Was die USA besser machen
Wirtschaft. Seit Jahren wachsen die USA kräftiger als die EU. Auch die aktuelle Krise meistern sie besser. Über das Erfolgsrezept der US-Wirtschaft.
Wien. Es scheint, als könnten nicht einmal die Inflation und hohe Zinsen das Wachstum der US-Volkswirtschaft bremsen. Um 2,1 Prozent soll diese heuer wachsen, während die Eurozone laut Internationalem Währungsfonds mit einem Plus von 0,9 Prozent gemächlich aus der Krise kommt.
Diesseits wie jenseits des Atlantik lasten hohe Zinsen auf der Konjunktur. Hier wie dort spüren Unternehmen die geopolitischen Spannungen, die vielfach auch auf den Lieferketten lasten. An beiden Atlantikufern werden Unsummen an öffentlichem Geld in den Auf- und Ausbau von Schlüsseltechnologien gesteckt. Aber irgendwas, so scheint es, machen die USA anders als die Europäer. Warum sonst hängt die US-Wirtschaft die europäische aktuell weiter ab? „Die Presse“mit einer Analyse.
Warum die USA demografisch im Vorteil sind
Noch 2008 war die EU-Wirtschaft in Dollar gemessen größer als die amerikanische. Inzwischen ist sie um ein Drittel kleiner. Die EU matcht sich mit China um Rang zwei der größten Ökonomien. Doch lohnt sich ein näherer Ländervergleich. Denn wer die Wirtschaftsleistung (BIP) in Dollar und zu aktuellen Preisen misst, der misst auch Wechselkursschwankungen mit. Mitte 2008 etwa ließ sich ein Dollar in gerade einmal 64 Eurocent umtauschen, 2022 bekam man für einen Dollar phasenweise mehr als einen Euro.
Ökonomen schauen deshalb auch auf andere Indikatoren, und die zeichnen ein besseres Bild für Europa. Beseitigt man sämtliche Währungseffekte, wächst die US-Wirtschaft seit Anfang des Jahrtausends im Schnitt um 0,6 Prozentpunkte schneller als die EU. Allerdings wächst auch die US-Bevölkerung schneller als die europäische. Und das erklärt, warum Europa bei einem wichtigen Wohlstandsindikator nur sehr langsam von den Amerikanern abgehängt wird: Die US-Wirtschaftsleistung pro Kopf wuchs seit dem Jahr 2000 real nur minimal schneller. Eine jüngere, stärker wachsende Bevölkerung ist der wichtigste Wachstumsmotor der USA und der Hauptgrund, weshalb Amerika den Europäern wirtschaftlich enteilt.
Warum die USA besser aus Krisen kommen
Den USA gelang es oft besser, Krisen abzuschütteln. Das zeigen nicht nur die Prognosen, laut denen die USA der EU davonwachsen, sondern auch die Wachstumsraten etwa nach der Finanzkrise ab 2008. Im Krisenjahr 2009 kontrahierte die EU-Wirtschaft um mehr als vier Prozent, die amerikanische nur um 2,6 Prozent. Auch in den Jahren 2012 bis 2014 wuchs die US-Wirtschaftsleistung kräftig, während Europa kriselte. Laut Robert Stehrer, wissenschaftlicher Direktor beim Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), liegt das auch an der effektiveren Geld- und Fiskalpolitik in den USA: „Die US-Notenbank reagiert meist schneller in Krisen als die Europäische Zentralbank“, sagt er.
Das liege auch am breiter gefassten Mandat der Federal Reserve (Fed). Denn während die Europäische Zentralbank (EZB) einzig und allein auf die Preisstabilität achtet, tut ihr US-Pendant das immer auch mit Blick auf die Entwicklung etwa des Arbeitsmarkts und der Konjunktur.
Wobei die aktuelle Hochzinsphase in Europa schneller vorbei sein dürfte als in den USA. Mit der heißen Konjunktur in Nordamerika flaut auch die Inflation viel schleppender ab als in der Eurozone.
Warum der Inflation Reduction Act europäische Firmen lockt
Wie ein Angriff auf den Standort wurde in Europa der Inflation Reduction Act (IRA) gesehen. 750 Mrd. US-Dollar wiegt das Programm, das mit Steuererleichterungen und Subventionen grüne und strategische Industrien im Land auf- und ausbauen soll.
