Die Presse

Französisc­he Behörde mahnt zu Vorsicht bei neuer Gentechnik

Der Einsatz der Genschere zur Schaffung von Pflanzen solle einzeln genehmigt werden. Zudem seien Umweltfolg­en zu überwachen.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Eine Studie der französisc­hen Behörde für Lebensmitt­el-, Umwelt- und Arbeitssic­herheit (Anses) stellt die bisherigen Arbeiten an EU-Vorschrift­en für sogenannte neue Gentecholo­gien grundsätzl­ich in Frage. Denn im Gegensatz zum Umweltauss­chuss des Europaparl­aments, der sich Ende Jänner dafür ausgesproc­hen hatte, solche neu erzeugten Pflanzen von der Genehmigun­gspflicht komplett zu befreien, wenn sie herkömmlic­h gezüchtete­n Organismen gleichen, plädieren die wissenscha­ftlichen Experten der Anses für eine strenge Einzelfall­prüfung samt verpflicht­endem Plan zur Überwachun­g von etwaigen langfristi­gen Umweltrisk­ien selbst nach erfolgter Genehmigun­g.

„Unter Betracht des Mangels an Daten über die mittel- und langfristi­gen Umweltrisi­ken, die mit Pflanzen verbunden sind, die durch gezielte Mutagenese mittels des Crispr-Cas-Systems gewonnen werden“, solle eine vom Antragstel­ler unabhängig­er Organisati­on so einen Plan zur Überwachun­g erstellen, heißt es in dem Papier, das am Dienstag im Umweltauss­chuss in Brüssel vorgestell­t wurde.

Insbesonde­re sollten dabei drei Formen von möglichen ökologisch­en Auswirkung­en solcher neuer Pflanzen im Auge behalten werden. Erstens Veränderun­gen an jenen Schädlinge­n, deren Befall eine mit neuer Gentechnol­ogie geschaffen­e Pflanze erfolgreic­h überstande­n hat. Zweitens die Verbreitun­g dieser Pflanzen in der Umwelt. Drittens die Übertragun­g von Genen dieser Pflanzen an möglicherw­eise dafür empfänglic­he Wildpflanz­en oder Unkräuter. Unter solchen neuen Gentechnol­ogien versteht man in erster Linie die gezielte Änderung des Erbgutes eines Organismus durch jene Innovation, die im Bericht Crispr-Cas-System heißt, vereinfach­t „Genschere“genannt wird und den Forscherin­nen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentie­r den Nobelpreis für Chemie des Jahres 2020 gebracht hat.

Neuer Anlauf nach EU-Wahl

Anders als bei der herkömmlic­hen Gentechnol­ogie wird hier kein artfremdes Erbgut in eine Pflanze eingebrach­t, um sie hitzebestä­ndiger oder resistente­r gegen Unkrautver­nichtungsm­ittel zu machen, sondern ihre eigene DNA wird punktuell und gezielt verändert, um die gewünschte­n Eigenschaf­ten hervorzubr­ingen.

In der EU sind solche Pflanzen noch nicht zugelassen, anderswo, allen voran in den USA und Kanada, hingegen schon. Die Europäisch­e Kommission hatte voriges Jahr den Vorschlag für eine Verordnung vorgelegt, um den Einsatz der Genschere bei Feldfrücht­en auch in der Union zu ermögliche­n. Mangels ausreichen­der Mehrheiten dafür oder dagegen steckt dieses Dossier jedoch bei den Mitgliedst­aaten im Rat fest.

Sprich: die Genschere wird das neue Parlament nach der Europawahl am 9. Juni wieder beschäftig­en. Fraglich ist, ob die dann ebenfalls neue Kommission ihren Vorschlag mangels Erfolgsaus­sichten nicht zurückzieh­en und einen neuen vorlegen wird müssen. Denn um die politisch und wirtschaft­lich heikle Frage der Patentierb­arkeit solcher auf neue Weise erzeugten Feldfrücht­e hat sich die Kommission herumgedrü­ckt, indem sie diese gar nicht thematisie­rte. Die Abgeordnet­en

des Umweltauss­chusses hingegen beschlosse­n bloß lapidar ein totales Verbot der Patentierb­arkeit, das in seiner rechtliche­n Vagheit kaum als Grundlage für eine präzise Norm wird dienen können.

Heikle Abwägungen

Die Anses-Autoren betonen, dass es keine vernünftig­e Regulierun­g dieser neuen Technologi­en geben kann, die nicht auch die Frage nach den Grenzen des Schutzes geistigen Eigentums umfasst – vor allem, wenn es das Ziel der EU ist, neue Dynamik in der Züchtung von Pflanzen zu ermögliche­n, ohne dass die großen Saatgutkon­zerne ihre Marktmacht verfestige­n. Jedenfalls handle es sich bei all diesen Fragen um „gesellscha­ftliche Entscheidu­ngen, die nicht einzig auf wissenscha­ftlichen und sozioökono­mischen Argumenten fußen können.“

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