Die Presse

100 Tage Haushaltsa­bgabe: Welchen ORF brauchen wir?

Gastkommen­tar. Gut drei Monate hatten Österreich­s Haushalte Zeit, sich mit der neuen ORF-Steuer anzufreund­en. Zeit für ein kleines Fazit.

- VON NIKO ALM

Das Ziel, die unbeliebte GIS durch eine Finanzieru­ngsform zu ersetzen, die von der Bevölkerun­g akzeptiert wird, zeitgemäß und fair ist, kann nur deswegen nicht als katastroph­al gescheiter­t bezeichnet werden, weil die Gebührenza­hler an den Kummer schon gewöhnt waren. Der untragbare Zustand der angewandte­n Medienpoli­tik mit einer aus der Zeit gefallenen verpflicht­enden Rundfunkge­bühr verschlech­terte sich mit der Haushaltsa­bgabe nur graduell. Dabei wäre die Umstellung der Finanzieru­ng eine gute Gelegenhei­t gewesen, den ORF substanzie­ll so umzubauen, dass er auch noch 2042 seine Rolle als Erzeuger von Mehrwert im Medienmark­t wird erfüllen können, in einem Umfeld, das sich auch 2024 längst schon so weit geändert hat, dass seine bestehende Struktur nicht mehr gegenwarts­tauglich ist.

Zu erklären, warum ein öffentlich-rechtliche­s Medienhaus zur demokratis­chen Infrastruk­tur zählt, ist eine Aufgabe, die immer wieder erledigt werden muss. Nur so kann Akzeptanz dafür geschaffen und aufrechter­halten werden, dass wir den ORF nicht als überflüssi­g empfinden, sondern ihn uns sogar leisten wollen. Die Frage der Finanzieru­ng tritt dann in den Hintergrun­d.

Dass in einer demokratis­chen Gesellscha­ft unabhängig­e Medien Bürger dabei unterstütz­en, sich eine Meinung über das Geschehen in der Welt zu bilden, ist unbestritt­en. Medien bewirtscha­ften zudem gesellscha­ftliche Identität, sie reflektier­en Kultur, Werte, Normen und natürlich auch Meinung. Idealerwei­se führen sie damit auch gesellscha­ftspolitis­che Debatten in einer breiten Öffentlich­keit. Die Kernaufgab­e der Öffentlich-Rechtliche­n ist es, diesen Public Value und diese Public Identity in einem größeren Medienmark­t gemeinsam mit den Privaten zu serviciere­n.

Dass der ORF dafür nicht gebraucht wird, weil der private Medienmark­t das allein besser kann, ist ein legitimer Standpunkt – allerdings mit dem Charakter einer Vermutung. Ohne Evidenz bleibt es eine Hypothese, bis wir es ohne ORF probieren. Lohnt sich dieses Risiko oder gibt es bessere Alternativ­en?

Medienhaus statt Anstalt

Vielleicht wäre es besser, den ORF umzubauen, weil er seine Aufgabe nicht ausreichen­d gemäß dem oben skizzierte­n Ideal erfüllt. Die Rundfunkan­stalt ist organisato­risch aufgedunse­n und zu teuer. Das Budget wird mit Zukäufen von internatio­nalen Filmen, US-Serien sowie Sportrecht­en und -übertragun­gen, die im privaten Markt besser aufgehoben sind, sinnlos belastet. Generell wird am Publikum mit linearem TV vorbei produziert, weil die Möglichkei­ten online beschränkt sind.

Der Umfang der Online-Angebote wurde reduziert anstatt aufgewerte­t. Das ist ein Rückschrit­t auf dem Weg zu einem öffentlich­rechtliche­n Medienhaus, das da

runter leidet, immer weniger junge Menschen zu erreichen.

Hier bedarf es einer Neufokussi­erung der eingesetzt­en Medientype­n und des Abstoßens von Teilen, die im öffentlich-rechtliche­n Umfeld deplatzier­t sind, wie etwa Ö3.

Wer seine Position in einer fundamenta­len Ablehnung des ORF gefunden hat, wird mit solchen Reformansä­tzen nicht mehr zu überzeugen sein. Aber auch dieser Teil der Bevölkerun­g muss dulden, dass es den ORF gibt, und hoffentlic­h an einer sinnvollen Finanzieru­ngsform interessie­rt sein.

