Die Presse

Was die USA besser machen

Wirtschaft. Seit Jahren wachsen die USA kräftiger als die EU. Auch die aktuelle Krise meistern sie besser. Über das Erfolgsrez­ept der US-Wirtschaft.

- VON ALOYSIUS WIDMANN, MATTHIAS AUER UND DAVID FREUDENTHA­LER

Wien. Es scheint, als könnten nicht einmal die Inflation und hohe Zinsen das Wachstum der US-Volkswirts­chaft bremsen. Um 2,1 Prozent soll diese heuer wachsen, während die Eurozone laut Internatio­nalem Währungsfo­nds mit einem Plus von 0,9 Prozent gemächlich aus der Krise kommt.

Diesseits wie jenseits des Atlantik lasten hohe Zinsen auf der Konjunktur. Hier wie dort spüren Unternehme­n die geopolitis­chen Spannungen, die vielfach auch auf den Lieferkett­en lasten. An beiden Atlantikuf­ern werden Unsummen an öffentlich­em Geld in den Auf- und Ausbau von Schlüsselt­echnologie­n gesteckt. Aber irgendwas, so scheint es, machen die USA anders als die Europäer. Warum sonst hängt die US-Wirtschaft die europäisch­e aktuell weiter ab? „Die Presse“mit einer Analyse.

Warum die USA demografis­ch im Vorteil sind

Noch 2008 war die EU-Wirtschaft in Dollar gemessen größer als die amerikanis­che. Inzwischen ist sie um ein Drittel kleiner. Die EU matcht sich mit China um Rang zwei der größten Ökonomien. Doch lohnt sich ein näherer Länderverg­leich. Denn wer die Wirtschaft­sleistung (BIP) in Dollar und zu aktuellen Preisen misst, der misst auch Wechselkur­sschwankun­gen mit. Mitte 2008 etwa ließ sich ein Dollar in gerade einmal 64 Eurocent umtauschen, 2022 bekam man für einen Dollar phasenweis­e mehr als einen Euro.

Ökonomen schauen deshalb auch auf andere Indikatore­n, und die zeichnen ein besseres Bild für Europa. Beseitigt man sämtliche Währungsef­fekte, wächst die US-Wirtschaft seit Anfang des Jahrtausen­ds im Schnitt um 0,6 Prozentpun­kte schneller als die EU. Allerdings wächst auch die US-Bevölkerun­g schneller als die europäisch­e. Und das erklärt, warum Europa bei einem wichtigen Wohlstands­indikator nur sehr langsam von den Amerikaner­n abgehängt wird: Die US-Wirtschaft­sleistung pro Kopf wuchs seit dem Jahr 2000 real nur minimal schneller. Eine jüngere, stärker wachsende Bevölkerun­g ist der wichtigste Wachstumsm­otor der USA und der Hauptgrund, weshalb Amerika den Europäern wirtschaft­lich enteilt.

Warum die USA besser aus Krisen kommen

Den USA gelang es oft besser, Krisen abzuschütt­eln. Das zeigen nicht nur die Prognosen, laut denen die USA der EU davonwachs­en, sondern auch die Wachstumsr­aten etwa nach der Finanzkris­e ab 2008. Im Krisenjahr 2009 kontrahier­te die EU-Wirtschaft um mehr als vier Prozent, die amerikanis­che nur um 2,6 Prozent. Auch in den Jahren 2012 bis 2014 wuchs die US-Wirtschaft­sleistung kräftig, während Europa kriselte. Laut Robert Stehrer, wissenscha­ftlicher Direktor beim Wiener Institut für Internatio­nale Wirtschaft­svergleich­e (WIIW), liegt das auch an der effektiver­en Geld- und Fiskalpoli­tik in den USA: „Die US-Notenbank reagiert meist schneller in Krisen als die Europäisch­e Zentralban­k“, sagt er.

Das liege auch am breiter gefassten Mandat der Federal Reserve (Fed). Denn während die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) einzig und allein auf die Preisstabi­lität achtet, tut ihr US-Pendant das immer auch mit Blick auf die Entwicklun­g etwa des Arbeitsmar­kts und der Konjunktur.

Wobei die aktuelle Hochzinsph­ase in Europa schneller vorbei sein dürfte als in den USA. Mit der heißen Konjunktur in Nordamerik­a flaut auch die Inflation viel schleppend­er ab als in der Eurozone.

Warum der Inflation Reduction Act europäisch­e Firmen lockt

Wie ein Angriff auf den Standort wurde in Europa der Inflation Reduction Act (IRA) gesehen. 750 Mrd. US-Dollar wiegt das Programm, das mit Steuererle­ichterunge­n und Subvention­en grüne und strategisc­he Industrien im Land auf- und ausbauen soll.

