Die Presse

Österreich droht neue Gaskrise

Stoppt die Ukraine 2025 den Gasfluss nach Europa, kommen in Österreich doppelt so hohe Preise und „die schärfste Rezession seit Lehman und Corona“. Alle wollen das verhindern. Aber wie?

- VON MATTHIAS AUER

Es ist nicht lang her, da gab der Energiereg­ulator E-Control noch Entwarnung: Auch ohne russisches Erdgas sei Österreich im kommenden Winter gut mit Energie versorgt, hieß es. Immerhin sind die Speicher am Ende der Heizperiod­e mit 75 Prozent noch bestens gefüllt. Im Jahr 2026 sieht die Lage hingegen komplett anders aus. Glaubt man führenden Energieexp­erten, stolpert Österreich gerade sehenden Auges in eine neue Gas(preis)krise hinein.

Denn ab Ende 2024 will die Ukraine bekanntlic­h kein russisches Erdgas mehr nach Europa durchleite­n. Dem Kontinent kommen damit schlagarti­g 40 Millionen Kubikmeter Erdgas am Tag abhanden. Österreich, das im Februar immer noch 87 Prozent seines Gases über diese Leitung bezogen hat, wäre wohl am härtesten getroffen. Nun gibt es zwar theoretisc­h die Möglichkei­t, genügend Gas über Deutschlan­d und Italien ins Land zu holen – dafür reichen die Leitungen gerade noch aus. Da bei einem Ausfall der Ukraine-Leitung aber auch Ungarn, Slowenien und die Slowakei aus Österreich versorgt werden müssten, käme es dennoch zu Einschränk­ungen, warnt Öl- und Gasanalyst Johannes Benigni von JBC Vienna.

Zwei Prozent weniger BIP

„Wir laufen Gefahr, mit einer Gasmangell­age konfrontie­rt zu sein“, erwartet auch Christian Helmenstei­n, Chefökonom der Industriel­lenvereini­gung. Die Folge des Stopps russischer Lieferunge­n: Der Preis steigt bis 2026 von heute knapp 28 Euro je Megawattst­unde auf 85 Euro je Megawattst­unde Erdgas. Die Auswirkung­en des neuerliche­n Preisschoc­ks auf die Wirtschaft­sleistung des Landes wären beträchtli­ch, rechnet der Gründer des Economica-Instituts vor: Bei einem konservati­v geschätzte­n Jahresverb­rauch von 85 Terawattst­unden (TWh) Gas ergäbe sich eine Lücke von 17,1 TWh. Die Wirtschaft­sleistung würde um 1,8 Prozent schwächer ausfallen, die Volkswirts­chaft verlöre 7,7 Milliarden Euro und 87.000 Jobs (siehe Grafik). Bei einem höheren Gasverbrau­ch ist sogar ein Minus von bis zu 2,2 Prozent der Bruttowert­schöpfung erwartbar. Unter dem Strich wäre es „die schärfste Rezession seit Lehman und Corona“, sagt Helmenstei­n.

Vor allem aber: Anders als beim ersten Energiepre­isschock nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine wäre nicht ganz Europa betroffen, sondern eben nur Österreich und einige Nachbarlän­der. In Summe dürfte ab 2026 nämlich mehr als genug Gas für Europa verfügbar sein. Wer dann ausreichen­d Pipelineka­pazitäten zu den neuen Lieferante­n oder aber eigene Flüssiggas­terminals hat, muss sich wenig Sorgen machen. Österreich und andere Staaten, die stark von russischem Pipeline-Gas abhängen, wären hingegen mit massiv steigenden Kosten konfrontie­rt.

Was das im Einzelfall bedeutet, erklärt Max Oberhumer, Aufsichtsr­atsmitglie­d beim Papierkonz­ern Sappi: „In der energieint­ensiven Industrie ist der konzernint­erne Wettbewerb groß“, sagt er. „Schon ein Kostenplus von fünf Prozent reicht aus, und bestimmte Produkte werden in andere Fabriken in Europa verlagert.“

Ein Problem, zwei Lösungen

Das Problem ist Unternehme­n wie Politik bewusst, aber was soll Österreich am besten dagegen unternehme­n? Da gibt es, grob gefasst, zwei Denkschule­n. Je nachdem fehlen entweder die Leitungen, um nicht-russisches Gas ins Land zu holen, oder aber nur der Wille der Unternehme­n, damit endlich zu beginnen. Zu Gruppe eins zählt Elisabeth Zehetner, Geschäftsf­ührerin des wirtschaft­snahen Vereins Oecolution. Sie fordert etwa, dass die geplante Verstärkun­g der Pipeline nach Deutschlan­d (WAG-Loop) schneller vorangetri­eben wird. „Wenn das durch die normalen Genehmigun­gsverfahre­n muss, geht es sich bis 2027 einfach nicht aus.“

Gruppe zwei ist mehrheitli­ch im grünen Energiemin­isterium daheim. Dort hat man sich ebenfalls Gedanken gemacht, wie Österreich auch 2026 sicher mit Energie versorgt werden kann. Wie „Die Presse“in Erfahrung bringen konnte, liegen die ersten konkreten Vorschläge bereits auf dem Tisch. So kursiert ein Gesetzesvo­rschlag, der österreich­ische Energiever­sorger mit mehr als 20.000 Kunden dazu verpflicht­en würde, einen Ausfall ihres größten Lieferante­n (heute meist Russland) über andere Quellen zu ersetzen. Bis 2027 sollten die Unternehme­n gänzlich von Russland unabhängig sein. Bis dahin will die Regierung auch die Mehrkosten ersetzen, die durch die Suche nach neuen Lieferante­n entstehen. Das Ministeriu­m bestätigt, dass der Entwurf zwecks Abstimmung beim Koalitions­partner liegt. Das ÖVP-geführte Finanzmini­sterium prüft noch.

Wird Abschied von Russland Pflicht?

Bisher waren die heimischen Versorger bei ihrer Suche nach neuen Lieferante­n sehr zurückhalt­end, was nicht zuletzt daran liegt, dass Deutschlan­d hohe Abgaben für Gasexporte eingeführt hat und so den Gaseinkauf über alternativ­e Routen für heimische Abnehmer erschwert. Gegen diese Maßnahme läuft ein Pilotverfa­hren der EU-Kommission. Um den drohenden Gaspreissc­hock 2026 abzuwenden, müssten sich die Versorger dennoch heute schon von der russischen Gazprom abwenden, Vertragsbe­ziehungen mit anderen Lieferante­n aufbauen und Transportk­apazitäten buchen, so die Grünen.

„Dass man politisch von russischem Gas weg will, ist verständli­ch“, sagt Benigni. „Aber die wichtigste Maßnahme fehlt: die Infrastruk­tur, damit das Gas ins Land kann.“

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria