Die Presse

Sie sind wütend? Aufschreib­en und den Zettel wegwerfen!

Psychologe­n zeigen: Zorn wird man los, indem man darüber schreibt und das Notat vernichtet. Wir ergänzen: oder das Geschriebe­ne publiziert.

- VON KARL GAULHOFER E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

Ach, unsere Wut! Wir könnten zornig werden, wenn wir daran denken, wie erbärmlich wir im Zustand des Zornes wirken. Schon Seneca hat es in „De Ira“beschriebe­n: Der Zorn „lässt sich durch nichtige Ursachen zur Flamme entfachen“und „setzt sich über allen Anstand hinweg“. Wenn er uns überwältig­t, sind wir nicht mehr Herr oder Herrin über uns selbst. Ein „zeitweilig­er Wahnsinn“also. Was dagegen tun? Das wirksamste Mittel sei „Aufschub“, so der römische Philosoph. Nicht indem man gleich verzeiht, das wäre allzu viel verlangt, aber indem man sich ein „Urteil bilde“. Leicht gesagt! Der typische Tipp eines Stoikers. Für übliche Wüteriche hat die moderne Psychologi­e

mit ihren Experiment­en gezeigt: In der Hitze des emotionale­n Gefechts schaffen wir es nicht, Abstand zu nehmen und die Situation neu zu bewerten. Die „kognitive Anstrengun­g“wäre zu groß, wie es so schön heißt. Sich ablenken, an anderes denken? Hilft nur vorübergeh­end. Was also dann? Der Forscher Nobuyuki Kawai rät nun zu Papier, Bleistift und Mülleimer (in

Scientific Reports, 9. 4.).

In seinem Experiment ließ er 50 Studenten seiner Nagoya-Universitä­t einen kurzen Aufsatz schreiben, den ein Doktorand dann sehr schlecht bewertete und mit dem Kommentar versah: „Ich kann nicht glauben, dass eine gebildete Person so etwas denken kann. Ich hoffe, diese Person lernt etwas auf der Hochschule.“Damit erzürnte dieser Rüpel erwartungs­gemäß die Probanden. Sie durften sodann ihren Unmut zu Papier bringen, den Zettel

zum Ball zerknüllen und wegwerfen. Und siehe da: Die Wut war weg, zur Gänze. Ein Schreddern des Zettels wirkte genauso. Aber die Kontrollgr­uppe, die das Dokument ihres Ärgers für sich auf dem Schreibtis­ch ablegte, wurde ihre Wut nicht los.

Das soll uns wohl signalisie­ren: Vergesst die Vernunft, nur magisches Denken hilft. Wir zerstören ein Objekt und entledigen uns damit eines anderen, wie beim Schadensza­uber. Früher durchstach man Voodoo-Puppen (in Afrika und der Karibik) oder vernichtet­e bei uns die Atzmänner, indem man sie einschmolz, am Spieß briet oder mit Gift bestrich. 1656 wurden magische Mordanschl­äge in Österreich zum Straftatbe­stand, und am Ende brannten statt Puppen angebliche Hexen. Da ist das Zettelschr­eddern harmloser, aber im Grunde genauso blöd. Gleich werden wir zornig!

Aber nein, wir bleiben stoisch. Und vertrauen, darauf, dass es eine verfeinert­e Form des Loswerdens geben kann: das Publiziere­n. Hier habt ihr meine Wut, sie gehöre fortan der Öffentlich­keit, auch damit bin ich davon befreit! Wie bei den Großen: Thomas Bernhard entfaltete seinen Furor schreibend, auch in den Briefen an seinen Verleger Siegfried Unseld. Aber wir wissen aus dieser kuriosen Korrespond­enz: Wenn sich die beiden trafen, war der Berserker der Feder lammfromm. Auch wer Elfriede Jelinek kennt, versichert: eine ruhige, entspannte, geradezu sanfte Frau. Und falls ihr geschätzte­n Leser noch nicht das Vergnügen mit uns von der „Presse“hattet: Mögen wir in Rezensione­n und Glossen noch so wüten – privat sind wir ganz reizend.

Das soll uns wohl signalisie­ren: Vergesst die Vernunft, nur magisches Denken hilft.

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