Und plötzlich steht da ein Wolf
Mehrere Sichtungen in wenigen Tagen: Wie problematisch ist das? Verlieren die Tiere die Scheu? Und was tun, wenn wie im Mühlviertel ein Wolf vor einem steht?
Nur acht Tage nachdem eine 13-Jährige am Ostersonntag beim Joggen im Mühlviertel auf zwei Wölfe gestoßen ist, von denen sie einer sogar verfolgt haben soll, hat am Montag eine Sichtung vor einer Schule in Sankt Georgen an der Gusen für Aufsehen gesorgt : Das Tier querte direkt vor einem Auto eine Straße, wie Schüler auf einem Video festhielten.
Seit Tagen wird im Mühlviertel von Sichtungen berichtet: Nach einer Begegnung am Ostermontag bei Windhaag (Bezirk Freistadt) soll am Wochenende in Engerwitzdorf (Bez. Urfahr-Umgebung) und Montagfrüh in Langenstein (Bez. Perg) je ein Tier gesehen worden sein.
Das ist an sich im Frühjahr nicht ungewöhnlich. Schließlich sind die Jungtiere unterwegs, die ihre Rudel verlassen haben. „Wölfe bekommen im Spätwinter und Vorfrühling ihre Jungen. Die bleiben im Rudel, bis im nächsten Jahr wieder Nachwuchs da ist. Dann müssen die Jungen des Vorjahrs ihr Elternhaus verlassen – freiwillig oder sie werden rausgebissen. Diese Tiere sind dann unterwegs, sie sind jung und neugierig“, sagt Albin Blaschke, der Leiter des Österreichzentrums Bär Wolf Luchs.
Sie sind auf Wanderschaft, gehen weite Strecken und kommen Häusern oder Straßen näher als ältere Tiere. „Sie sind neugierig, unerfahren, schauen sich die Welt an“, so Blaschke. Das bedeute noch keine Gefahr. Aber: „Situationen wie die, von denen aus dem Mühlviertel berichtet wird, gehören beobachtet. Solche Dinge sollen nicht verharmlost werden, das wird auch beobachtet, dafür gibt es das Wolfsmonitoring, um rechtzeitig handeln zu können. Dass Wölfe in Siedlungsnähe auftauchen, ergibt sich aber schon aufgrund der Struktur, aufgrund dichter Besiedelung“, sagt Blaschke. Auch, dass man sie aufgrund steigender Wolfszahlen häufiger sieht.
„Nicht auf die leichte Schulter“
Hier müsse man zwischen Sichtung und Begegnung differenzieren: „Wenn ich wandern gehe und auf der Talseite gegenüber einen Wolf sehe, das ist eine Sichtung. Auch wenn ich das Tier überrasche, der Wolf aber sofort Reißaus nimmt, ist das eine Sichtung“, sagt Blaschke. Kommt es zu einer Begegnung, bei der eine Distanz von 30 bis 80 Metern unterschritten wird, oder, wie aus dem Mühlviertel berichtet, dazu, dass ein Wolf Menschen nachgeht, „muss man sich das genau anschauen“.
Was tun im Ernstfall?
Ein Parameter, um zu beurteilen, ob ein Wolf die Scheu vor Menschen verloren hat, ist auch, ob es sich um einen Wiederholungstäter handelt. „Man darf die Situation nicht auf die leichte Schulter nehmen, aber Panik ist auch kein guter Ratgeber“, sagt Blaschke.
Wölfe, die Menschen wiederholt zu nahe gekommen sind, können zum Abschuss freigegeben werden. Das Land Oberösterreich hat in den vergangenen Monaten Abschussgenehmigungen erlassen, zwei Tiere wurden tatsächlich getötet. Bevor diese Genehmigung ergeht, muss ein Wolf binnen 14 Tagen zweimal vergrämt worden sein. Danach kann er in einem Zeitfenster
von vier Wochen im Umkreis von zehn Kilometern um den Sichtungsort zum Abschuss freigegeben werden.
Begegnet man tatsächlich einem Wolf, sollte man nicht weglaufen. „Das löst bei Wölfen Interesse aus oder verstärkt es noch“, so Verhaltensbiologe und Wolfsexperte Kurt Kotrschal. Und: „Bitte die Tiere nicht anfüttern, das führt dazu, dass sie die Distanz zu den Menschen verlieren, und diese Tiere müssen dann abgeschossen werden.“Auch dass Jäger Futterplätze für Füchse anlegen, sei nicht ideal, wenn die Wölfe zurückkommen.
Begegnet man einem Tier, empfiehlt er, „sich groß machen, drohen, unfreundlich sein“, will man das Tier vergrämen, kann man auch einen Stein oder Ast werfen. „Wölfe sind klug, sie gehen kein Risiko ein und lassen sich gut wegscheuchen“, so Kotrschal. Zuallererst
sollte man sich aber freuen, dass man einen Wolf sieht (und das dokumentieren und der Bezirkshauptmannschaft melden). „Meistens beachten sie einen nicht, nur Jungwölfe betrachten Menschen.“Wobei die Tiere sich nicht übertrieben vor Menschen fürchten würden.
Zu fürchten brauche man sich im Moment nicht. In den vergangenen 30 bis 40 Jahren lebten in Europa 20.000 Wölfe und 370 Millionen Menschen, ohne dass es einen von den Tieren verletzten Menschen gegeben hätte, so Kotrschal. Das heiße nicht, „dass nichts passieren kann, aber weniger als bei Bären und Wildschweinen“. Es seien außerdem drei Voraussetzungen gegeben, dass der Wolf in Österreich kein beutemotiviertes Interesse an Menschen habe: Es gebe genügend Wild und weder Tollwut noch Kriegszeiten mit Toten.