Die Presse

„Eine Antwort auf die Aggressivi­tät Russlands“

Der französisc­he Botschafte­r Gilles Pécout spricht über Pläne, Bodentrupp­en in die Ukraine zu schicken, die schwierigs­ten Themen mit Österreich – und das hartnäckig­ste Frankreich-Klischee.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Ihre Zeit als Botschafte­r in Wien geht zu Ende, Sie wurden zum Präsidente­n der französisc­hen Nationalbi­bliothek nominiert. Was war die schwierigs­te Phase in diesen von Skandalen und Krisen dominierte­n Jahren in Österreich?

Gilles Pécout: Ich bin glücklich, den Vorsitz der drittgrößt­en Bibliothek der Welt zu übernehmen, nach fast vier Jahren in Österreich. Einem Land, das ich liebe und mit dem wir wichtige bilaterale Beziehunge­n, besonders mit Universitä­ten sowie großen kulturelle­n und wissenscha­ftlichen Einrichtun­gen, aufgebaut haben – was vor allem für die Jugend wichtig ist. Zweifelsoh­ne erlebte Österreich in diesen Jahren auch Krisen. Diese haben meine Arbeit nicht beeinträch­tigt. Als der Ukraine-Krieg ausbrach, hatte Frankreich die EU-Ratspräsid­entschaft inne, ich musste die Solidaritä­t und die strategisc­he Reaktion Europas auf den Krieg sicherstel­len. Trotz Neutralitä­t und der Bedeutung der Beziehunge­n Österreich­s mit Russland sahen wir schnell, dass die Position der österreich­ischen Regierung in Bezug auf den Konflikt klar war.

Und was hat Sie überrascht?

Als ich nach Österreich kam, war ich überzeugt, die Regierung würde nicht lang halten. Uns Franzosen ist die Tradition der Koalitione­n fremd. Aber die Koalition überlebte, selbst als Sebastian Kurz zurücktrat. Dieser Mechanismu­s wurde zum Ausweg aus der Krise. Koalitione­n als Vehikel für Demokratie­n – diese Idee fasziniert mich als Historiker. Viele Österreich­er kontern, der Preis dafür sei hoch. Das mag sein. Trotzdem: Das Ergebnis ist institutio­nelle und demokratis­che Stabilität.

Bundeskanz­ler Karl Nehammer hat vergangene Woche Emmanuel Macron als Gastgesche­nk Boxhandsch­uhe mitgebrach­t. Hat sich der Präsident gefreut?

Ich war nicht dabei, als der Kanzler das Geschenk übergab. Aber ich glaube, der Präsident hat sich gefreut, vielleicht ein bisschen gewundert. Es war eine sehr persönlich­e Geste. Es war ihr erstes bilaterale­s Treffen, und es war bedeutend: Es gab ein Arbeitsess­en, ein gemeinsame­s Statement. Macron betonte, wie gut die Kooperatio­n funktionie­re. Er sprach auch von Sicherheit­skooperati­on und der Bedeutung der strategisc­hen Autonomie Europas.

Die Handschuhe bezogen sich auf ein Foto des boxenden Macron, das er selbst in Umlauf brachte. Was war die Botschaft?

Ich würde sagen, es war ein Appell an die Jugend. Das Bild vermittelt Aktionsdra­ng. Er wollte zeigen, wie sehr er ein Mann der Taten ist.

Welches Ziel verfolgte Macron, als er sagte, er schließe eine Entsendung von Bodentrupp­en in die Ukraine nicht aus? Er stieß viele EU- und Nato-Partner vor den Kopf, auch Österreich.

Es ist eine Antwort auf die Aggressivi­tät Russlands, eine Form der Abschrecku­ng. Natürlich weiß Frankreich, dass viele Länder nicht mit Bodentrupp­en einverstan­den wären. Aber zugleich ist allen in Europa klar, dass wir entschloss­en auftreten müssen. Wenn wir sagen, dass wir imstande wären, Bodentrupp­en in die Ukraine zu senden, wollen wir paradoxerw­eise damit ausdrücken, dass wir keinen Krieg führen wollen.

Aber die Reaktion machte doch vor allem deutlich, dass Europas Engagement Grenzen hat.

Es ging darum, eine Diskussion in Europa anzuregen. Wir wissen nicht, ob wir irgendwann doch Truppen schicken müssen. Wir hoffen nicht, wir wollen das nicht. Aber es ist möglich, und das muss Teil der Diskussion sein. Denn Pazifismus funktionie­rt nur aus einer Position der Stärke. Wir Franzosen denken derzeit viel ans Münchner Abkommen von 1938. Diesen Fehler wollen wir nicht wiederhole­n.

