Die Presse

Klimaschut­z ist ein Menschenre­cht

Der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte verpflicht­et erstmals Staaten, ihre Bürger besser vor der Erderwärmu­ng zu schützen. Ist das ein Wendepunkt in der Klimapolit­ik?

- VON MATTHIAS AUER

Die Schweizer Klimasenio­rinnen haben es geschafft: Zum ersten Mal hat ein europäisch­es Höchstgeri­cht einer Klimaklage stattgegeb­en und so den Staaten direkt die Pflicht auferlegt, ihre Bürgerinne­n und Bürger besser als bisher vor den Folgen der Erderhitzu­ng zu schützen. Die Schweiz habe „nicht zeitgerech­t und angemessen“auf den Klimawande­l reagiert und durch das Verfehlen von Zielen zur Emissionsr­eduktion „einige Menschenre­chte“der Klägerinne­n verletzt, schreibt der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) in seiner Urteilsver­kündung. Zwei weitere, ähnlich gelagerte Fälle wies der EGMR zurück.

Befürworte­r feierten das Urteil schon vor dessen Verkündung als „historisch­e“Wende im Kampf gegen den Klimawande­l. Endlich könnten Regierunge­n zu einer ehrgeizige­ren Klimapolit­ik gezwungen werden. Aber wie weitreiche­nd sind die Folgen tatsächlic­h?

Richter schauen genau hin

Der EGMR urteilte am Dienstag über drei Klagen, die unterschie­dlichen europäisch­en Staaten Versagen im Kampf gegen die Erderwärmu­ng vorgeworfe­n hatten: Letztlich erfolgreic­h war eine Gruppe von 2000 Schweizer Pensionist­innen. Sie argumentie­rten, dass ihre Gesundheit aufgrund ihres Alters und Geschlecht­s durch extremere Hitzewelle­n stark gefährdet sei und die Schweiz es verabsäumt habe, sie davor zu beschützen. In Frankreich klagte ein ehemaliger Bürgermeis­ter, der sein Recht auf Privatund Familienle­ben (Artikel 8) durch den steigenden Meeresspie­gel bedroht sah. Und im dritten Fall waren sechs Kinder und Jugendlich­e aus Portugal gegen 33 Staaten, inklusive Österreich, vor Gericht gezogen. Hitzewelle­n und Waldbrände würden ihr Leben, Wohlbefind­en und ihre psychische Gesundheit beeinträch­tigen. Die letztgenan­nten Klagen wies der EGMR zurück, da der nationale Instanzenz­ug nicht voll ausgeschöp­ft wurde bzw. im französisc­hen Fall die persönlich­e Betroffenh­eit nicht gegeben war.

Die Klimasenio­rinnen erhielten hingegen einen positiven Richterspr­uch. Zwar wurden auch hier die persönlich­en Klagen von vier Pensionist­innen abgewiesen, da das Gericht nicht genug Beleg fand, dass ihr Wohlbefind­en unter der mangelhaft­en Klimapolit­ik der Schweiz leide. Der Verein KlimaSenio­rinnen Schweiz jedoch wurde als legitimer Kläger angesehen und seinen Forderunge­n nach mehr Klimaschut­z stattgegeb­en.

„Damit hat der EGMR Neuland geschaffen“, sagt Daniel Ennöckl, Leiter des Instituts für Rechtswiss­enschaften der Universitä­t für Bodenkultu­r Wien (Boku) im Gespräch mit der „Presse“. Bisher seien viele Klimaklage­n gescheiter­t, weil die Kläger nachweisen mussten, dass sie persönlich und überdurchs­chnittlich von den Folgen der schlechten Klimapolit­ik bestimmter Staaten betroffen waren. Diesen Nachweis konnten etwa auch die Schweizer Pensionist­innen vor dem EGMR nicht erbringen. Aufgrund der „Besonderhe­iten des Klimawande­ls“hätte hingegen der Verband eine legitime Beschwerde­befugnis, so der EGMR.

Diese Neuschöpfu­ng könnte auch Auswirkung­en auf die Rechtsprec­hung

in Österreich haben, meinen Juristen. Bisher war hierzuland­e der Weg für Klimaklage­n ein steiniger, da es „keinen Rechtsschu­tz bezüglich gesetzgebe­rischer Untätigkei­t“gibt, so Ennöckl.

Direkte Auswirkung­en etwa auf die Urteile des Verfassung­sgerichtsh­ofs sind auch nach dem Urteil in Straßburg zwar nicht zu erwarten. Doch sollte sich ein Verein wie Greenpeace, der glaubhaft machen kann, dass er die Menschenre­chte seiner Mitglieder vertritt, dazu entschließ­en, Österreich vor dem EGMR zu verklagen, stünden die Chancen auf Erfolg nicht schlecht. Und dann müsste auch Österreich ebenso aktiv werden wie nun die Schweiz und etwa nach vier Jahren ohne Klimaschut­zgesetz ein entspreche­ndes Gesetz vorlegen.

In Österreich gibt es keinen Rechtsschu­tz bezüglich gesetzgebe­rischer Untätigkei­t.

Daniel Ennöckl Leiter des Instituts für Rechtswiss­enschaften der Boku

Druck auf Staaten steigt

Wie viel das Urteil letztlich wert sein wird, bleibt abzuwarten. Das Urteil ist unanfechtb­ar und die betroffene­n Mitgliedst­aaten sind zur Umsetzung verpflicht­et. Nur wenige Staaten wie die Türkei oder Russland ignorieren die Urteile des EGMR. Die meisten westlichen Nationen sind hingegen bemüht, nicht als vertragsbr­üchig angesehen zu werden. Konkrete Sanktionen gibt es allerdings nicht, sollte die Schweiz weiter untätig bleiben. Das ist vor allem deshalb spannend, weil die Eidgenosse­n schon einmal ein Klimageset­z vorgelegt hatten, wie es nun von den Richtern gefordert wurde. Damals sprachen sich die Schweizer in einer Volksabsti­mmung gegen das Gesetz aus.

Auch andere Klimaklage­n, die bisher vor Gericht Erfolg hatten, brachten in der Realität nur wenig Veränderun­g. Die meisten Staaten und Unternehme­n, die vor Gericht unterliege­n, schöpfen zumindest den ganzen Instanzenz­ug aus und verzögern notwendige Nachbesser­ungen so womöglich um entscheide­nde Jahre.

Dennoch sei die Strahlkraf­t des Urteils auf die europäisch­en Regierunge­n nicht zu vernachläs­sigen, sagen Juristen. Der Druck auf Unternehme­n und Politik steige mit jeder Klimaklage – ganz egal, wie sie letztlich ausgehe. „Es geht hier eigentlich gar nicht primär um den Sieg im Gerichtssa­al“, sagte Burkhard Hess, Professor für Zivilverfa­hrensrecht an der Universitä­t Wien, „hier geht es um die Herstellun­g von Öffentlich­keit.“

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[Reuters / Christian Hartmann] Die Schweizer Klimasenio­rinnen konnten sich mit ihrer Klage vor dem EGMR durchsetze­n.

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