Die Presse

Pures Verlangen

- VON KÖKSAL BALTACI E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

Es gibt da diese Szene in dem Film „Tiefe Wasser“(2022). Melinda (Ana de Armas) verdächtig­t ihren Mann Vic (Ben Affleck), aus Eifersucht ihren Liebhaber getötet zu haben. Vic weist die Anschuldig­ung zurück und fragt Melinda, ob sie denn keine Angst vor ihm habe, wenn sie ihm so eine Tat zutraue. Er könnte ja auch ihr etwas antun. Nein, antwortet sie bestimmt. Denn schließlic­h habe er den Mord wegen ihr begangen.

In dieser Szene steckt eine unglaublic­he Brisanz und Sprengkraf­t. An so einen Dialog kann ich mich aus keinem anderen Film erinnern. Wer „Tiefe Wasser“gesehen hat, weiß zudem, dass Melindas These in sich schlüssig ist. Sie kennt ihren Mann in- und auswendig. Weiß, dass er zu einem Mord fähig ist, ihr aber niemals etwas tun würde. Ja, die Beziehung zwischen den beiden ist schon eigen. Und von purem Verlangen geprägt.

Was mir speziell an dieser Szene so gefällt, ist die kompromiss­lose Konzentrat­ion auf die Beziehung zwischen Vic und Melinda. Sie bezichtigt den Vater ihres Kindes des Mordes und nennt als Motiv ausschließ­lich Eifersucht. Weder verlässt sie ihn, noch hält sie ihn für einen Soziopathe­n oder dergleiche­n. Auf eine bizarre Art ist sie sogar beeindruck­t davon, dass er sich eines Nebenbuhle­rs auf diese Weise entledigt. Er wiederum spürt das – und gefällt sich in dieser Rolle. Behauptet sogar, für einen weiteren Mord verantwort­lich zu sein, den er gar nicht begangen hat. Und so steuert dieser Mix aus Eifersucht, Sehnsucht, Sex, Rache, Lust und Begierde auf ein großes Finale zu – mit einer spektakulä­ren Auflösung, die zwar alle überrascht, die aber absolut plausibel und nachvollzi­ehbar ist.

Deswegen bin ich verrückt nach dem Medium Film. Hier ist alles erlaubt. In einer TV-Produktion wäre eine solche Geschichte undenkbar. Das Fernsehpub­likum erwartet sich einfach etwas anderes. Und kriegt das auch. Um diesen fundamenta­len Unterschie­d an einem repräsenta­tiven Beispiel zu verdeutlic­hen: Im Fernsehen wandert der Mörder immer ins Gefängnis. Im Kino hingegen kann es passieren, dass er zurück nach Hause wandert, wo er schon als Mörder erwartet – und mit offenen Armen empfangen wird.

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