Wenn Zeit die Währung ist
Als Kind wollte Horst Stein Forscher werden. Heute arbeitet der Künstler auch als Sexualpädagoge, fischt, baut Boote – und brennt Gin.
Wenn Wohnungen etwas über ihre Bewohner erzählen, dann hat diese hier viel zu berichten. Da sind Schränke, die aus dem Nussbaum im Garten entstanden sind, selbst verlegte Fliesen, getrocknete Pilze, Küchenutensilien, sorgfältig arrangiert. Ein Tisch, an dem oft Gäste feiern, eine Art Salon, den Gastgeber Horst Stein nicht so nennen will, „weil es um gute Gespräche und gutes Essen geht, nicht um Kalkül“.
Anlass für den Besuch in der Ottakringer Vorstadtwohnung ist die jüngste Ausstellung des Künstlers. Für sie hat sich Horst Stein mit dem Konkurrenzkampf zwischen Bruckner und Brahms beschäftigt : Anhand von Singvögeln, gezeichnet mit „Jolly-Buntstiften“, wie er bei Kaffee und sizilianischem Kuchen auf seinem Balkon erzählt. Hundert der aufwendigen Zeichnungen hängen gerade in der Kunstsammlung des Landes Oberösterreich: Meisen, Spatzen und Tauben, die sich angranteln oder auch Sex haben. „Die Hinterfotzigkeit und Bösartigkeit, die da auch drinstecken, sind dabei nett versteckt.“
Die Idee sei ihm beim Hören von Bruckners vierter Sinfonie gekommen. „Nach zwei oder drei Minuten bricht da der Zizibe in die Musik ein. Und Zizibe ist in Oberösterreich das Wort für die Meise.“Für ihn, der oft abstrakte und konzeptuelle Kunst macht, sei es auch eine Freude gewesen, in eine so figurative Arbeit einzutauchen. „Man sagt ja den zeitgenössischen Künstlern oft nach, sie könnten eh nicht mehr zeichnen. Aber das wollte ich gar nicht beweisen. Für mich war es fast wie eine Rückerinnerung an die Jugend.“
Anhand der Singvögel erzählt Stein von künstlerischer Konkurrenz („und wie sinnlos das eigentlich ist“) und von der Rolle der Medien, die in einem erbitterten Richtungsstreit „Brucker runterund Brahms raufgeschrieben haben“. Das, sagt er, habe ihn interessiert. „Ich bin ja kein Bruckner-Hagiograf, nur weil ich aus Oberösterreich bin.“
Mangel und Neugier
Aufgewachsen ist Stein im 1000-SeelenDorf Eggerding. Der Haushalt sei bildungsund kunstfern gewesen, dafür voll kreativer Lösungsvorschläge, „aus einem Mangel heraus. Man ist relativ früh auch in die Verantwortung genommen worden“, erzählt Stein. „Meine ersten zeichnerischen Aufträge habe ich mit 13 gekriegt.“
Was es immer gegeben habe, waren Geschichten. „Und es hat einem niemand nehmen können, dass man genau beobachtet und schaut. Das kommt
mir jetzt vielleicht ein bisschen zugute.“Für die Arbeit in Linz habe er sich auf Vogelbeobachtung begeben, mit einem halb kaputten Wehrmachtsgucker, „durch den ich weniger gesehen habe als mit freiem Auge. Ich habe mich als Forscher gefühlt.“
Forscher, das habe er ursprünglich auch werden wollen. Das sei die Motivation gewesen, sich aus der Herkunft, in der man schon auch hätte feststecken können, herauszuziehen, Matura zu machen und zu studieren. Es wurde dann doch die Kunst, aber der Antrieb ist derselbe geblieben. Unter seinen Werken finden sich großformatige Malereien, aber auch Fotografien (und Fotos, auf denen er eigene Malereien von Nachbarn zerstören lässt). „Wenn ich das Gefühl habe, ich kann was, dann lasse ich es auch wieder sein“, sagt Stein. Er habe keine Lust, „ein One-Trick-Pony zu sein. Dazu bin ich viel zu neugierig.“
Auch das, glaubt er, habe wohl mit seinem Aufwachsen zu tun. „Da hat man sich auch nur befreien können, wenn man neugierig war wie ein Schwamm. Wie komme ich zu Wissen? Wie geht etwas?“
So kommt es, dass Stein von Rapfen und Aalrutten ebenso kundig erzählt wie von Samtfußrüblingen, Rötelritterlingen und Judasohren (Fische das eine, Pilze das andere) oder von den Hölzern, aus denen er Möbel und Boote baut. Über seine Arbeit als Sexualpädagoge („ich wollte immer einen Fuß im Sozialen haben“) könnte man ebenso eigene Interviews führen wie über den Gin, dessen Rezeptur er zunächst gezeichnet hat, der in London Preise gewonnen hat und den er mit einem Freund in Stammersdorf brennt. „Wirtschaftlich gesehen dürften wir den so nicht machen“, sagt er, „da müssten wir weniger in die Sorgfalt der Herstellung investieren und mehr ins Marketing.“
Die Kunst sei dabei immer jener Punkt gewesen, „wo ich das Gefühl habe, dass es um alles geht“. Gleichzeitig sei ihm früh klar gewesen, dass er sein Leben nicht der Karriere unterordnen würde. Er könne sich erinnern, sagt Stein, schon an seinem 18. oder 19. Geburtstag formuliert zu haben: „Meine Währung wird die Zeit. Aber ohne die Kunst hätte ich auch auf anderen Gebieten diese bedingungslose Sorgfalt und Hingabe vielleicht nicht gelernt.“