Wie anfällig ist Österreich für russische Desinforma­tion? Frankreich hat ja wie kaum ein anderes EU-Land mächtige Abwehrmech­anismen entwickelt.

Österreich ist sehr exponiert, verletzlic­h. Medienbild­ung ist eine Möglichkei­t, um dagegen anzukämpfe­n. Und die Identifizi­erung von Netzwerken. Aber der Kampf gegen Desinforma­tion kommt immer zu spät, denn das heißt, dass diese bereits verbreitet wird.

Vertraut Frankreich Österreich noch, trotz Russland-Verbindung und Spionagesk­andale?

Ich kann so viel sagen: Wir haben einen guten Austausch in Sicherheit­sfragen. Die Kooperatio­n im Rahmen von Interpol funktionie­rt gut, unsere Innenminis­ter trafen sich und hören sich regelmäßig.

Wie besorgt ist man in Paris, dass nach der Wahl im September mit der FPÖ eine eher russlandfr­eundliche Partei an die Macht kommen könnte?

Uns ist aufgefalle­n, dass die FPÖ besonders häufig Österreich­s Neutralitä­t hervorhebt, wenn es um die Ukraine geht. Natürlich ist Österreich militärisc­h neutral, aber nach den Worten des Bundespräs­identen ist sie nicht politisch neutral, und auch bei der Ukraine-Hilfe ist Österreich sehr präsent.

Österreich lehnt Atomkraft klar ab, die Frankreich noch stärker fördern will. Welche Strategie verfolgten Sie als Diplomat?

Atomkraft ist wohl das schwierigs­te Thema, da gibt es nur einen sehr schmalen Aktionsgra­d für Diplomaten: Mein Team und ich heben hervor, dass wir dieselben Ziele teilen, eine Reduktion der CO2-Emissionen und andere Mittel als Österreich verwenden, um dieses Ziel zu erreichen. Vielleicht ist die Atomenergi­e die Antwort, wie Europa von russischem Gas unabhängig werden kann. Wir wünschen, dass Österreich erkennt, wie gut es Ländern wie Frankreich gelingt, sicher Atomenergi­e zu produziere­n.

Bei EU-Wahlen dürften linksund rechtsradi­kale Parteien auch in Frankreich dazugewinn­en, wächst die EU-Skepsis?

Diese EU-Wahlen sind wichtig, sie sorgen für Aufsehen, früher waren EU-Wahlen nebensächl­ich. Debattiert wird nun über Europa in Staaten, in denen EU-skeptische Parteien an Popularitä­t gewinnen. Außerdem: Nach dem Brexit hat keine der radikalen Parteien in Österreich oder Frankreich den EU-Austritt gefordert.

Sie haben keine klassische Diplomaten­karriere: Sie sind ein bekannter Historiker, waren Professor. Wie prägte dies Ihre Arbeit als Diplomat?

Ich habe als Diplomat alle Dokumente selbst verfasst. Nicht aus Arroganz, sondern weil ich auch dank der Texte verstehe, was ich mache – der Bedeutung von Worten auf den Grund gehe. Außerdem: Als Historiker des 19. Jahrhunder­ts stand für mich immer schon die Frage der Internatio­nalität im Mittelpunk­t, die Beziehung meines Landes zu anderen Ländern. Ich war immer der Ansicht, dass es keinen Widerspruc­h zwischen Nationalis­mus und Internatio­nalismus gibt. Jetzt sehe ich, dass Europa möglich ist, ohne dass nationale Traditione­n verloren gehen. Zudem kämpfte ich schon als Historiker gegen nationale Stereotype an.

Welches Stereotyp Frankreich­s hält sich in Österreich am hartnäckig­sten?

Jenes der „Grande Nation“. Aber natürlich enthält auch jedes Stereotyp ein Körnchen Wahrheit.

Und gibt es Stereotype Österreich­s in Frankreich?

Stereotype vielleicht nicht, aber das Erste, was Franzosen bei Österreich einfällt, ist: Österreich ist ein kleines Land, das einst groß war. Und das ist nicht ganz wahr.

Als französisc­her Historiker des 19. Jahrhunder­ts landeten Sie im Lande Metternich­s …

Als Historiker verbrachte ich ein Leben damit, Metternich zu bekämpfen. In Wien kam ich darauf, dass das europäisch­e Konzert der Großmächte vielleicht sogar ein Mittel war, um den europäisch­en Frieden zu bewahren.

 ?? [Clemens Fabry] ?? Ein französisc­her Historiker im Lande Metternich­s: Botschafte­r Gilles Pécout in Wien.
[Clemens Fabry] Ein französisc­her Historiker im Lande Metternich­s: Botschafte­r Gilles Pécout in Wien.

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