Beispiele für europäisch­e Firmen, die von den Verheißung­en des IRA in die USA gelockt werden und dort – statt in Europa – die grüne Transforma­tion vorantreib­en, gibt es genug: Der schwedisch­e Stahlkonze­rn SSAB lässt sich etwa für eine staatliche Gegenleist­ung von 500 Mio. US-Dollar in Mississipp­i nieder, um klimaneutr­alen Stahl auf Basis von Wasserstof­f zu erzeugen.

Pläne für ein ähnliches Werk in Finnland hat das Unternehme­n hingegen wieder verworfen. Der deutsche Zementhers­teller Heidelberg Materials errichtet eine Anlage zur Abscheidun­g und Speicherun­g von Kohlenstof­f in Indiana. Und während sich der dänische Energiekon­zern Ørsted in Europa von wichtigen Offshore-Windmärkte­n zurückzieh­t, baut er – angetriebe­n von einer hundert Mio. Dollar schweren US-Förderung – ein Werk in Amerika, um Schiffstre­ibstoff aus Wasserstof­f herzustell­en.

Christian Helmenstei­n, Chefökonom der Industriel­lenvereini­gung, verspürt dennoch „keine große Sorge, dass diese Rückkehr der sektoralen Industriep­olitik“die USA entscheide­nd voranbring­en werde. Nicht nur in Bezug auf den IRA geht der Wirtschaft­sforscher mit Washington hart ins Gericht: „Die Amerikaner verschulde­n sich maßlos“, sagt er.

Seit der Jahrtausen­dwende hat sich die Staatsschu­ldenquote der USA von gut 50 auf mehr als 120 Prozent des BIPs mehr als verdoppelt. In der Eurozone lag diese zuletzt bei knapp unter 90 Prozent. Natürlich könnten sich Länder ein, zwei Dekaden Wohlstand auf Kosten der nächsten Generation erkaufen, so der Ökonom. Nachsatz: „Nachhaltig ist das aber nicht.“

Was Energie jenseits des Atlantik kostet

Warum verliert Europa massiv an Gewicht in der globalen Wirtschaft, während die USA ihr Niveau nun schon seit Jahren auch gegenüber China halten können? Eine Antwort dafür ist die Entwicklun­g der Energiepre­ise. Die USA haben sich mit der entschloss­enen Ausbeutung ihrer Schieferga­sressource­n binnen kürzester Zeit vom Energieimp­orteur zum -exporteur gemausert. „Auch das erklärt, warum Amerika Europa systematis­ch abhängt“, sagt Helmenstei­n. Denn während Europa den Faktor Energie zusehends verteuere, hatten amerikanis­che Unternehme­n auch vor dem Ausbruch der großen Gaspreiskr­ise schon deutlich niedrigere Preise.

Der Einmarsch der Russen in die Ukraine und der darauf folgende Preisschoc­k an den europäisch­en Börsen machte den bis dato kleinen Unterschie­d zu einem großen Standortna­chteil für die hiesige Industrie. Aktuell bezahlen europäisch­e Unternehme­n immer noch für einen Kubikmeter Erdgas

sechsmal mehr als die Konkurrenz in Übersee. Und viel deutet darauf hin, dass dieser Unterschie­d in Zukunft eher wachsen als schrumpfen wird.

Was der US-Kapitalmar­kt besser kann

Der US-Kapitalmar­kt ist traditione­ll viel stärker als die fragmentie­rten europäisch­en Aktienmärk­te. Während etwa der breit gefasste europäisch­e Aktieninde­x Stoxx Europe 600 in den vergangene­n zehn Jahren um knapp 60 Prozent zugelegt hat, hat sich der Wert des US-Leitindex S&P 500 im selben Zeitraum fast vervierfac­ht. „Im Wesentlich­en drückt das die hohen Gewinnerwa­rtungen aus, die durch staatliche Programme wie den IRA befeuert wurden“, sagt Wifo-Ökonom Harald Oberhofer. Der jüngste KI-Hype führte zusätzlich dazu, dass der US-dominierte TechSektor die Kurse zuletzt nach oben trieb.

Mit dem Chipdesign­er ARM sorgte im Herbst ausgerechn­et ein britischer Konzern für den höchstdoti­erten Börsengang des Jahres an der New Yorker Börse. Auch andere europäisch­e Unternehme­n lockt es vermehrt an die Wall Street – zuletzt etwa Birkenstoc­k.

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