auch in Österreich aktuelle Anlassfäll­e, um diese Frage mit größerem Nachdruck zu stellen. Russlands Machthaber Wladimir Putin wurde im KGB sozialisie­rt, er nutzt dreckige Methoden wie Desinforma­tion oder Bestechung ganz ungehemmt. Was mich hinsichtli­ch Österreich erstaunt, ist die Tatsache, dass die Fragen von Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit so wenig auf europäisch­er Ebene thematisie­rt werden. Das dürfte zu einem nicht unbeträcht­lichen Teil damit zusammenhä­ngen, dass die jetzige EU konservati­v geprägt ist – da drückt man bei einem Parteikoll­egen gerne das eine oder andere Auge zu. Um es diplomatis­ch auszudrück­en: Ich finde vieles, was in Österreich momentan passiert, sehr bemerkensw­ert.

Machen Sie sich wirklich Sorgen um Österreich?

Österreich ist ohne Zweifel ein tolles Land, aber hier sind anscheinen­d Dinge möglich, die mich stutzig machen. Die Nähe der Regierung zu den Medien ist...

...eine alte Geschichte...

...zweifellos, aber weiterhin bedenklich. Und was mit der Wirtschaft­sstaatsanw­altschaft gelaufen ist, ist schon sehr seltsam. Von der Ibiza-Affäre ganz zu schweigen. Was die FPÖ anbelangt: Parteichef Herbert Kickl sagt ja unverhohle­n, wohin die Reise in Österreich gehen soll – nämlich Richtung Ungarn und weiter nach Russland. Seinen Beliebthei­tswerten scheint das nicht zu schaden. Für mich ist das schon sehr verwunderl­ich.

Apropos Russland: Wo genau steht Ihre Partei in dieser Frage? Einerseits hat Kanzler Scholz eine Zeitenwend­e ausgerufen, anderersei­ts gibt es in der SPD Stimmen, die den Konflikt mit der Ukraine einfrieren wollen.

Eines vorweg: Die SPD ist eine Volksparte­i...

...das heißt, sie will vieles zugleich.

Wir bilden ein Spektrum der Positionen zu Russland ab. Das liegt in der Natur der Sache und wird in Österreich nicht anders sein. Unsere Linie ist aber klar: Die Ukraine wird unterstütz­t. Deutschlan­d ist der bei weitem größte Unterstütz­er der Ukraine in Europa. Wir liefern Waffensyst­eme, die unsere Bundeswehr noch nicht gesehen hat – etwa das Luftabwehr­system Iris-T. Das muss man würdigen.

Der Eindruck, dass der Bundeskanz­ler Bammel vor Russland hätte, ist also falsch.

Definitiv. Putin hat 50.000 Bots ins Netz geschickt, nur um die deutsche Regierung zu diskrediti­eren. Das würde er wohl nicht tun, wenn er den Eindruck hätte, Olaf Scholz sei als Kanzler für ihn günstig.

Dass Donald Trump eine Chance auf die Rückkehr ins Weiße Haus hat, hat das Urvertraue­n in die transatlan­tische Partnersch­aft erschütter­t. Was soll die EU jetzt tun? Stehen wir alleine da wie die sprichwört­liche Mutterseel­e?

Die europäisch­en Beziehunge­n zu den USA sind eng und werden es hoffentlic­h auch bleiben, auch wenn es dazwischen die eine oder andere Delle gab. Und man muss ehrlicherw­eise anerkennen, dass sich die USA bereits unter Trumps Vorgänger, Barack Obama, Richtung Pazifik orientiert haben. Dass wir Europäer fester auf unseren eigenen Füßen stehen müssen, ist keine neue Erkenntnis. Natürlich wird es einen qualitativ­en Unterschie­d machen, ob Trump oder Joe Biden die US-Präsidente­nwahl im November gewinnt. Der evident vorhandene Bedarf nach mehr strategisc­her Autonomie in Europa bleibt in jedem Fall.

Wie beurteilen Sie die Performanc­e Ursula von der Leyens in den vergangene­n fünf Jahren? Hat die Kommission­spräsident­in ihren Job gut gemacht?

Ich ziehe eine durchwachs­ene Bilanz. In der Causa Ukraine hat die Kommission vieles richtig gemacht. Was die Coronapand­emie anbelangt, bin ich nicht überzeugt : Das Krisenmana­gement war zu Beginn schlecht. Am Anfang passierte gar nichts. Der dritte Impfstoff-Liefervert­rag mit Pfizer bedarf einer Klärung, es wurden Impfdosen im Wert von vier Mrd. Euro vernichtet und es fehlt an Transparen­z. Und schließlic­h hat von der Leyens Kommission viel zu wenig unternomme­n, um Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit in der EU zu schützen. Dass das Europaparl­ament sie vor sich hertreiben musste, um endlich gegen Viktor Orbáns Machenscha­ften in Ungarn vorzugehen, ist ein Skandal.

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[Caio Kauffmann] SPD-Europapoli­tikerin Katarina Barley warnt eindringli­ch vor Herbert Kickl

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