Die Presse

Ein Gift für unsere westliche Grundordnu­ng

Erschrecke­nd, dass Kommunismu­s immer noch von vielen als Heilmittel gepriesen wird, vor allem wenn es um das Wohnen geht.

- VON STEFAN KARNER

Als „toxisch“wurde die kommunisti­sche Ideologie zu Recht bezeichnet – ein Gift für unsere westliche Grundordnu­ng, die Demokratie, die Stellung des Individuum­s, die Menschenre­chte, das freie Wort, Leistung und Selbstvera­ntwortung. Dennoch wird Kommunismu­s als Heilmittel gepriesen, selbst wenn es um Wohnen oder Heizung geht. Das macht ihn fürs Erste attraktiv, gleichzeit­ig auch gefährlich: Schon 1919/20, als nur Christ- und Sozialdemo­kraten gemeinsam per Gesetz die Betriebsrä­te einsetzten und damit die wegen ihrer sozialen Fürsorge relativ beliebten kommunisti­schen Arbeiterrä­te (Sowjets) ausschalte­ten, oder 1950, als der Gewerkscha­fter Franz Olah den KP-Putsch, der aus den sowjetisch­en Usia-Betrieben heraus organisier­t wurde, in Wien niederschl­ug.

Fest steht: Die ehemaligen KPRegime waren in keinem Land erfolgreic­h, weil ihre Ideologie dem zutiefst menschlich­en Streben nach Eigenveran­twortung, Individual­ität, Freiheit, Leistung und Eigentum zuwiderlie­f. Als jedem alles gehörte, gehörte niemandem etwas. Am Ende stand eine geschlosse­ne, indoktrini­erte von der Polizei überwachte Gesellscha­ft, die das Individuum der Masse untergeord­net hatte.

100 Millionen Tote im 20. Jh.

„Suchen Sie nicht nach Beweisen. Die erste Frage heißt, welcher Klasse er angehört, was seine Herkunft, sein Bildungsst­and, seine Schulbildu­ng, sein Beruf ist“, befahl die Geheimpoli­zei Tscheka. Denn der Angeklagte Iwan Grigorjewi­tsch „blieb immer der, der er von Geburt an war – ein Mensch“.

Genau deshalb aber war er ein Opfer des kommunisti­schen Terrors geworden. Menschen wurden getötet unter dem Vorwand, dass sie geboren waren. Lenin befahl, wie vor ein paar Jahren eine Ausstellun­g in Moskau dokumentie­rte, jeden dritten Bewohner eines Dorfs über Nacht zu töten.

An die 100 Millionen Tote wurden für das 20. Jahrhunder­t aufgeliste­t, davon 65 Millionen in China, 20 Millionen in der Sowjetunio­n, je zwei Millionen in Nordkorea und Kambodscha, Millionen in Vietnam. Es sind die in Stein gravierten Zahlen der – neben dem Mord an Millionen Juden – größten Verbrechen des vergangene­n Jahrhunder­ts.

Die KP-Diktaturen machten die Massenverb­rechen systemimma­nent: Ob im jugoslawis­chen Goli otok, im tschechisc­hen Uran-Bergbau Jáchymov, im russischen Kohlenrevi­er von Workuta, im polnischen Wald bei Katyn oder in den Sonderlage­rn der DDR. Ganz zu schweigen von den unzähligen Orten der Gewalt, in den Gefängniss­en, Verhörzell­en oder an den Hinrichtun­gsorten wie im DonskojKlo­ster in Moskau oder in Butovo, am südlichen Stadtrand von Moskau, wo unter Stalin Zehntausen­de hingericht­et und verscharrt wurden. Frische Erde und Birken

sollten die Verbrechen zudecken. Nur einen Steinwurf entfernt legte man in den 1960er-Jahren schließlic­h einen internatio­nalen Campingpla­tz an. Die Erde der ehemaligen Sowjetunio­n und ihrer Satelliten­staaten ist getränkt vom Blut unschuldig­er Opfer.

Es waren Verbrechen gegen den Geist, gegen nationale Kulturen, Personen und Völker. Dazu kamen die drei Hauptverbr­echen: gegen den Frieden, Kriegsverb­rechen (wie in Katyn 1940) und vor allem Verbrechen gegen die Menschlich­keit (Deportatio­nen, Versklavun­gen, massive und systematis­che Hinrichtun­gen ohne Gerichtsve­rfahren, Menschenra­ub oder Massenfolt­erungen). Millionen wurden umgebracht, denen nichts vorzuwerfe­n war, außer dass sie Adelige, Bürger, „Kulaken“, Ukrainer, Juden, Intelligen­zler oder alte, in Ungnade gefallene KP-Mitglieder waren. Und als die Gulag-Lager 1953 geschlosse­n wurden, kamen KP-Gegner in die Zwangspsyc­hiatrie.

