Fürsorgepflicht: Wer gilt als „Arbeitgeber“?
Sind nur die Topmanager eines Unternehmens in der Arbeitgeberrolle – oder auch andere Vorgesetzte, wenn es um das Abstellen von Belästigungen geht? Darüber hatte das OLG Wien zu entscheiden.
Arbeitgeber haben für ihre Beschäftigten eine Fürsorgepflicht. Aber wer im Betrieb ist dafür verantwortlich? Muss man sich, wenn man von einem Missstand betroffen ist, bis zur organisatorisch zuständigen Stelle durchfragen?
Selbst das kann strittig werden. Das zeigt ein aktueller Fall, den das Oberlandesgericht Wien (OLG) entschieden hat. Es ging um eine Kellnerin in einem Catering-Betrieb. Sie war vom Servicemanager durch sexistische Aussagen beleidigt worden. Und wandte sich an dessen Stellvertreter, der ebenfalls als ihr Vorgesetzter fungierte. Dieser versprach ihr zwar, er werde die Personalleiterin informieren – doch eine Rückmeldung erfolgte nie. Einem anderen Mitarbeiter, dem Lebensgefährten der Kellnerin, gab der Stellvertreter zu verstehen, es habe wenig Sinn, den Beleidiger zur Rede zu stellen: „Er ist so einer, lass es, er macht das öfter.“
Die Kellnerin wandte sich an die AK und klagte mit deren Unterstützung Schadenersatz nach dem Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) ein. Und zwar nicht nur gegen den Belästiger – dieser musste 2500 Euro zahlen. Sondern auch gegen das Unternehmen, weil dieses keine Abhilfe geschaffen habe.
Das Unternehmen argumentierte, es sei nie aufgefordert worden, wegen einer allfälligen sexuellen Belästigung Schritte einzuleiten. Ein Ersuchen um Abhilfe laut Gleichbehandlungsgesetz sei an „den Arbeitgeber“zu richten – bei einer juristischen Person also an die vertretungsbefugten Organe oder an jene Person, die der Arbeitgeber mit der Wahrnehmung der Fürsorgepflicht betraut habe.
Haftung auch für „Gehilfen“
Diese Befugnisse hätten im konkreten Fall nur die Geschäftsleitung und die für das Personal zuständigen Vorgesetzten. Die Mitarbeiterin habe den Vorfall jedoch nur dem stellvertretenden Servicemanager erzählt – und dieser sei nicht dem „Arbeitgeber“zuzurechnen. Eine Meldung an zuständige Vorgesetzte sei somit nicht erfolgt.
Das ist der Punkt, an dem die
Causa generell für Fälle Relevanz bekommt, in denen es um die Fürsorgepflicht geht. Das OLG erteilte – gestützt auf OGH-Judikatur – der Rechtsansicht des Unternehmens eine Absage: Die Haftung für unterlassene Abhilfe greift demnach, wenn dem Arbeitgeber „die Abhilfe gebietende Situation entweder bekannt oder erkennbar“ist und er nichts dagegen unternimmt. Als Arbeitgeber sei dabei jede Person anzusehen, „die im Rahmen des Arbeitsvertrags über die Arbeitskraft einer anderen Person verfügt“.
Neben den vertretungsbefugten Organen zählt demnach etwa auch ein „faktischer Chef “dazu. Und ebenso Gehilfen, an die das Unternehmen die Erfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten ausdrücklich oder stillschweigend delegiert hat. Stehen Handlungen solcher Personen in einem inneren Zusammenhang mit der Fürsorgepflicht, seien diese somit ebenfalls dem Arbeitgeber zuzurechnen. Und werde jemandem eine Vorgesetztenfunktion eingeräumt, werde auch die Fürsorgepflicht zumindest teilweise auf diese Person übertragen. Fazit: Der Arbeitgeber haftet für die unterbliebene Abhilfe. Er muss der Mitarbeiterin 2000 Euro Schadenersatz zahlen.
Haftungsregeln nachschärfen?
Die ordentliche Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen, eine außerordentliche Revision wäre theoretisch noch möglich. Die AK sieht sich indes in ihrer Forderung bestätigt, die gesetzlichen Haftungsregelungen nachzuschärfen: Der Schadenersatz, den Unternehmen laut Gleichbehandlungsgesetz leisten müssen, wenn sie bei sexuellen Belästigungen keine Abhilfe schaffen, solle auf 5000 Euro erhöht werden, falls es im Betrieb kein Präventionskonzept gibt. „Besonders erschütternd“sei die Aussage des stellvertretenden Vorgesetzten gewesen, man solle die Sache auf sich beruhen lassen, „weil der Täter halt so sei“, konstatiert AK-Arbeitsrechtsexperte Ludwig Dvořák. „Wenn das kein Einzelfall war, muss der Arbeitgeber umso dringender etwas dagegen tun.“(cka)