Rohstoffpreise als Inflationstreiber?
Erst war es der Ukrainekrieg, nun ist es die Konjunktur, die die Rohstoffpreise steigen lässt. Die Branchenhändler schwimmen im Geld. Die Inflationsbekämpfung wird aber mühsamer.
Wer sehen will, was sich in letzter Zeit auf den Rohstoffmärkten abspielt, braucht nur auf die Zahlen der großen Händler zu blicken. Sie allesamt, beheimatet traditionellerweise in der Schweiz, schwimmen förmlich im Geld. Und dies das zweite Jahr in Folge – die Preisentwicklung seit Beginn des laufenden Jahres noch nicht einmal mit eingerechnet.
Mercuria Energy etwa. Der Rohstoffhändler hat im Vorjahr einen Gewinn von rund 2,7 Milliarden Dollar erzielt, berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg mit Verweis auf Insider. Beim Konkurrenten Vitol Group betrug der Nettoüberschuss gar 13 Mrd. Dollar. Das ist in beiden Fällen zwar ein Rückgang um zehn bis 15 Prozent gegenüber 2022, aber mehr als doppelt so viel wie in jedem anderen Jahr zuvor. Nimmt man noch die zwei anderen führenden Rohstoffhändler im Privatbesitz – nämlich Trafigura Group und Gunvor Group – hinzu und rechnet die vergangenen beiden Jahre zusammen, so belaufen sich die Nettogewinne laut Bloomberg auf über 50 Mrd. Dollar, der profitabelste Zeitraum in der Geschichte. Zum Vergleich: Im Zeitraum 2018-2019 waren es gerade einmal 6,8 Milliarden.
Krieg und Konjunktur
Die Gewinne der führenden physischen Rohstoffhändler waren „wirklich astronomisch“, sagte Sebastian Barrack, Leiter der Rohstoffabteilung bei Citadel, einem Hedgefonds in dieser Branche, am Montag auf einem Rohstoffgipfel der „Financial Times“in Lausanne.
Die Branche erlebt einen Aufschwung und eine Sonderkonjunktur. Hatten anfänglich der russische Angriff auf die Ukraine und seine Begleiterscheinungen für exorbitante Rohstoffpreise gesorgt, so ist es in letzter Zeit die Erwartung einer erhöhten Nachfrage aus den
USA, wo das Wirtschaftswachstum überraschend robust ist, und aus China. Zwei Berichte der Vorwoche, die eine Erholung des verarbeitenden Gewerbes in beiden Ländern zeigten, trugen dazu bei, eine neue Kaufwelle bei Rohstoffen auszulösen, schrieb das „Wall Street Journal“. Der Index für die globalen Rohstoffpreise, genannt S&P GSCI, sei heuer um zwölf Prozent gestiegen und habe damit den Anstieg des US-Leitindex S&P 500 um drei Prozentpunkte übertroffen.
So hat etwa der Preis für Kupfer und Rohöl – Letzteres auch gestützt durch die restriktive Förderpolitik des erweiterten Ölkartells Opec+ – heuer um mehr als zehn Prozent bzw. 17 Prozent zugelegt. Öl notiert wieder so hoch wie zuletzt nach dem Hamas-Angriff auf Israel im Oktober 2023. Selbst der Goldpreis stieg bereits um mehr als 14 Prozent
auf das Rekordhoch von 2360 Dollar je Feinunze, was sich übrigens laut Commerzbank nicht mit fundamentalen Argumenten erklären lasse, sondern eher auf eine so genannte rationale Blase hindeute – sprich, dass Leute Gold kaufen, weil sie davon ausgingen, dass die Masse darauf setze, obwohl sie selbst nicht davon überzeugt seien, dass der Preisanstieg gerechtfertigt sei.
Hartnäckiger Inflationstreiber?
Mit der starken Preisdynamik bei Rohstoffen kommt jedenfalls die Angst, dass die ohnehin hartnäckig hohe Inflation nun durch die Rohstoffpreise weiter gestützt wird und die Notenbanken daher die Leitzinsen länger als erwartet auf hohem Niveau halten müssen. Vorerst nämlich ist eine Entspannung bei den Rohstoffpreisen nicht in Sicht. Die australische Bank Macquarie hält in einem Bericht fest, dass das reale Einkommenswachstum eine Wiederbeschleunigung der globalen Güternachfrage ausgelöst hat, die die Rohstoffpreise wahrscheinlich noch weiter hochtreiben wird.
Und auch von anderer Seite kommt Nachfrage: Der zunehmende Einsatz Künstlicher Intelligenz und der damit verbundene Bedarf an größeren Rechenzentren treiben laut Trafigura den Kupferbedarf nach oben. Bis 2030 könnte der Bedarf um bis zu einer Million Tonnen steigen, sagte Trafigura-Chefvolkswirt Saad Rahim auf dem Gipfel in Lausanne. Auch die Energiewende erhöhe die Nachfrage. Und das Angebot werde der Nachfrage nicht gerecht. Die zusätzliche Million Tonnen für KI-Anwendungen komme zusätzlich zu der Angebotslücke von vier bis fünf Millionen Tonnen, die 2030 ohnehin zu erwarten sei. (Bloomberg/Reuters/est)