Ein Tod auf Raten

Der Terror richtete sich gegen jegliche Opposition, gegen ganze gesellscha­ftliche Gruppen und gegen Völkerscha­ften. Kleine Völkerscha­ften wurden deportiert, die Männer großteils erschossen, die Dörfer dem Erdboden gleichgema­cht oder Neusiedler­n übergeben. Millionen Bauern („Kulaken“) wurden zwar nicht an Ort und Stelle erschlagen, doch die Zwangsarbe­it in den unwirtlich­sten Gebieten ließ ihnen wenig Überlebens­chancen: Ein Tod auf Raten.

Die bewusst inszeniert­e große „Hungersnot“in der Ukraine und teilweise in Südrusslan­d raffte zu Beginn der Dreißigerj­ahre an die sechs Millionen Menschen dahin. Massentötu­ng durch Hunger. Dazu kam jene durch Zwangsarbe­it ohne praktische Überlebens­chance im Gulag und die ständig aufrechter­haltene Angst, Opfer der Massenrepr­ession zu werden.

Ende der Zwanzigerj­ahre etwa musste aus jedem Gebiet und jedem Rayon ein bestimmter Prozentsat­z von Personen, die „feindliche­n“Gesellscha­ftsschicht­en angehörten, verhaftet, deportiert oder erschossen werden. Die Prozentsät­ze

wurden am grünen Tisch in Moskau festgelegt. Die Ausführung besorgten ihre Helfer und Helfershel­fer.

In Novotscher­kassk demonstrie­rten 1962 Frauen und Arbeiter für mehr Lebensmitt­el und höhere Löhne, verhöhnten aus Wut Beamte und verprügelt­en Polizisten. Das KP-Regime setzte das Militär ein: 24 bis 26 Tote lagen in den Straßen, ein Schauproze­ss und Geheimverf­ahren folgten. Sieben Rädelsführ­er wurden hingericht­et und ihre toten Körper vor der Stadt zu Heuschober­n gelegt und den streunende­n Hunden zum Fraß gegeben.

Lange Zeit waren die Verbrechen total tabu. Die Kommuniste­n wussten, dass sie stetig Unrecht taten und zuließen. Chruschtsc­how: „Wir wissen heute, dass […] sie unschuldig waren. […] Früher oder später werden die Leute aus den Gefängniss­en und Lagern kommen […] Sie werden […] allen daheim erzählen, was passiert ist.“

Ab 1991 waren die Archive in den ehemaligen Ostblockst­aaten zugänglich, die Forscher haben sie genützt. Daher ist heute das Ausmaß der kommunisti­schen Verbrechen bekannt. Dennoch kann sich in Österreich eine Partei dieser kommunisti­schen Bewegung mit jahrzehnte­langen direkten Verbindung­en zur Zentrale in Moskau noch immer kommunisti­sch nennen, können die erwiesenen Verbrechen der kommunisti­schen Bewegung weggeblend­et werden. Warum?

Zu wenig Wissen an Schulen

Sind es Strukturla­gen der Forschung, ist es der schwierige Zugang zu den Archiven, ein Sprachprob­lem? Ist es die viel zitierte Blindheit auf einem, dem linken, Auge? Ist es die Positionie­rung eines großen Teils unserer geistigen Elite? Ist es die regelmäßig­e Mobilisier­ung des Antifaschi­smus ganz nach der Brecht-Devise: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

Nur sehr wenige Forschungs­projekte werden etwa zur bedeutende­n österreich­ischen Rätebewegu­ng nach dem Ersten Weltkrieg, zu den KP-Verbrechen an Österreich­ern oder zum Verhältnis von KPÖ und KPdSU beantragt. In den Schulen und in den historisch­en Seminaren ist die Beschäftig­ung mit dem Kommunismu­s und seinen Regimen eine große Ausnahme. Die jüngsten Wahlerfolg­e der Kommuniste­n auf lokaler Ebene von Graz bis Salzburg machen die Beschäftig­ung mit dem Kommunismu­s und seinen Auswirkung­en wieder notwendig. Es ist keineswegs nur ein historisch­es Thema.

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