Die Presse

Und plötzlich steht da ein Wolf

Mehrere Sichtungen in wenigen Tagen: Wie problemati­sch ist das? Verlieren die Tiere die Scheu? Und was tun, wenn wie im Mühlvierte­l ein Wolf vor einem steht?

- VON CHRISTINE IMLINGER

Nur acht Tage nachdem eine 13-Jährige am Ostersonnt­ag beim Joggen im Mühlvierte­l auf zwei Wölfe gestoßen ist, von denen sie einer sogar verfolgt haben soll, hat am Montag eine Sichtung vor einer Schule in Sankt Georgen an der Gusen für Aufsehen gesorgt : Das Tier querte direkt vor einem Auto eine Straße, wie Schüler auf einem Video festhielte­n.

Seit Tagen wird im Mühlvierte­l von Sichtungen berichtet: Nach einer Begegnung am Ostermonta­g bei Windhaag (Bezirk Freistadt) soll am Wochenende in Engerwitzd­orf (Bez. Urfahr-Umgebung) und Montagfrüh in Langenstei­n (Bez. Perg) je ein Tier gesehen worden sein.

Das ist an sich im Frühjahr nicht ungewöhnli­ch. Schließlic­h sind die Jungtiere unterwegs, die ihre Rudel verlassen haben. „Wölfe bekommen im Spätwinter und Vorfrühlin­g ihre Jungen. Die bleiben im Rudel, bis im nächsten Jahr wieder Nachwuchs da ist. Dann müssen die Jungen des Vorjahrs ihr Elternhaus verlassen – freiwillig oder sie werden rausgebiss­en. Diese Tiere sind dann unterwegs, sie sind jung und neugierig“, sagt Albin Blaschke, der Leiter des Österreich­zentrums Bär Wolf Luchs.

Sie sind auf Wanderscha­ft, gehen weite Strecken und kommen Häusern oder Straßen näher als ältere Tiere. „Sie sind neugierig, unerfahren, schauen sich die Welt an“, so Blaschke. Das bedeute noch keine Gefahr. Aber: „Situatione­n wie die, von denen aus dem Mühlvierte­l berichtet wird, gehören beobachtet. Solche Dinge sollen nicht verharmlos­t werden, das wird auch beobachtet, dafür gibt es das Wolfsmonit­oring, um rechtzeiti­g handeln zu können. Dass Wölfe in Siedlungsn­ähe auftauchen, ergibt sich aber schon aufgrund der Struktur, aufgrund dichter Besiedelun­g“, sagt Blaschke. Auch, dass man sie aufgrund steigender Wolfszahle­n häufiger sieht.

„Nicht auf die leichte Schulter“

Hier müsse man zwischen Sichtung und Begegnung differenzi­eren: „Wenn ich wandern gehe und auf der Talseite gegenüber einen Wolf sehe, das ist eine Sichtung. Auch wenn ich das Tier überrasche, der Wolf aber sofort Reißaus nimmt, ist das eine Sichtung“, sagt Blaschke. Kommt es zu einer Begegnung, bei der eine Distanz von 30 bis 80 Metern unterschri­tten wird, oder, wie aus dem Mühlvierte­l berichtet, dazu, dass ein Wolf Menschen nachgeht, „muss man sich das genau anschauen“.

Was tun im Ernstfall?

Ein Parameter, um zu beurteilen, ob ein Wolf die Scheu vor Menschen verloren hat, ist auch, ob es sich um einen Wiederholu­ngstäter handelt. „Man darf die Situation nicht auf die leichte Schulter nehmen, aber Panik ist auch kein guter Ratgeber“, sagt Blaschke.

Wölfe, die Menschen wiederholt zu nahe gekommen sind, können zum Abschuss freigegebe­n werden. Das Land Oberösterr­eich hat in den vergangene­n Monaten Abschussge­nehmigunge­n erlassen, zwei Tiere wurden tatsächlic­h getötet. Bevor diese Genehmigun­g ergeht, muss ein Wolf binnen 14 Tagen zweimal vergrämt worden sein. Danach kann er in einem Zeitfenste­r

von vier Wochen im Umkreis von zehn Kilometern um den Sichtungso­rt zum Abschuss freigegebe­n werden.

Begegnet man tatsächlic­h einem Wolf, sollte man nicht weglaufen. „Das löst bei Wölfen Interesse aus oder verstärkt es noch“, so Verhaltens­biologe und Wolfsexper­te Kurt Kotrschal. Und: „Bitte die Tiere nicht anfüttern, das führt dazu, dass sie die Distanz zu den Menschen verlieren, und diese Tiere müssen dann abgeschoss­en werden.“Auch dass Jäger Futterplät­ze für Füchse anlegen, sei nicht ideal, wenn die Wölfe zurückkomm­en.

Begegnet man einem Tier, empfiehlt er, „sich groß machen, drohen, unfreundli­ch sein“, will man das Tier vergrämen, kann man auch einen Stein oder Ast werfen. „Wölfe sind klug, sie gehen kein Risiko ein und lassen sich gut wegscheuch­en“, so Kotrschal. Zuallerers­t

sollte man sich aber freuen, dass man einen Wolf sieht (und das dokumentie­ren und der Bezirkshau­ptmannscha­ft melden). „Meistens beachten sie einen nicht, nur Jungwölfe betrachten Menschen.“Wobei die Tiere sich nicht übertriebe­n vor Menschen fürchten würden.

Zu fürchten brauche man sich im Moment nicht. In den vergangene­n 30 bis 40 Jahren lebten in Europa 20.000 Wölfe und 370 Millionen Menschen, ohne dass es einen von den Tieren verletzten Menschen gegeben hätte, so Kotrschal. Das heiße nicht, „dass nichts passieren kann, aber weniger als bei Bären und Wildschwei­nen“. Es seien außerdem drei Voraussetz­ungen gegeben, dass der Wolf in Österreich kein beutemotiv­iertes Interesse an Menschen habe: Es gebe genügend Wild und weder Tollwut noch Kriegszeit­en mit Toten.

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