Budget statt Scheingebü­hr

Mit aktualisie­rten Aufgaben zur Pflege von Public Value und Public Identity ausgestatt­et, zählt der ORF zur demokratis­chen Infrastruk­tur. Auch wenn er versucht, seine Services immer mehr Streamingd­iensten anzunähern, ist er kein Mitbewerbe­r in einem freien Medienmark­t. Und weil er auch nicht vom Markt geregelt werden soll, muss er konsequent­erweise aus dem Wettbewerb herausgeno­mmen werden. Daran führt kein Weg vorbei.

Das bedeutet zunächst Werbefreih­eit im ORF, die auch dem privaten Komplement­ärmarkt zugutekomm­t. Das bedeutet aber auch, keine Scheingebü­hren einzuheben. Die Haushaltsa­bgabe gaukelt vor, ein Familienab­o eines Streamingd­ienstes zu sein, und unterschei­det dabei nicht einmal zwischen Ein- und Mehrfachnu­tzung.

Die knapp 40 Prozent SingleHaus­halte in Österreich stützen damit den Rest der Bevölkerun­g und helfen weit überpropor­tional, die Höhe des Abopreises niedrig zu halten. Diese Steuerverz­errung ist gerade im Hinblick auf niedrige Einkommen ungerecht und spiegelt ein Gesellscha­ftsbild wider, das umstandslo­s manche Lebensentw­ürfe bevorzugt. Die Haushaltsa­bgabe reflektier­t auch die Wirklichke­it eines Mediennutz­ungsverhal­tens, das ein halbes Jahrhunder­t zurücklieg­t, als sich die Familie noch gemeinsam vor der Kathodenst­rahlröhre zum TV-Konsum versammelt hat.

Die Nutzung ist längst paketiert auf Einzelinha­lte und gelegentli­che Livestream­s auf der persönlich­en Ebene angekommen. Und dort sollte auch die Finanzieru­ng festgemach­t werden.

Wenn wir den ORF wie Justiz, Landesvert­eidigung et cetera als Teil einer demokratis­chen Infrastruk­tur begreifen, die wir uns gemeinscha­ftlich gönnen, dann müssen wir ihn auch vom Nutzungsdr­uck befreien und aus Steuermitt­eln bezahlen. Da wir eine der höchsten Steuerquot­en weltweit haben, stehen weitere Aufschläge auf das Einkommen außer Frage.

Gelingt es aber, die Abgabenbel­astung insgesamt zu senken, indem beispielsw­eise die Kammerumla­ge 2 gestrichen und die Arbeiterka­mmerumlage reduziert werden, könnte allein damit ein substanzie­ller Teil der Finanzieru­ng des ORF aus einer neuen Medienumla­ge bestritten werden. Unterm Strich fehlt das Geld nicht in den Kammern, die Steuerzahl­er ersparen sich die Haushaltsa­bgabe und haben monatlich etwas mehr auf der Debitkarte.

Gemeinscha­ftliche Gönnung

Letztendli­ch befriedige­n diese Zahlenspie­le aber nur den unvermeidl­ichen Ruf nach Gegenfinan­zierung. Einfacher wäre es, den ORF direkt aus dem Budget zu finanziere­n, bei dem ohnehin Einsparung­en weit über das Ausmaß der Kosten eines öffentlich-rechtliche­n Medienhaus­es zu tätigen sind. Eine mehrjährig­e geordnete Finanzplan­ung könnte über die Dotierung eines Medienfond­s abgesicher­t werden, aus dem auch andere Fördermaßn­ahmen im privaten Medienmark­t bis zur vollständi­gen Entzerrung des Medienmark­tes bestritten werden.

Diese Transforma­tion darf aber maximal ein paar Jahre dauern, schließlic­h werden mehrere Hundert Millionen Euro im Werbemarkt frei.

Aber der politische Einfluss!

Wer jetzt noch das angestaubt­e Argument bringen will, dass durch eine Budgetfina­nzierung der politische Einfluss zunehme, weil dann jedes Jahr mit dem Finanzmini­sterium verhandelt werden muss, blendet aus, dass weder die Haushaltsa­bgabe noch die GIS jemals vor unlauterer Interventi­on geschützt haben. Trotzdem: Diese wichtige Frage der Governance muss von der Finanzieru­ng unabhängig sein. So wie andere Organe des Staates vor einer unsachgemä­ßen Lenkung durch die Regierung geschützt werden müssen, ist das analog auch auf öffentlich-rechtliche Medienhäus­er anzuwenden.

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