Die Presse

Wir wecken uns selbst

Ich verdiene, wenn ich Glück habe, in einem Monat so viel wie so ein Radiomoder­ator an einem Tag.

- VON EGYD GSTÄTTNER Egyd Gstättner

Niemals in meinem Leben habe ich einen „Ö3-Wecker“gehört: Als Dichter schlafe ich mein Leben lang so lang, wie ich will und kann: Mich wecken die Sonne, meine Katze oder meine Frau. Die senile Bettflucht kommt auch ohne öffentlich-rechtliche­n Staatsfunk früh genug! Gerade am Morgen wären Geplapper und Geschwätz Gift für mein Seelenheil! Zum Frühstück brauche ich keine Staumeldun­gen aus Niederöste­rreich.

Radiomoder­atoren kenne ich nicht einmal dem Namen nach: Wozu sollte ich? Zwar verdiene ich, wenn ich Glück habe, in einem Monat so viel wie so ein Radiomoder­ator an einem Tag – und obwohl ich, wie in Diktaturen üblich, bei Strafandro­hung sein Supersuper­salär zwangsweis­e mitfinanzi­eren muss, habe ich weniger Burn-out und Depression­en als er. Nominell leben wir in einer Demokratie. Das heißt: Das Volk regiert sich selbst. Tatsächlic­h hat, wie jeder weiß, das Volk, der „Souverän“, nicht den geringsten Einfluss, weder in der großen Politik noch auch nur in solchen administra­tiven Alltagsfra­gen wie der Zwangshaus­haltsabgab­e. Der Begriff „Demokratie“– in Massenmedi­en nach wie vor beschworen – ist zur Beschreibu­ng unserer Politik, unseres politische­n Systems tatsächlic­h nicht mehr angemessen, sondern nur noch eine zynische Geste, mit der eine zutiefst manipulati­ve Politik getarnt werden soll.

Ich höre seit dem 20. Jahrhunder­t überhaupt kein Radio mehr – im Grunde, seit der ORF wegen des eisernen Sparkurses keine Hörspiele und keine Funkerzähl­ungen mehr von mir produziert. (Das Wort Kulturauft­rag darf man ja heute nicht mehr verwenden!)

Fern sehe ich manchmal zwangsläuf­ig noch ein bisschen, weil ich abends umgekehrt meine Frau, die bei den Wiederholu­ngen auf der Couch immer einschläft, wecken muss. Aber immer, wenn ich dann auf den Bildschirm schaue, läuft Werbung, meistens Eigenwerbu­ng des Senders: „Besser leben mit dem ORF“höre ich da jedes Mal von irgendeine­m jubelnden ORF-Mitarbeite­r; und das glaube ich gern! Bescheiden­heit ist eine Zier – besser lebt es sich als Vampir! (Ich habe daraus gelernt: Deswegen fangen auch nicht nur alle meine Glossen, sondern auch alle meine Bücher bekanntlic­h mit dem Satz „Ich bin der Beste, Größte und Schönste!“an.)

So oder so: Zehn bis zwanzig Cent wird mein Konsum des öffentlich-rechtlich-unabhängig­en Senders wohl wert sein. Nachrichte­nsendungen schaue ich mir zum Beispiel keine mehr an. Was sollte es mir auch nützen, wenn ich dabei zusähe, wie sich zwei Gagenkaise­r, einer Moderator, einer Politiker, in den Nachrichte­n öffentlich streiten, wer von beiden denn wohl mehr verdient? Bei den seltenen Fußballsen­dungen schalte ich den Ton ab, bei Skirennen Ton und Bild. (Die Freiheit ist ein hohes Gut!)

Diktatur für jedermann!

Die Zwangsgebü­hren wird man als Souverän nicht so schnell wegbekomme­n wie letztens das Zwangsimpf­ungsgesetz – denn da geht es um viel Zwangsgeld (und bei Zwangsgeld hört sich in einer Diktatur der Spaß auf!). Aber ich denke, man sollte dringend auch eine Zwangsanst­ellung beim ORF für die gesamte Bevölkerun­g durchsetze­n – (inklusive Zwangsspit­zengehalt, versteht sich!) –, und ich denke nicht nur an die ständigen aktiven Mitarbeite­r, sondern an alle, die theoretisc­h welche sein könnten: Jeder könnte schließlic­h bei einer Straßenbef­ragung vorkommen, eine Gratiswort­spende in „Bundesland heute“abgeben oder im gefilmten Publikum eines Frauenbund­esligaspie­ls sitzen! Diktatur darf nicht nur für die Diktatoren (und Diktatorin­nen) da sein! Was wir brauchen, ist Diktatur für jedermann! Macht braucht Unverschäm­theit!

(*1962 in Klagenfurt) ist Autor, Gestalter von Features für den Rundfunk, Theatermac­her und Kolumnist. Zuletzt ist von ihm erschienen: „Ich bin Kaiser“(Picus, 2022).

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