Beispiele für europäische Firmen, die von den Verheißungen des IRA in die USA gelockt werden und dort – statt in Europa – die grüne Transformation vorantreiben, gibt es genug: Der schwedische Stahlkonzern SSAB lässt sich etwa für eine staatliche Gegenleistung von 500 Mio. US-Dollar in Mississippi nieder, um klimaneutralen Stahl auf Basis von Wasserstoff zu erzeugen.
Pläne für ein ähnliches Werk in Finnland hat das Unternehmen hingegen wieder verworfen. Der deutsche Zementhersteller Heidelberg Materials errichtet eine Anlage zur Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoff in Indiana. Und während sich der dänische Energiekonzern Ørsted in Europa von wichtigen Offshore-Windmärkten zurückzieht, baut er – angetrieben von einer hundert Mio. Dollar schweren US-Förderung – ein Werk in Amerika, um Schiffstreibstoff aus Wasserstoff herzustellen.
Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung, verspürt dennoch „keine große Sorge, dass diese Rückkehr der sektoralen Industriepolitik“die USA entscheidend voranbringen werde. Nicht nur in Bezug auf den IRA geht der Wirtschaftsforscher mit Washington hart ins Gericht: „Die Amerikaner verschulden sich maßlos“, sagt er.
Seit der Jahrtausendwende hat sich die Staatsschuldenquote der USA von gut 50 auf mehr als 120 Prozent des BIPs mehr als verdoppelt. In der Eurozone lag diese zuletzt bei knapp unter 90 Prozent. Natürlich könnten sich Länder ein, zwei Dekaden Wohlstand auf Kosten der nächsten Generation erkaufen, so der Ökonom. Nachsatz: „Nachhaltig ist das aber nicht.“
Was Energie jenseits des Atlantik kostet
Warum verliert Europa massiv an Gewicht in der globalen Wirtschaft, während die USA ihr Niveau nun schon seit Jahren auch gegenüber China halten können? Eine Antwort dafür ist die Entwicklung der Energiepreise. Die USA haben sich mit der entschlossenen Ausbeutung ihrer Schiefergasressourcen binnen kürzester Zeit vom Energieimporteur zum -exporteur gemausert. „Auch das erklärt, warum Amerika Europa systematisch abhängt“, sagt Helmenstein. Denn während Europa den Faktor Energie zusehends verteuere, hatten amerikanische Unternehmen auch vor dem Ausbruch der großen Gaspreiskrise schon deutlich niedrigere Preise.
Der Einmarsch der Russen in die Ukraine und der darauf folgende Preisschock an den europäischen Börsen machte den bis dato kleinen Unterschied zu einem großen Standortnachteil für die hiesige Industrie. Aktuell bezahlen europäische Unternehmen immer noch für einen Kubikmeter Erdgas
sechsmal mehr als die Konkurrenz in Übersee. Und viel deutet darauf hin, dass dieser Unterschied in Zukunft eher wachsen als schrumpfen wird.
Was der US-Kapitalmarkt besser kann
Der US-Kapitalmarkt ist traditionell viel stärker als die fragmentierten europäischen Aktienmärkte. Während etwa der breit gefasste europäische Aktienindex Stoxx Europe 600 in den vergangenen zehn Jahren um knapp 60 Prozent zugelegt hat, hat sich der Wert des US-Leitindex S&P 500 im selben Zeitraum fast vervierfacht. „Im Wesentlichen drückt das die hohen Gewinnerwartungen aus, die durch staatliche Programme wie den IRA befeuert wurden“, sagt Wifo-Ökonom Harald Oberhofer. Der jüngste KI-Hype führte zusätzlich dazu, dass der US-dominierte TechSektor die Kurse zuletzt nach oben trieb.
Mit dem Chipdesigner ARM sorgte im Herbst ausgerechnet ein britischer Konzern für den höchstdotierten Börsengang des Jahres an der New Yorker Börse. Auch andere europäische Unternehmen lockt es vermehrt an die Wall Street – zuletzt etwa Birkenstock.