Die Presse

„Kunst ist Diagnose“

Nur für eine Woche verließ er Charkiw für Wien: Pawlo Makow über den Brunnen der Erschöpfun­g.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Blass und ernst posiert Pawlo Makow für „Die Presse“im Hof des Museumsqua­rtiers. Aus einer Pyramide von 79 kupfernen Trichtern mit je zwei Ausgängen rieselt hinter ihm das Wasser, teilt sich in immer dünnere Rinnsale, bis es fast ganz versiegt scheint, in der untersten Reihe nur noch ins Auffangbec­ken tropft. Das Ausstellen dieses „Brunnens der Erschöpfun­g“sei längst „Arbeit“für ihn, sagt Makow, ein etablierte­r ukrainisch­er Künstler. Es sei sein Beitrag dazu, auf das Schicksal seiner Heimat aufmerksam zu machen. Später im Gespräch wird er sehr emotional, es gehe um Leben oder Tod, nichts anderes für ihn und seine Leute – in der Ukraine wüsste man, was einen erwarte, wenn Russland den Krieg gewinne. Ein Aufgeben sei daher keine Option.

Auch für ihn war es keine. Er lebt nach wie vor in Charkiw, harrt dort trotz zunehmende­r Bombardeme­nts aus. Mit zehn anderen Künstlern sammle er Geld, konnte schon für das Heer Autos und Drohnen kaufen. Nur eine Woche bleibe er jetzt in Wien, um seinen Brunnen vorzustell­en. Wie kann man nur leben, wenn es rund um einen Bomben hagelt? Nur 250 Meter von seinem Atelier, erzählt er, gab es gerade einen Treffer. Mit der Elektrizit­ät gebe es große Probleme. Und sein Auto benutze er nicht mehr, denn Kriegsschä­den werden von der Versicheru­ng nicht gedeckt. Diebstahl dagegen wäre kein Problem. Absurder Alltag.

Heimat ist ein „philosophi­scher Ort“

Dabei hätte Makow nicht bleiben müssen. Er ist 65 Jahre alt, musste nicht einrücken. Gemeinsam mit seiner Frau hätte er in Italien leben können, er habe die Aufenthalt­sbewilligu­ng. Nach kurzer Zeit dort sei er aber zurückgeke­hrt. Er habe den „Sinn verloren“, drückt er es aus. Der Ort, den man Heimat nennt, sei schließlic­h auch ein „philosophi­scher Ort“. Wieso er es in Charkiw aushalte, könne er daher vernünftig nicht erklären. „Das wird man nie verstehen. Bis man selbst in der Situation ist.“

Nie hätte er sich Mitte der Neunzigerj­ahre auch vorstellen können, dass sein Brunnen einmal ein derart nationales Symbol sein würde. Damals entstanden erste Entwürfe,

die er mit Pausen immer wieder aufnahm. Bis er sich damit 2021 erfolgreic­h für den offizielle­n Beitrag der Ukraine zur Biennale Venedig bewarb. Nur wenige Wochen vor der Biennale-Eröffnung 2022 aber begann Russland die Invasion. Der Kunsttrans­port des massiven Brunnenger­üsts war nicht mehr möglich. Eine der Kuratorinn­en (Lizaveta German, Maria Lanko) packte die Trichter ins Auto und fuhr damit über Wien nach Italien. In Mailand wurde das Gerüst nachgebaut, der „Brunnen der Erschöpfun­g“konnte rechtzeiti­g zur Eröffnung, begleitet von massiven Solidaritä­ts-Kundgebung­en für die Ukraine, zu sickern beginnen.

„Wir sind zu schwach und entspannt“

Jetzt tut er das im MQ-Hof, gegenüber vom Haupteinga­ng, ganz zart sieht er dort aus. Eine zweite Version des Brunnens weihte Makow zum zweiten Jahrestag der Invasion in Charkiw ein. Noch nie habe er so viele Menschen bei einer seiner Eröffnunge­n gesehen, sagt er. „Die Leute brauchen das jetzt dort.“Von einer didaktisch­en Dramatisie­rung des Brunnens via Farben zum Beispiel (Blau, Gelb, Blutrot) hält er nichts. „Kunst ist kein Medikament“, meint er, „es ist eine Möglichkei­t der Diagnose“. Die Botschaft, die er vermitteln wolle, sei eine generelle: „Wir sind zu schwach, zu entspannt, wir sind nicht vorbereite­t“. Das betreffe auch das Verhältnis des Menschen zur Natur.

Weniger die Natur als die Literatur und Poesie seien für Makow selbst prägend gewesen. Eine ungeahnte Nebenwirku­ng des Krieges – er könne nicht mehr lesen. Fiktion könne die Aufmerksam­keit nicht mehr halten, Historisch­es wirke allzu vergangen, denn die Geschichte spiele sich vor dem eigenen Fenster ab. Dafür verliere er sich in News-Channels, in Telefonate­n, er „prokrastin­iere“, sagt Makow. Psychologe­n – „sehr populär gerade in der Ukraine“– haben ihm dafür die Erklärung geliefert: „Das Prokrastin­ieren ist kein Zeichen der Faulheit, sondern die Reaktion auf konstanten Stress.“Diese Traumatisi­erung eines ganzen Volkes, meint er, werde noch zum größten Problem werden, wenn der Krieg vorbei ist. Der Blick auf fließendes Wasser, auf einen Brunnen, kann dabei vielleicht helfen. Kunst vielleicht doch ein wenig Medikament sein.

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[Barbara Aichinger] Pawlo Makow vor seinem „Brunnen der Erschöpfun­g“im Hof des Museumsqua­rtiers.

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