Die Presse

Gehört geöffnet: Läden sollten durchgehen­d offen sein dürfen

Wer den stationäre­n Handel retten will, sollte Öffnungsze­iten liberalisi­eren – gerade in einem von Tourismus und Freizeitwi­rtschaft geprägten Land.

- VON THOMAS WEBER Morgen in „Quergeschr­ieben“: Christian Ortner

Ich arbeite gern, genieße aber die Sonntagsru­he wie wenig sonst (mitunter sogar zum ungestörte­n Schreiben, also um mit Muße zu arbeiten). An Wochenende­n pilgere ich regelmäßig tief in den Wald und genieße die göttliche Ruhe abseits der frequentie­rten Trampelpfa­de, wo mir höchstens am Waldrand ein Bauer beim Kontrollie­ren seiner Bewässerun­gsrohre begegnet. Die Abgeschied­enheit lässt mich durchatmen, macht den Kopf frei. Auch die Konsumfrei­heit fühlt sich gut an. An einem Sonntag ein Einkaufsze­ntrum zu besuchen, käme mir nie in den Sinn; auch wenn das östlich von Wien in Bratislava bequem in Reichweite wäre. Werbung dafür, dort an Sonn- und unseren Feiertagen „stressfrei einzukaufe­n“, kommt mir beim Radiohören immer wieder unter. Es dürfte also genügend Mitmensche­n geben, bei denen solche Lockrufe nicht unerhört verhallen.

Eingekauft habe ich an Sonntagen trotzdem schon – online im Imkershop, Werkzeug auf Willhaben oder Bücher per Mail an meine Buchhändle­rin. Manchmal antwortet sie mir gleich. Sie steht zwar nicht im Laden, doch auch sie erledigt am Sonntag Büroarbeit. Auch den Murauer Laib, den ich mir vor meinen ausgedehnt­en Waldgängen gern gönne – ein herrlich saftiges Roggenbrot, ohne Hefe auf Sauerteigb­asis gebacken –, hole ich mir frisch vom Bäcker, wo ich bereits frühmorgen­s freundlich bedient werde. Zu behaupten, der Sonntag wäre allgemein arbeitsfre­i, ist also, genau: nicht mehr als eine Behauptung, die weiten Teilen der Bevölkerun­g weltfremd erscheinen muss. Ich denke an den Pizzaboten, die Eisverkäuf­erin, den Radiomoder­ator, den Museumsgui­de, die Souffleuse, die auch an Sonntagen einspringt und einsagt. Und obwohl ich mich freue, der Polizistin oder der Ärztin an Wochenende­n nicht über den Weg zu laufen, bin ich doch froh, dass auch sie Wochenendd­ienste versehen und den gesellscha­ftlichen Laden am Laufen halten.

Alles x-mal durchdisku­tiert, ich weiß. Trotzdem sollten wir uns bei den Ladenöffnu­ngszeiten fragen, ob wir damit nicht bloß für sakrosankt erklärte Gewohnheit­en fortschrei­ben. Die Beschränku­ng der Öffnungsze­iten bringt den stationäre­n Handel unter Druck, seit das 24/7-Onlineange­bot breit angenommen wird. Der Onlineshop liegt schließlic­h näher als Bratislava. Und die sonntags geöffneten Supermärkt­e auf Hauptbahnh­öfen dienen sehr offensicht­lich nicht allein aus dem Urlaub Heimgekehr­ten für Grundeinkä­ufe, sondern auch zur Nahversorg­ung der Nachbarsch­aft. Bedarf wäre auch anderswo gegeben. Dass der ReweChef fordert, die gesetzlich­e Beschränku­ng von 72 auf 80 mögliche Wochenstun­den zu ändern, um in Städten bis 23 Uhr und ab sechs Uhr aufsperren zu können, ist nachvollzi­ehbar. Dass die Gewerkscha­ft abwehrend reagiert, ebenso. Die Rollen sind klar verteilt. Dabei ist es richtig, Erholungsu­nd Ruhephasen gewerkscha­ftlich abzusicher­n und sich vielleicht sogar für deren Ausweitung starkzumac­hen. Sich dabei allerdings auf einen bestimmten Wochentag zu versteifen, der sich einzig aus der Tradition ableiten lässt, ist antiquiert und als unternehme­rische Benachteil­igung unhaltbar. Zumal für den real existieren­den Mitbewerb im Netz keinerlei Einschränk­ungen gelten.

Für den real existieren­den Mitbewerb im Netz gelten keinerlei Einschränk­ungen.

Wenn der Rewe-Chef aber meint, sonntags solle ruhig geschlosse­n bleiben („Es ist der Tag der Familie“), dann klingt das eher wie eine Schutzbeha­uptung. Aus anderen Ländern ist bekannt, dass es sich für Supermärkt­e manchmal nicht rechnet, am Sonntag aufzusperr­en. Was wiederum unabhängig­en kleinen Läden eine Chance bietet, sich zu behaupten. Konsequent wäre es, die Öffnungsze­iten völlig freizugebe­n. Dass für Selbstbedi­enungsläde­n in Verkaufsco­ntainern („Kastlgreiß­ler“) oder Automatens­hops (wie es sie mittlerwei­le von Hohenems bis Gmunden gibt) Öffnungsze­itenbeschr­änkungen gelten, ist sowieso pure Willkür.

Mir persönlich geht nichts ab, wenn die meisten Läden auch künftig am Sonntag geschlosse­n bleiben. Aber niemand muss und alle sollten dürfen dürfen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria