Französische Behörde mahnt zu Vorsicht bei neuer Gentechnik
Der Einsatz der Genschere zur Schaffung von Pflanzen solle einzeln genehmigt werden. Zudem seien Umweltfolgen zu überwachen.
Eine Studie der französischen Behörde für Lebensmittel-, Umwelt- und Arbeitssicherheit (Anses) stellt die bisherigen Arbeiten an EU-Vorschriften für sogenannte neue Gentechologien grundsätzlich in Frage. Denn im Gegensatz zum Umweltausschuss des Europaparlaments, der sich Ende Jänner dafür ausgesprochen hatte, solche neu erzeugten Pflanzen von der Genehmigungspflicht komplett zu befreien, wenn sie herkömmlich gezüchteten Organismen gleichen, plädieren die wissenschaftlichen Experten der Anses für eine strenge Einzelfallprüfung samt verpflichtendem Plan zur Überwachung von etwaigen langfristigen Umweltriskien selbst nach erfolgter Genehmigung.
„Unter Betracht des Mangels an Daten über die mittel- und langfristigen Umweltrisiken, die mit Pflanzen verbunden sind, die durch gezielte Mutagenese mittels des Crispr-Cas-Systems gewonnen werden“, solle eine vom Antragsteller unabhängiger Organisation so einen Plan zur Überwachung erstellen, heißt es in dem Papier, das am Dienstag im Umweltausschuss in Brüssel vorgestellt wurde.
Insbesondere sollten dabei drei Formen von möglichen ökologischen Auswirkungen solcher neuer Pflanzen im Auge behalten werden. Erstens Veränderungen an jenen Schädlingen, deren Befall eine mit neuer Gentechnologie geschaffene Pflanze erfolgreich überstanden hat. Zweitens die Verbreitung dieser Pflanzen in der Umwelt. Drittens die Übertragung von Genen dieser Pflanzen an möglicherweise dafür empfängliche Wildpflanzen oder Unkräuter. Unter solchen neuen Gentechnologien versteht man in erster Linie die gezielte Änderung des Erbgutes eines Organismus durch jene Innovation, die im Bericht Crispr-Cas-System heißt, vereinfacht „Genschere“genannt wird und den Forscherinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier den Nobelpreis für Chemie des Jahres 2020 gebracht hat.
Neuer Anlauf nach EU-Wahl
Anders als bei der herkömmlichen Gentechnologie wird hier kein artfremdes Erbgut in eine Pflanze eingebracht, um sie hitzebeständiger oder resistenter gegen Unkrautvernichtungsmittel zu machen, sondern ihre eigene DNA wird punktuell und gezielt verändert, um die gewünschten Eigenschaften hervorzubringen.
In der EU sind solche Pflanzen noch nicht zugelassen, anderswo, allen voran in den USA und Kanada, hingegen schon. Die Europäische Kommission hatte voriges Jahr den Vorschlag für eine Verordnung vorgelegt, um den Einsatz der Genschere bei Feldfrüchten auch in der Union zu ermöglichen. Mangels ausreichender Mehrheiten dafür oder dagegen steckt dieses Dossier jedoch bei den Mitgliedstaaten im Rat fest.
Sprich: die Genschere wird das neue Parlament nach der Europawahl am 9. Juni wieder beschäftigen. Fraglich ist, ob die dann ebenfalls neue Kommission ihren Vorschlag mangels Erfolgsaussichten nicht zurückziehen und einen neuen vorlegen wird müssen. Denn um die politisch und wirtschaftlich heikle Frage der Patentierbarkeit solcher auf neue Weise erzeugten Feldfrüchte hat sich die Kommission herumgedrückt, indem sie diese gar nicht thematisierte. Die Abgeordneten
des Umweltausschusses hingegen beschlossen bloß lapidar ein totales Verbot der Patentierbarkeit, das in seiner rechtlichen Vagheit kaum als Grundlage für eine präzise Norm wird dienen können.
Heikle Abwägungen
Die Anses-Autoren betonen, dass es keine vernünftige Regulierung dieser neuen Technologien geben kann, die nicht auch die Frage nach den Grenzen des Schutzes geistigen Eigentums umfasst – vor allem, wenn es das Ziel der EU ist, neue Dynamik in der Züchtung von Pflanzen zu ermöglichen, ohne dass die großen Saatgutkonzerne ihre Marktmacht verfestigen. Jedenfalls handle es sich bei all diesen Fragen um „gesellschaftliche Entscheidungen, die nicht einzig auf wissenschaftlichen und sozioökonomischen Argumenten fußen können.“